„Von der Ungewissheit also jeglichen Dings“. Paul Nizons Canto: Klang im Zerfall des Zeichens

Daniel Rothenbühler
Hochschule der Künste Bern

Mit Canto ist Paul Nizon nach eigener Aussage zum Schriftsteller geworden. Das Buch lässt sich als literarischer Versuch lesen, einen Leitgedanken der Ästhetik G. W. F. Hegels anzufechten. Hegel sah die Autonomie der Kunst in der Neuzeit nur mehr in der Musik gegeben. In Canto versucht Nizon, diese Ansicht zu widerlegen, indem er sein Schreiben zum Klingen bringt. Ein Stipendiat des Schweizerischen Rom-Instituts, Alter Ego des Autors, spricht in einem Bericht an seinen verstorbenen Vater den römischen Kulturgütern durchweg ihre Bedeutung ab. Sie werden aus gegebenen Stoff-, Ereignis- und Sinnzusammenhängen herausgelöst, auf ihre bloß materielle Dinghaftigkeit reduziert und in flüchtigen „Blick-Atemzügen“ ins synästhetische Schweben und Tönen gebracht, in einen Gesang, der sich der Hegelschen „konkreten Totalität“ entzieht. Der Schreiber will sich in die Dinge hineinverwickeln, verschmelzt Satzsubjekte und -objekte ineinander und löst sein Selbst in wechselnden Rollen auf. Die Wörter wuchern und werden zugleich zurechtgestutzt, Aktions- und Redaktionsprosa ergänzen einander und tragen in ihrem Wechselspiel zur Sonatenform als „Nährboden“ des ganzen Textes bei. Nizon lässt der Triebnatur seines Schreibers freien Lauf und verbindet Wohl- mit Missklang, Dionysisches mit Apollinischem. Der Tod wird zur Fassung des Lebens. So wechselt in einem karnevalistischen Weltempfinden Thanatos in Eros, Weinen in Lachen und Trauer in Freude. Das Einzige, was in seiner Unfassbarkeit Bestand zu haben scheint, ist ein utopisches „Anderes Land“ und „ein Ding“. Im Unterschied zum Kantischen „Ding an sich“ geht das „Ding“ Nizons aber nicht der Erscheinung der Dinge in Raum und Zeit voraus, sondern wird in einer „Wortpantomime“ zum Gegenstand des Gesangs auf sie. Hier sind die Wörter nicht mehr Dingbezeichnungen, sie sollen nur „gestikulieren“ und „unsägliche Verbindungen“ eingehen. So gelingt Nizon, was Roland Barthes als die große Angelegenheit der Moderne bezeichnete: das Zeichen zu leeren und seinen Gegenstand endlos weiter zurückzuversetzen. Siegfried Unseld hat Canto deshalb zu Recht als das gewagteste Buch der 1960er Jahre betrachtet, dabei aber die Aufnahmebereitschaft eines breiten Lesepublikums überschätzt. Inzwischen haben literarisch interessierte Lesende jedoch die Unverwechselbarkeit und die Unwiederholbarkeit dieses kühnen Wurfs immer wieder neu entdeckt.
Schlüsselwörter: Paul Nizon, Canto, Autonomie der Sprachkunst, Hegel, „konkrete Totalität“, Goethe, Rom, Robbe-Grillet, Dingpräsenz, Subjekt-Objekt-Verschränkung, Synästhesie, Ästhetik der Diskontinuität, Wohlklang, Missklang, Blindschreiben, Aktionsprosa, Redaktionsprosa, Boulez, „idée musicale“, Robert Walser, van Gogh, Triebnatur, Apollinisches, Dionysisches, Autofiktion, Bachtin, Karnevalisierung, Thanatos, Eros, Autofiktion, Auflösung des Selbst, Wortpantomime, Roland Barthes, Wirklichkeitseffekt, Zerfall des Zeichens.

„Of the uncertainty, then, of every Thing”
Paul Nizon’s Canto: Sound in the Decomposition of the Sign

According to Paul Nizon himself, Canto is the text that made him a writer. Canto explores and engages with one of G. W. F. Hegel’s key concepts in ‘Aesthetics’, namely that the autonomy of art in modern times can only be expressed through music. In this text Nizon contests this perspective while orienting his own writing towards sound. A scholarship holder at the Swiss Rome Institute (the author’s alter ego) decries the importance of Rome’s cultural heritage, articulating this in a report to his dead father: cultural treasures are taken out of context and away from substance, event and meaning, thus reduced to a profound material ‘thingness’. They are then transposed to a synaesthetic floating and sounding, expressed as volatile „view-breaths”, that forms a song that eludes a Hegelian „concrete totality“. The writer swathes himself in ‘things’, switching between and fusing sentence subjects and sentence objects and losing himself in changing roles. Words run riot and are pared back; the interplay of action and redaction prose complement each other and their interactions contribute to the sonata form as a fertile ground for the development of the text as a whole. Nizon gives free rein to his writerly impulses, connecting euphony with discord and the Dionysian with the Apollonian. Death frames life: a carnival-like perception of the world transforms Thanatos in Eros, weeping into laughter, and sorrow into joy. The only thing enduring in its incomprehensibility is a utopian „Elsewhere” and „a thing”. Unlike the Kantian „thing in itself”, however, the Nizonian “thing” does not precede the appearance of things in space and time, but rather articulates their thing-ness, singing of them as a „word pantomime”. Words are no longer mere designations [signals] – rather, they point towards and constitute „unspeakable connections”. Nizon thus achieves a hollowing-out of the sign and an endless relegation of its object, following what Roland Barthes describes as the great affair of modernity. Siegfried Unseld rightly considered Canto the most audacious literary work of the 1960s, and yet overestimated its appeal to a broad reading public. Since then, however, readers interested in literature have been able to (re)discover time and again Canto as a daring creation, unique and unrepeatable.
Keywords: Paul Nizon, Canto, Autonomy of language art, Hegel, „concrete totality”, Goethe, Rome, Robbe-Grillet, thing-presence, subject-object entanglement, synaesthesia, aesthetics of discontinuity, euphony, discord, blind writing, action prose, redaction prose, Boulez, “idée musicale“, Robert Walser, van Gogh, libidinal nature, Apollonian, Dionysian, Bakhtin, carnivalisation, Thanatos, Eros, autofiction, dissolution of the self, word pantomime, Roland Barthes, reality effect, decomposition of the sign.

„Ich klammerte mich an fühlbare, greifbare Dinge, weil ich durch mein Fehlen von Handlung und Einfall nichts anderes besaß“1, sagte Paul Nizon vor zwanzig Jahren über Canto, das Buch, mit dem er 1963 nach eigener Aussage zum „Schriftsteller geworden“2 ist. In Canto selbst stellt sich dieses Verhältnis umgekehrt dar: Da ist ein von seiner „Schreibpassion“, seinem „Schreibfanatismus“3 getriebener Schreiber im Bericht über seine Zeit als Stipendiat am römischen „Istituto Svizzero“ bestrebt, alle ordnenden Stoff-, Ereignis- und Sinnzusammenhänge auszuschalten, und reiht zum Abschluss des Textes Dinge, denen er in Rom oder auf der Hinreise nach bzw. Wegreise von Rom begegnet sein könnte, in ihrer blossen Gegenständlichkeit aneinander, um schließlich den ganzen Text als Gesang auf sie und auf „ein Ding“, als Canto, zu präsentieren. Das Buch endet:

Aber da ich nie herankomme, an Rom nie herankomme, an das Ding, nehme ich, was immer, den Pflasterstein, den Nachttopfdeckel, die Zigarette, das im Rinnstein verderbende Gemüseblatt und das Polster des Schnellzuges und deine Augen und deinen Schnurrbart und dein Holzbein und deinen Leberfleck und den Stein und den Stein und den Stein und den Stein und den Pflasterstein und die Eisenbahnschiene und und und
singe darauf. Im Anderen Land. Vom Ding, das nicht Rom ist. Ein Ding. Ein Land? eine Zeit? Eine Lebenszeit? Ein Ding. Ein Canto darauf. Ein Canto. (C 248-249)

Durch die Befreiung der Dinge zur Autonomie der Kunst

Wie hängt das alles zusammen? Die Ablehnung von „Geschichte“, „Fabel“ und „Faden“ am Anfang (C 22), die Aufreihung von willkürlich gewählten Dingen zum Schluss, das Singen auf sie und auf das „Ding, das nicht Rom ist“, und der Canto als letztes Wort? Wie das gesamthaft Sinn ergeben könnte, lässt sich vielleicht am ehesten im Rückgriff auf Hegels Vorlesungen zur Ästhetik erklären. Nach Hegel bildet sich der in der Weltgeschichte zu sich gekommene Geist zur „konkreten Totalität der Vorstellungen, Zwecke, Handlungen, Ereignisse“ aus und gibt zu deren Gestaltung „auch die vereinzelnde Anschauung“ bei.4 Weil Totalität und vereinzelnde Anschauung in der Sprache zustande kommen, in der auch die Dichtung sich vollzieht, verliert die Letztere nach Hegel ihre Musikalität und damit auch ihre Autonomie und wird zum „selbständigkeitslosen Mittel geistiger Äußerung“5 degradiert. Im Unterschied zur Dichtung wird die Musik, da in ihr die Gestaltung des Tönens „als Tönens der wesentliche Zweck“6 ist, „je mehr in ihr die Einlebung des Inneren in den Bereich der Töne statt des Geistigen als solchen überwiegt, um so mehr zur Musik und selbständigen Kunst“.7 Die „dichterischen Phantasiegebilde“ hingegen sind dank ihrer „genauere[n] bewusste[n] Bestimmtheit von Vorstellungen“ bzw. ihrer „für die innere Anschauung ausgeprägte[n] Gestalt äußerlicher Erscheinung“8 unmittelbarer mit dem Geist verbunden. Dieser

zieht deshalb seinen Inhalt aus dem Tone als solchem heraus und gibt sich durch Worte kund, die zwar das Element des Klanges nicht ganz verlassen, aber zum bloß äußeren Zeichen der Mitteilung herabsinken. Durch diese Erfüllung nämlich mit geistigen Vorstellungen wird der Ton zum Wortlaut und das Wort wiederum aus einem Selbstzwecke zu einem für sich selbständigkeitslosen Mittel geistiger Äußerung.9

Diesen in Hegels System durchaus schlüssigen Beobachtungen und Bestimmungen hat sich die Ästhetik der jüngeren Moderne seit Nietzsche und bis Adorno immer wieder vehement widersetzt. Es verwundert nicht, dass ein mit Kunstgeschichte vertrauter Schriftsteller wie Nizon seinen Schreiber fortlaufend gegen die „konkrete[.] Totalität der Vorstellungen, Zwecke, Handlungen, Ereignisse“10 anrennen lässt, um die Dinge aus ihr zu befreien, dem Bereich der Töne gegenüber dem Geistigen den Vorrang zu geben und die Autonomie seiner Sprachkunst zu bewahren, indem er „das musikalische Prinzip als Motor des Schreibakts (als schöpferische Technik)“11 hervortreten lässt. Dass er dabei dem Stein durchweg ein besonderes Gewicht verleiht, kann als ironischer Hinweis darauf gedeutet werden, dass der junge Hegel 1796 in seinem Tagebuch der Reise in die Berner Oberalpen den Stein insofern als das Ding der Geistlosigkeit kennzeichnete, als er schrieb, „die formlosen Massen“ der Berge seien allenfalls für einen Mineralogen von Belang, nicht aber für die Vernunft: „Der Anblick dieser ewig toten Massen gab mir nichts als die einförmige und in die Länge langweilige Vorstellung: es ist so.“12

Wichtiger für Nizons Hervorhebung des Steins ist aber die Tatsache, dass die Welt- und Kulturgeschichte des „Ewigen Rom“ tatsächlich viele Relikte in Stein hinterlassen hat. Im Anruf an seinen toten Vater zur Eröffnung des Textes kündigt Nizons Schreiber „nichts Nennenswertes“ (C 7) an, erklärt also von vornherein alles, was im Welterbe Roms als gewichtig und bedeutend galt, für belang- und bedeutungslos. Er verwirft die „größenwahnsinnig anspruchsvolle[n] Signa“ (C 10) der Stadt, nimmt Abstand von seinen Kolleginnen und Kollegen am Rom-Institut, die sammeleifrig durch diese „leuchtendwilde Stadttagessumme“ (C 15) trippeln, distanziert sich von der „lüsternen Objekt-Neugierde“ seines Kollegen Wieland und dessen „Glotzen“ (C 45), will selbst zum „Vergesser“ werden, der sich „vom Fassen dispensiert“ (C 66), und verwandelt im Weiteren die von Menschen hervorgebrachten und mit Bedeutung versehenen Dinge, die „Signa“, in reine Materialität zurück.

Das geschieht in unauffälliger Bezugnahme auf Goethe, jenen Romreisenden, der sich an den Kunstgegenständen in Italien und in Rom bilden wollte und damit der „Objekt-Neugierde“ späterer Rom-Reisender zum Vorbild wurde. Seine „wunderbare Reise“ nach Italien machte Goethe erklärtermaßen, um sich „an den Gegenständen kennen zu lernen“13, und zwar an jenen der „echte[n] Kunst, die ebenso folgerecht ist“ wie die Natur, die „in allen ihren Teilen wahr und konsequent“14 bleibt. Am 29. Dezember 1886 hält er in Rom fest:

Ich will Rom sehen, das bestehende, nicht das mit jedem Jahrzehnt vorübergehende. […] Besonders liest sich Geschichte von hier aus ganz anders als an jedem Orte der Welt. Anderwärts liest man von außen hinein, hier glaubt man von innen hinaus zu lesen, es lagert sich alles um uns her und geht wieder aus von uns.15

Nizon greift alle vier Motive auf, die Goethe hier anspricht, und wendet sie in ihr Gegenteil: So wie Goethe das „bestehende“, die Zeiten überdauernde, und „das mit jedem Jahrzehnt vorübergehende“ Rom voneinander unterscheidet und nur das Erstere sehen möchte, stellt der Schreiber Nizons zwar ebenfalls „eine eigenartige Scheidung“ fest „in dieser Stadt“ zwischen den „vielen Formationen, die der Geschichtsfluss hier aufwarf“, und dem „tägliche[n] Leben“, das „gänzlich geschichtslos“ bleibt (C 62), entscheidet sich wie Goethe für die Ersteren, verfolgt dabei aber nicht wie jener die Absicht, Geschichte in ihnen zu lesen, sondern sucht nur noch Stein darin: „Schweigen in Stein“ (65). Die Weltgeschichte, die Goethe in den Bau- und Kunstdenkmalen Roms „lesen“ will, ist für den Schreiber Nizons bloss „der LAUF“. (C 216) In ihm „einen Gang der Geschichte“ anzunehmen, wäre bloße „Einbildung“ (C 217): „Die Lenden des Laufs sind so gewaltig, dass unsere Ableger kleiner sind als Fliegendreck.“ (C 216) Während Goethe glaubt, in Rom die Weltgeschichte nicht wie andernorts, „von außen hinein“, sondern „von innen hinaus“ lesen zu können, verkehrt sich für Nizons Schreiber das Innen ins Außen und umgekehrt: „Blieb ich herin, fiel ich heraus. Nur draußen war ich drin, mittendrin ja, aber verlebend verlebt, verzehrend verzehrt.“ (C 163) In Goethes Rom „lagert sich alles um uns her und geht wieder aus von uns“, wodurch diese Stadt für ihn zum Erfahrungs- und Bildungsraum der Welt- und Kulturgeschichte wird. Den Schreiber Nizons hingegen interessieren am „viele[n] Gelagerte[n]“ (C 86) dieser „Lagerstadt“ wiederum nur „die vielen Leiber aus Stein“ (C 26) und ganz „entschieden nicht die Baugeschichte und nicht die Ausstattung“, sondern „der Stein, aus dem Gras wächst“ (C 17), weshalb die „größenwahnsinnig anspruchsvolle[n] Signa“ für ihn „längst auch Natur geworden“ (C 10-11) sind.

Zum Schluss von Canto kann der Schreiber also in willkürlicher Folge mehrere Dinge – darunter mehrmals den Stein – nur deshalb in ihrer scheinbar unmittelbaren Gegebenheit ansprechen, weil seine Spracharbeit sie im ganzen vorangehenden Text immer wieder aus den vorgegebenen Geschehens- und Bedeutungszusammenhängen der „konkreten Totalität“ herausgelöst hat. Dieses Bemühen ruft er sich und dem Adressaten seines Schreibens, seinem toten Vater – und damit auch uns Lesenden – , im ganzen Text immer wieder in Erinnerung. Nizon ist nie wie der französische Nouveau roman, mit dem manche Rezensenten Canto in Verbindung brachten16, der Illusion aufgesessen, es genüge, sich an die Dinge zu halten, die einfach da seien17, um sie, wie Alain Robbe-Grillet schrieb, aus vorgegebenen Bezugssystemen soziologischer, freudianischer, metaphysischer oder anderer Provenienz zu befreien.18 Nach José Brunner scheinen Dinge zwar zunächst insofern „eine Art Gegenpol“ zu menschlichem Handeln und Denken zu bilden, als sie beidem gegenüber „völlig passiv“19 bleiben. „Und doch sind sie nicht einfach nur da“20, fügt er gleich hinzu. Das gilt in Lebenszusammenhängen insgesamt, weil wir immer „notwendigerweise in einer Beziehung zu ihnen [den Dingen, D. R.] stehen“21, und mehr noch in der Literatur, die nach Dorothee Kimmich aufgrund der sprachlichen Verfasstheit ihrer Texte „den Dingen keinerlei Körperlichkeit verleihen“22 kann: „Dinge in Texten sind keinem menschlichen Sinn unmittelbar zugänglich, sind weder fühlbar noch sichtbar, man kann sie weder hören noch riechen, sondern muss sie imaginieren“23, sie gewinnen ihre Gegenwart also immer nur durch unseren subjektiven Zugang zu ihnen.

„Aus der Empfindung des eigenen Hineinverwickeltseins“

Das anerkennt 1963, im Erscheinungsjahr von Canto, schließlich selbst Robbe-Grillet, der radikalste Vertreter der Dingpräsenz im Nouveau roman der 1950er Jahre, und gesteht, er sei mit dieser einer realistischen Illusion aufgesessen. 24 Nizon hingegen, durch sein Studium der Kunstgeschichte und seine Tätigkeit als Kunstkritiker geschult, hat sich nie von dieser Illusion leiten lassen, auch wenn er wie Robbe-Grillet vorgegebenen Denk- und Sinnzusammenhängen eine klare Absage erteilte und sich an „fühlbare, greifbare Dinge“25 klammern wollte. Wie er sich diese Orientierung künstlerischen Schaffens an den Dingen vorstellte, zeigte er schon in einem Artikel über den Tachisten Pierre Tal-Coat und den Plastiker Étienne Hajdú, den die NZZ am 27. Juli 1957 veröffentlichte. Er ging dabei von einer neuen Sicht auf die Realität aus, der die bildende Kunst seit der Epoche der Impressionisten gefolgt ist:

Einst ein fester Verband im Machtkreis des Menschen, ein Gefüge, verstrebt und verankert, begannen die Dinge für sie sich aus dem Zusammenhang zu lösen. […] Wollte man Fühlung bewahren, auch ohne zu begreifen, dann blieb nichts anderes übrig, als das bunte Rätsel Leben, wie es sich nun dem unbesonnenen Auge hinbot: als schwebendes Mosaik in den Fluten der Luft, unreflektiert als ein Ganzes, in Harmonie und farbiger Stimmung zu übertragen und hinüberzuretten. […] Heute ist es anders. […] Nicht mehr durch Anschauung, nur durch Anfühlung – aus der Empfindung des eigenen Hineinverwickeltseins – kann heute ein Bild gewonnen werden von der Wirklichkeit, die uns umgibt: indem wir Geschehen in vielfältigsten Verkettungen mitfühlend auf Bildern mitmachen. Solches Sichtbarmachen ist keine Deutung, doch ein wahrhaftes Einfangen und Bannen des Lebens.26

Die Dinge aus „der Empfindung des eigenen Hineinverwickeltseins“ heraus sichtbar zu machen, ist der ästhetische Anspruch, den Nizon auch in Canto verfolgt. Es ist ein Anspruch, an dem sein Schreiber zwar immer wieder scheitern muss, aber in diesem Scheitern bleibt der Text dem Anspruch treu und macht, wenn schon nicht die Dinge selbst, so doch immer wieder diese Empfindung sichtbar oder hörbar oder wenigstens fühlbar. Im „Hineinverwickeltsein“ verlieren die Dinge ihren Status als Objekte des „unbesonnenen Auges“ ebenso, wie der Empfindende seine Rolle als anschauendes Subjekt aufgeben muss.

Das drängt sich dem Schreiber in Canto auf, weil ihm die Dinge sonst als Objekte der Anschauung und Deutung auseinanderzufallen oder einzuschrumpfen drohen:

Natürlich sehe ich allerlei, hinter dem ich Sehenswürdigkeiten vermuten darf. Aber will ich mir’s anschauen, steht ein Esel in mir auf, bockt, spreizt sich dagegen. Eine Müdigkeit befällt mich. Warum gerade das? sagt sie. Mit ebenso gutem Recht könntest du dies dort besichtigen. Aber wo führt das hin? In die Unendlichkeit, nicht zusammenzudenken, in die Zerstückelung ferner und schließlich in Einzelheit, Einzelfach und Einzelhaft. Bin einfach nicht dafür zu haben. Ich lasse mir lieber alles um die Ohren wetzen, bis es ganz allgemein tönt, wie die Sommerfront, ein sonniger Waldrand, als hätte man eine Stimmgabel angeschlagen. (C 11-12)

Die Verneinung, in der Nizons Schreiber Halt sucht27, gilt also nicht mehr nur den Inhalten, Geschichten und Figuren, sondern auch dem ordnenden Anschauen und Deuten der Dinge durch ein ihnen gegenübertretendes Subjekt. „Es lebe die Geistarbeit“, ironisiert der Schreiber in Canto, „und das Verpassen ist unser, und keiner merkt es, dass er längst nurmehr die Gräte in Händen hält …“ (C 13) Dem Subjekt der „Geistarbeit“ drohen die Dinge als „Anlass, der rundum Wirkung nehmend und sendend einst vor dir stand“ (C 13), verloren zu gehen. Die „Empfindung des eigenen Hineinverwickeltseins“ bewahren, heißt für den Schreiber in Canto also, sich fortlaufend, durch die Stadt laufend, „die Flanken des Lebens abirren[d]“ (C 11), in einen „Wirkungsturm“ (C 13) begeben, in dem die Dinge immer zugleich Wirkung nehmen und senden. Sie sind damit zugleich Objekte („Wirkung nehmend“) wie Subjekte (Wirkung „sendend“) und dasselbe geschieht dem Schreiber: Er wird von den Dingen ebenso angerufen, wie er sie anruft. Nizons „Ästhetik der Verneinung“28, sein Bild des Esels, der „bockt“ und sich „spreizt“ (C 12), zielt letztlich auf die Aufhebung der Subjekt-Objekt-Unterscheidung zwischen den Dingen und dem Schreiber. Typisch „für den Canto-Stil“ wird so „die weitgehende Aussparung eines Subjekts zugunsten der Schilderung einer Bewegung bzw. eines Bewegtseins“29, in der das „Urheber- bzw. Text-Ich […] sich nicht als Souverän des Textes begreift, sondern als dessen Bestandteil.“30

Die Subjekt-Objektverschränkung wird im Text nicht nur verkündet, sondern in einzelnen Bildern gezeigt und immer wieder auch im Aufbrechen der grammatischen Syntax sprachlich vollzogen. „Ja, ich war in der Stadt, und die Schauplätze, die Plätze hatten mich. […] Bevölkerten, bevölkern meinen Kopf. Und ging da drin und hielt es nicht aus, weil ich es nicht unterbringen konnte.“ (C 55) Der Wechsel vom Objekt („hatten mich“) zum Subjekt („weil ich es nicht unterbringen konnte“), vollzieht sich hier über einen subjektlosen Satz („Und ging darin und hielt es nicht“). Solche subjektlosen Ellipsen finden sich im Text immer wieder. Nur schon im ersten Teil des Buches lässt sich das an mehreren Beispielen zeigen: „Keine Zeit haben, besetzt sein, um nichts zu tun.“ (C 7) – „Nahe daran, nie habhaft.“ (C 18) – „O Garant Pflaster. O Garant: Nahedransein und nichts begreifen.“ (C 73) Am Ende dieses ersten Teils leitet der Ausruf „O den Himmel austropfen lassen“ (C 89) gleich eine Dreiviertelseite von Satzellipsen im subjektlosen Infinitiv ein. Doch nicht nur in Ellipsen wird die Syntax aufgebrochen. Der Text vollzieht das Aufbrechen auch durch eine Interpunktion, die die Einheit der Sätze auftrennt, statt sie zu einem Ganzen zu gliedern. Dazu drei Beispiele: 1. „Ich. Fange an.“ (C 23) Hier verliert das „Ich“ den Status des Subjekts und regiert nicht mehr den ganzen Satz. Das Prädikat scheint wie die Befehlsform „fang an“ das Subjekt in sich selber zu tragen, so dass das Anfangen das Ich zur Folge hat und nicht umgekehrt. 2. „Eine kleine, kleine, kleine Blumenanlage. Im festen, entschlossenen, tüchtigen Frühlingsvormittagssonnenlicht. Hatten wir. So einen Blumenbauchladen auf dem steinernen Muskel eines Platzes. Als ich klein war. In dieser meiner damaligen Vaterstadt.“ (C 75) Hier bilden Subjekt und Prädikat zwar eine Einheit, dieser Satzkern wird aber von allen möglichen Satzerweiterungen abgetrennt: von den Akkusativobjekten (Blumenanlage, Blumenladen), vom Attribut des einen (im Frühlingssonnenlicht), Adverbialsatz der Zeit (als ich klein war) und vom Adverbialsatz des Ortes (in der Vaterstadt). So stehen alle diese Satzglieder bzw. Gliedsätze für sich, streben auseinander, indem sie ihrer eigenen Logik folgen und sich nicht mehr vom Satzkern regieren lassen, so dass dieser inhaltsleer wird und das „wir“ entgegen der möglichen Aussage nichts mehr „hat“, während sich um es herum lauter selbständige Bilder oder Geschichten ergeben, dissoziiert in einer Erinnerung, die sich dem Erinnernden aufdrängt wie im subjektlosen freien Flottieren des Traums (oder der Psychoanalyse). 3. „Einer. Der gerne zusammengehen möchte mit Jenem in Grottaferrata.“ (C 174) Hier wird „Einer“ als Subjekt dissoziiert, indem er durch die Abtrennung des Attributsatzes gerade das verliert, was ihm erlauben würde, aus der „Einzelheit“ und „Einzelhaft“ (vgl. oben C 12) seiner verschiedenen Rollen zu einer personalen Einheit zu finden.

Diese Beispiele machen deutlich, dass Nizon nicht nur im Makrobereich des Textes darauf abzielt, die Dinge aus vorgegebenen Denk- und Sinnzusammenhängen zu befreien, damit sie, „rundum Wirkung nehmend und sendend“ (C 13), aus der Subjekt-Objekt-Beziehung heraustreten, sondern dass es ihm dabei hauptsächlich auch darum zu tun ist, im Mikrobereich der Sprache die Wörter wieder tönen zu lassen. Im Textganzen sprengt er die Hegelsche „konkrete[.] Totalität“31 sowohl bezüglich der Kulturbeflissenheit der Rombesucher („Schweigen in Stein“), des Gangs der Geschichte („LAUF“), der Bildungsstätte Rom („fiel ich heraus“) und der Kulturgüter der „Ewigen Stadt“ („auch zur Natur geworden“) und lässt die Dinge in ihrer bloßen Gegebenheit hervortreten. Im Mikrobereich des Satzes sprengt er die Hegelsche „vereinzelnde Anschauung“32, indem er die vorgegebene Syntax auflöst und neue Zusammenhänge zwischen den Wörtern entstehen lässt. Die Fragmentierung von Sätzen und Satzgliedern verändert den Rhythmus des Sprachflusses, schafft Pausen und Brüche, so dass die Wörter im Ohr der Lesenden nicht mehr wie im üblichen Sprachgebrauch automatisch als „selbständigkeitslose[.] Mittel geistiger Äußerung“xxxiii erscheinen und stattdessen vermehrt wieder ihr „Element des Klanges“33 hören lassen. In der stolpernden, brüchigen und lückenhaften Satzstruktur des Textes, zeigt sich zugleich, dass Nizon nicht einfach den Wohlklang sucht: „Das Rhythmische kann bis zur Atemlosigkeit akzelerieren, es kann aber auch hörbar verstummen. […] Ich wünschte mir, ich könnte bis zur Kakophonie gehen.“34

Dissoziieren und neu zurüsten

Dieses „musikalische[.] Verfahren“35 besteht aber nicht nur darin, dass er die Syntax auflöst und so den Sprachfluss hemmt oder aufhält oder beschleunigt und überdreht. Er führt Wohl- und zugleich Missklang der Sprache auch noch dadurch herbei, dass er überraschende Wortverbindungen und -zusammensetzungen schafft. Wie Martin Kilchmann schreibt, lässt sich der Einfluss der Musik in Canto nicht nur in Bezug „auf das Großkonzept der Form, den Aufbau und die Ordnung des Textes verfolgen, er dringt weiter, in den Satz, bis ins einzelne Wort hinein.“36 So zum Beispiel im „Blick-Atemzug“ (C 30), den Nizons Schreiber bei seiner Ankunft in Grottaferrata erlebt:

Und mit einem Blick-Atemzug ist alles wieder: die Luft, die leichte, weiche wiegende Luft, Farben- und Tönebad: wie ziehst du sie ein nach der Brustklammer Rom. Und Landschaft, Albanerberge. Villen im Laub, schimmernde Häuserwände neben Baumgestalten. Das stuft sich frei, will teilhaben an der Luft, der Sonnenluft. Türmt sich auf. Das Band der Autostraße springt weiß zwischendurch, das Tonband Straße, mit Trillern der Hupen, mit den selbstüberzeugten Brüllern der Motoren. Das lauschen die Villen, die Bäume. Und die Straße hat Radios aus laubversteckten Fenstern, Gesang aus Gärten im Ohr. Dank der Luft. In die Luft werden die Hupen geflochten und canzoni. (C 30-31)

In der Synästhesie des „Blick-Atemzugs“ wird das befreiende Luftholen zu einem „Farben- und Tönebad“ und das Letztere verschafft der Text durch die häufigen Konsonanzen, Assonanzen und Alliterationen auch den Lesenden. Das „Tonband Straße“ lässt aber nicht nur Wohlklänge hören. Im „Trillern der Hupen“ und „Brüllen der Motoren“ scheppern die Konsonantenfolgen „trllrn“ und „brlln“ eher, als dass sie klingen. Um so mehr überrascht, dass die Villen und Bäume darauf „lauschen“ wie auf feine romantische Töne. Metonymien und Metaphern mischen sich in den „selbstüberzeugten Brüllern der Motoren“ ebenso wie im Satz: „In die Luft werden die Hupen geflochten und canzoni“. Und das Attribut „laubversteckt“ verdankt sich einer jener Wortzusammensetzungen, die im Text auch sonst immer wieder komplexere Situationen in einem Wort zusammenfassen und so auch weiterreichende Vorstellungen wecken. Dass die Straße „Radios aus laubversteckten Fenstern“ im Ohr hat, verdankt sich der Verkürzung einer ganzen Reihe von Metonymien. Die angesprochene Situation lässt sich in prosaischer Form so erklären: Aus Fenstern, die hinter Laub versteckt sind, erklingen Töne oder Stimmen, die hören kann, wer auf der Straße vorbeigeht oder -fährt.

So ergibt sich in dieser Textpassage ein „Luftmeer, bewohnt und bevölkert: mit Schlangen der trällernden Hupen von Autocars der Linie STEFFER und ZEPIERI, mit Gezeiten der Motoren, mit Gesang aus Gärten, Radiohäuslichkeit, die kopfüber durch nicht gesehene Fenster entflieht.“ (C 32) In der Sprache selbst ergibt sich das, was das Bild festhält, eine „Teppichebene des Vielgeflechts“ (C 162). Nur ein „Aufmerken. Ganz hell, ganz durchlässig, ganz leer und voll, ganz entmenscht, ganz Ding“ (C 163) kann „die Hauptsachen, in denen die Einzelnen wie in Gefängnissen sich auflehnen, […] entschärfen, diese scharf ragenden Wichtigkeiten niederstoßen“ (C 162). So klammert sich der Schreiber Nizons zwar immer wieder an die Dinge, aber nicht so, wie diese sich in der „vereinzelnden Anschauung“37 des Hegelschen Geistes darstellen würden, sondern so, wie sie sich „aus der Empfindung des eigenen Hineinverwickeltseins“38 einander neu zuordnen. Die Befreiung der Dinge aus vorgegebenen Denk- und Ereigniszusammenhängen und ihr Festhalten in der bloßen Gegebenheit ist also nur die eine Seite der Text- und Spracharbeit, die Nizon in Canto verfolgt. Die andere, ihm noch wichtigere, besteht im ganzen Text darin, sie in einem neuen „Nebeneinander, das in Atem hält“ (C 162) erscheinen zu lassen. Dieses ergibt sich zwar immer wieder nur augenblickshaft, „nie einzunehmen mit Fassung“ (C 163), aber der Wunsch danach bleibt gerade in der Einsicht der Unmöglichkeit seiner dauerhaften Erfüllung eine treibende Kraft des Schreibers in Canto: „Denn ich möchte endlich mit meinen Momenten zusammengehen, mein Vater.“ (C 165) Bei seiner Wegreise von Rom hält er deshalb fest: „Ich kann es nicht sagen, mein Vater, vielleicht kann ich’s reisen.“ (C 231) In seinen Frankfurter Vorlesungen lässt Nizon 1984 erkennen, dass dieser Satz einer Formulierung nachgebildet ist, die er als „programmatischen Satz ICH KANN DICH NICHT SAGEN. DOCH KANN ICH DICH REISEN“39 bezeichnet, mit dem er 1961 seine Textskizze Canto auf die Reise als Rezept eingeleitet habe. Der Satz gewinnt auch in Canto eine programmatische Bedeutung, selbst wenn sich dieses Programm erst im Lauf des Schreibens ergibt. Der fürs heutige deutsche Ohr ganz ungewohnte transitive Gebrauch des Verbs „reisen“ hat sich nach dem Wörterbuch der beiden Grimms im Schweizerdeutschen in der alt- und mittelhochdeutschen Bedeutung erhalten und heisst dort weiterhin „bereiten“, „zurüsten“ und „zurecht machen“ („z’wëg reise“).40 Das zeigt nun genau das an, was Nizons Schreiber im ganzen Text mit den Dingen in seinen Wörtern und Sätzen macht.

Das Dissoziieren und neue Zurüsten und Zurechtmachen der Dinge und Wörter spricht der Schreiber in Canto denn auch an, wenn er im ersten Teil des Buches angesichts des Tintenfasses auf seinem Tisch von „der Ungewissheit also jeglichen Dings“ (C 48) spricht:

Sage ich „Fass her oder Fass hier!“, kommt höchstens das Wort her, stellt sich ins Wortfach im Wortgemach. […] Hat sich das Fass in das Wort verkrochen und aufgelöst […]. Sind die Dinge den Worten entschlüpft, führen ein Stilleben außerhalb, leben für sich und für sich die abgestandenen Worte fort. […] Auf Clivias Zimmer ist da kein Verlass. Da brauche ich Worte, die uns jetzt betreffen. Muss mich schnellen aufs Fass. Die sekundenlang sichere Taste finden und drücken und mich hinschnellen über das Fass. Aus dem Hinterhalt auf den Fleck meines Fasses, unsern Zusammenfall. Ein Überfall auf mich müsste es sein, uns zu erfinden. Mit Worten erschnellen. Aber mit anderen Worten. (C 49-51)

Es geht in dieser Schlüsselstelle des ganzen Buches nicht um eine Sprachnot, die der Schreiber hätte, weil er nicht die üblichen Worte für das Fass findet. Seine Schwierigkeit besteht vielmehr umgekehrt darin, dass das passende Wort sofort herkommt und sich „ins Wortfach im Wortgemach“ stellt, dahin, wo die „abgestandenen Worte“ sind. Dagegen braucht der Schreiber „Worte, die uns jetzt betreffen“, ihn und die Dinge. Er findet diese Worte nur im Hinschnellen „über das Fass“ und im „Überfall“ auf sich und nennt das „unsern Zusammenfall“. Dieses „Erschnellen“ ist nur „mit anderen Worten“ möglich.

Der Schreiber führt hier aus, was Philippe Derivière Nizons „Ästhetik der Unterbrechung“41 nennt, seine „esthétique du discontinu“42 im französischen Original, was sich auch mit „Ästhetik des Diskontinuierlichen“ übersetzen ließe. Unterbrochen werden in Canto, wie wir gesehen haben, im Makrobereich des Textes alle Stoff-, Ereignis- und Sinnzusammenhänge, ob sie die allgemeine Welt- und Kulturgeschichte oder die Geschichte und Entwicklung einer Person betreffen, im Mikrobereich die Sätze und Satzglieder oder die Wortformen und Wortzusammensetzungen. Im „Erschnellen“ der Dinge geht es dann darum, zu „anderen Worten“ zu kommen und sie in ein neues, diskontinuierliches „Nebeneinander“ zu bringen. Derivière sieht diese „Ästhetik der Unterbrechung“ bzw. des Diskontinuierlichen durch den Begriff des „Blindschreibens“ am besten charakterisiert, den Nizon 1980 im Journal Die Innenseite des Mantels geprägt hat43:

Das Blindschreiben […] findet seinen Ausgangspunkt in den plötzlichen Wahrnehmungen des Bewusstseins, ob es sich nun um Erinnerungen, Beschreibungen, gegenwärtige Augenblicke oder Träume handelt. Das sind die Bewusstseins„parzellen“, die es beim Schreiben des Buches festzuhalten und zu erwecken gilt.44

Damit erfasst Derivière aber nur die eine Seite des „Reisens“, des neuen Zurüstens und Zurechtmachens der Dinge und Wörter, jene ihres Erschnellens in der plötzlichen Wahrnehmung, den „Sturzgeburten“45 aus dem Unterbewussten, die dem Blindschreiben zugrunde liegen. Nizon hat dieses Bemühen ums Schreiben, das er „nicht als Nachvollzug, sondern als Vorstoß“46 betrachtet, in seinen Frankfurter Vorlesungen auch „Aktionsprosa (in Analogie zum action painting)“47 bei Jackson Pollock genannt. Pino Dietiker, Mitherausgeber der ästhetischen Schriften Nizons48, zeigt anhand der Artikel, die Nizon 1960 in Rom für die Il faut, après, élaguer geschrieben hat, und der Überarbeitung, die er ihnen bei der Übernahme in Canto angedeihen ließ, dass der Autor erstens in Rom 1960, im Unterschied zum Schreiber im Buch, „durchaus nicht untätig war“49 und zweitens Canto dann „nicht einfach voraussetzungslos“ hingeworfen hat, sondern „dafür auf einzelne dieser Zeitungsartikel und weitere in Rom entstandene Texte zurück[griff ], die er zum Teil beträchtlich überarbeitete.“50 Dietiker zeigt an einzelnen Beispielen, dass die etwa von Horst Bienek 1963 monierte „sträfliche Vernachläßigung des Verbs“51 und die von Gabriele Wohmann 1964 beanstandete „schwer erträgliche Armut an Verben“52 das Ergebnis „einer mehrstufigen Stilentwicklung“53 war, und schließt:

Der textgenetische Blick ins Atelier zeigt Nizon nicht als ekstatischen Action-Writer, sondern als systematischen Red-Aktor seiner selbst: Wenn von den 249 Seiten des Buches mindestens fünfzehn aus früheren, mehr oder minder stark überarbeiteten Texten stammen, dann ist Canto weniger eine Aktionsprosa als vielmehr eine Redaktionsprosa.54

In Canto selbst lassen die autopoetologischen Verweise des Schreibers auf das momenthafte „Erschnellen“ und das beabsichtigte „Reisen“ der Dinge und Wörter „Aktionsprosa“ und „Redaktionsprosa“ als gleicherweise notwendige Momente auch seines Schreibens in wechselseitiger Ergänzung erscheinen.

Am besten lässt sich die Verbindung und Wechselwirkung der beiden Momente wohl mit der „idée musicale“ charakterisieren, durch die Pierre Boulez 1974/75 sein Komponieren sowohl von der reinen Spontanität der seriellen Musik wie von der rigorosen Geschlossenheit der Werke Stockhausens abgrenzt:

Pour moi, une idée musicale est comme une graine : vous la plantez dans un certain terreau, et, tout d’un coup, elle se met à proliférer comme de la mauvaise herbe. Il faut, après, élaguer. […] La tendance à la prolifération, je la sais dangereuse parce qu’elle peut entraîner toujours vers le même type de densité, c’est-à-dire une densité extrême à tout moment, une tension ou une variation extrême. Dans beaucoup de cas, il m’a donc fallu réduire, élaguer les possibilités, ou alors les mettre les unes à la suite des autres de manière à en faire une évolution dans le temps, et non pas une superposition qui aurait été trop compacte.55

Wie Boulez beim Komponieren verfährt Nizon beim Schreiben: Er lässt seine musikalische Idee wuchern („proliférer“) und muss sie zugleich zurechtstutzen („élaguer“), nachdem er sie in den Nährboden („terreau“) der Sonatenform gepflanzt hat56: 1. Satz: Ankommen in Rom, 2. Satz: Aufenthalt in Rom, 3. Satz: Wegfahren von Rom, nur dass das Ankommen zugleich ein Nichtankommen, der Aufenthalt zugleich eine Abwesenheit und das Wegfahren zugleich ein Hängenbleiben beinhaltet, was wiederum vom Gegenspiel zeugt, das auch die musikalische Idee bei Boulez charakterisiert. Dadurch, dass „jenes Gegensätzliche und Gegenläufige“57 den Text insgesamt in Inhalt, Form und Sprache prägt, sieht Ulrich Gerber den Schreiber in Canto eines „explizite[n] und vollständige[n] erzählerische[n] Programm[s]“58 überführt, das in Widerspruch steht zu seiner entschiedenen Ankündigung, „kein Programm“ (C 22) verfolgen zu wollen. Statt von „Programm“ ist aber bezüglich Canto eben eher von einer musikalischen Idee im Sinne Boulez‘ zu sprechen: Nizon lässt den Text wuchern und stutzt ihn zugleich zurecht, um einer Ästhetik des Unterbruchs bzw. Diskontinuierlichen zu folgen, die auf ein Kunstverständnis zurückgeht, das Nizon nach eigener Angabe aus seiner Auseinandersetzung mit Robert Walser und van Gogh gewonnen hat.

Karnevalistisches Weltempfinden

In seiner ersten Frankfurter Vorlesung, Mein van Gogh. Mein innerer Walser. Über Quellen59, führt Nizon aus, wie er durch beide „früh eine Vorstellung von künstlerischem Rüstzeug vermittelt und damit verbunden eine spezifische Métiervorstellung“ 60 bekommen habe, wie ihn aber „die Tragik in beider Künstlervita, […] das schreckliche Auseinanderfallen von Kunst und Leben“61 und ihr früher Tod dazu geführt hätten, sich an das zu halten, was sie sich selbst verwehrt hätten: den „Zugang zum Leben“ im Zugang „zum anderen Geschlecht und damit wohl zu ihrer ‚Unterwelt‘, dem Triebbereich.“62 Im Journal Die Innenseite des Mantels schreibt Nizon 1985, „spätestens in Rom“ habe „seine Triebnatur“ sich „Bahn gebrochen“63:

Die von mir oft erwähnte Befreiung von unerfüllbaren Ideologien und Glaubensgebäuden in Rom war identisch mit der Akzeptierung des Vitalen, wenn nicht Barbaren in mir. Ich warf den Anspruch, dass Leben und Kunstwerk ein wohlgefälliges Sinnganzes zu demonstrieren hätten, zum Teufel und akzeptierte die Sinnlosigkeit oder doch das totale Fremdsein im Leben, die Uneinsichtigkeit, das Dunkel.64

Dieses Verneinen eines „Sinnganzen“ und Akzeptieren der „Uneinsichtigkeit“ und des „Dunkels“ lässt sich in Canto, wie schon gezeigt, sowohl in der durchgängigen Auflösung und Entleerung Zeugnisse der europäischen Kulturgeschichte in Rom verfolgen wie im Aufbrechen der Syntax, beides zur Gewinnung eines diskontinuierlichen Nebeneinanders der Dinge und Wörter. Das gibt dem ganzen Text ein Klangbild, in dem Apollinisches und Dionysisches sich mischen, mit eigenen „Tonarten, Tempi, Tempiwechseln, mit Auftakten, Ober- und Untertönen, mit Haupt- und Nebenstimmen und solchen, die sich verflechten“65. Darauf hat Heinz F. Schafroth schon 1976 hingewiesen (allerdings ohne diese nietzscheanischen Begriffe zu verwenden), indem er auf ein „neues Bewusstsein […] gegenüber der Canto-Sprache“ aufmerksam machte:

Dass sie schön, reich, ungeheuer sinnenhaft und singend, lyrisch sei – diese in der […] Kritik vielfach variierte Feststellung braucht nicht berichtigt zu werden. Aber sie sollte erweitert werden. So wurde […] erstaunlich selten auf das Element des Zerstörerischen, das dieser Sprache innewohnt, hingewiesen, auf ihre verborgene Sprengkraft, ihr riskantes Gefälle von höchster Exaltation zu fast unheimlicher Verhaltenheit. […] Die Sprache trägt den Keim der Zerstörung in sich, sie demonstriert die Zerstörung in sich selber: Nizon lässt sie anrennen gegen Syntax und Transparenz, er reißt auseinander und setzt neu zusammen – als sollte die Sprache die nicht existierende Welt erst herstellen. Am Ende hat sie Welt und Leben verpasst und ist auf den eigentlichen Promotor von beidem gestoßen: den Tod.66

Nur in einem täuscht Schafroth sich in dieser treffenden Charakterisierung: Der Tod wird in Canto nicht erst, wie er schreibt, in „der Beschreibung von Tod und Begräbnis des Vaters“ oder in „der Unterweltsfahrt in ein Römer Nachtlokal“67 zum Thema, sondern gleich schon in den drei Worten, die das ganze Buch eröffnen: „Vater, nichts Nennenswertes“ (C 7). Denn „nichts Nennenswertes“ enthält eine deutliche Anspielung auf das Gedicht Vom armen B. B. im Anhang der Hauspostille, Bertolt Brechts erster Lyrik-Sammlung von 1927. Die achte Strophe des Gedichts endet mit den Versen: „Wir wissen, dass wir Vorläufige sind / Und nach uns wird kommen: nichts Nennenswertes.“68 „Nichts Nennenswertes“ geht also dem Tod nicht voraus, sondern folgt ihm, und das gilt auch für den Vater in Canto, der ja immer nun als Toter angerufen wird69, und für den Sohn, der hier nur als dessen Anrufer existiert, ungenannt, nur im Akt des Anrufs impliziert. Mit dem ohne Punkt alles eröffnenden Anruf des Toten und der Anspielung auf Brechts Gedicht enthält die Eröffnung des Buches also ein Memento mori, das die herkömmliche Vorstellung über die Abfolge von Leben und Tod zeitlich verkehrt: Der Tod, an den es erinnert, wird nicht erst kommen, er geht allem voraus. So kann der Schreiber in Canto später auch zu Recht sagen: „Das Leben, vom Tod erbaut. Das Leben vom Tod her aufgebaut.“ (C 236)

Diese Verkehrung der Abfolge von Leben und Tod ist wie alle anderen Verkehrungen in Canto Ausdruck einer karnevalistischen Grundhaltung, zu der Nizon „mit der Akzeptierung des Vitalen, wenn nicht Barbaren“70 in sich in diesem Buch ebenfalls gelangt. Im Karneval ist der Tod das, was der Schreiber in Canto apodiktisch festhält: „die Fassung des Lebens“ (C 236). „Auch und gerade der im Karneval feiernde Mensch […] weiß um die Begrenztheit seiner irdischen Existenz.“71 Die Szene, in der der Schreiber das Begräbnis seines Vaters vergegenwärtigt, spiegelt im Kleinen, was Canto als Ganzes zeigt: Als die Trauerfamilie in einer Kutsche zum Friedhof fährt und eine „Dreifrauenfront“ von weiblichen Trauergästen auftaucht, deren Taschen „schlapp und blöd zu den krampfhaft versiegelten weinbereiten dummen Gesichtern“ (C 125) baumeln, beginnt es im Gesicht der Mutter zu zucken, während die Kinder des Toten in lautes Lachen ausbrechen und „sterbend vor Lachen in den Friedhof“ (C 126) einfahren. Die Verkehrung von Thanatos in Eros, Weinen in Lachen, Trauer in Freude und umgekehrt, die hier und im ganzen Buch als „exzentrisch und deplaziert vom Standpunkt der Logik des gewöhnlichen Lebens“72 erscheint, ist nach Michail Bachtin eine Äußerung „des karnevalistischen Weltempfindens, die eng mit der Kategorie des intim-familiären Kontakts zusammenhängt.“73 Bachtin nennt vier Aspekte der „Karnevalisierung der Literatur“74, die alle in Canto anzutreffen sind: 1. „die umgestülpte Welt“75, 2. „der freie, intim-familiäre, zwischenmenschliche Kontakt“76, 3. „die karnevalistische Mesalliance“77 und 4. „die Profanation“78. Alle vier finden sich besonders ausgeprägt in der Rolle bzw. Maske wieder, die der Schreiber seinem Vater gegenüber annimmt, dem „Hurenhirt“ (C 130-146). Als „Amt, ehrenhalber“ (C 131) bezeichnet er diese Rolle (Umstülpung des Gewohnten), in der er die „echten Münzen Kameraderie in den Wortlosen“ (C 134) sucht (intim-familiärer Kontakt) und als privilegierter Stipendiat zu jenen Frauen schaut, die allgemein geächtet werden (Mesalliance), so dass er selbst durch das Präfix „Huren-“ als ungehöriger Hirt79 erscheint, was eine doppelte Profanation darstellt, gilt doch der Hirt einerseits in „der griechischen und römischen Literatur […] als Vertreter musischer Künste“, andererseits in der christlichen Tradition der Christusnachfolge als „pastor bonus, der sich um seine Herde (die Gläubigen) sorgt“. 80

Hurenhirt ist nur die hervorstechendste einer ganzen Reihe von Rollen, die der Schreiber annimmt:

Ich. Der Hurenhirt. Der Journalist. Der Vergesser. Mann in Grottaferrata. Stipendiat. Adoptiert von Verdacht, von Wohlmeinen, Ärger. Ich. Anderer Leute Gedankenvorspann, Sorge und Schadenfreude. Zirkulierer auf Wegen. Hammelexistenz. Ausgetreten. Bietet Rollen an. Kauft Legenden auf. Ich, dessen Platz unter der Sonne im Nachtlokal. Wie ihr behauptet. (C 174)

Autofiktion als Auflösung des Selbst

In allen diesen und weiteren Rollen bzw. Masken ist der Schreiber eine karnevalistische Erscheinung, eine Proteusfigur in ständiger Metamorphose, „anderer Leute“ Produkt und zugleich Produzent ihrer Legenden, laufengelassen vom Text und wieder zurückgerufen in ihn:

Den wir als Ich leben ließen, den lassen wir laufen, uns zu suchen. Zusammenzusuchen aus den Plätzen für Lebensminuten, den Minutenplätzchen in Rom. […] Der möchte hinaus aus dem Bann, der ihn auf den Bauch warf und hinein in das Ding. Das hier Rom heißt. […] Dann muss er sich zurücknehmen aus all den Plätzen. Und deshalb: zurück auf die Plätze, los! Suchen, sich und mich wiederzufinden und mitwegzunehmen. (C 91-92)

Das Ich des Schreibers wird wie die Dinge herausgelöst aus den gegebenen Stoff-, Ereignis- und Sinnzusammenhängen, um in der „Ungewissheit […] jeglichen Dings“ (C 48) durchs transitive „Reisen“ ebenfalls zugerüstet und zurechtgemacht zu werden. Zwar scheint dieser Schreiber wie der Autor des Buches „kein anderes Territorium [zu kennen] als das Selbst“81, aber wie diesem geht es ihm nicht darum, dieses zu finden und festzuhalten. Canto führt vor, wie die nizonspezifische Autofiktion zu verstehen ist: nicht so, dass „eine Figur, die eindeutig als Autor erkennbar ist […], in einer offensichtlich […] als fiktional gekennzeichneten Erzählung“82 auftritt, weil der Autor sich selbst „interessant zu machen “ suchen würde, „wie der Romancier seine Figur interessant macht“83, sondern so, dass ein Schreiber im Schreibprozess ein Ich hervorbringt, dessen Selbst ebenso ungewiss bleibt wie die Dinge, die es umgeben.

Den Zugang zu diesem nizonspezifischen Verständnis von Autofiktion hat man sich in der Literaturkritik und -wissenschaft zu oft verbaut, weil die von Nizon „selbst entwickelten Gedankenmodelle und Begrifflichkeiten lediglich nachvollzogen oder paraphrasiert [wurden] und so Nizon mit Nizon interpretiert“84 wurde, wobei man zugleich falsch verstand, was er meinte. Zu Missverständnissen gab Nizon schon 1962 Anlass, als er in einem Beitrag in der Zeitschrift Du schrieb, er gehe beim Schreiben vom eigenen „Fall“ aus:

Große Themen habe ich nicht an den Mann zu bringen oder in die Welt zu setzen. […] Aus dem mag hervorgehn, dass mein persönliches Leben für meine Arbeit von beträchtlichem Belang ist. Es ist zunächst der einzige Komplex, an den heranzukommen ich mir zutraue, es ist mein „Fall“, und ich bin weitgehend der Fall meiner Recherchen, der strapaziert werden muss. Was ich schreibe, wird demnach wohl unter autobiographistischer Prosa rubrizieren. Hoffen möchte ich, es erscheine auch unliterarisch, erweise sich als nicht erfinderisch, höchstens findend zustande gebracht, was schon abenteuerlich genug ist. Die Fronten von Leben und Arbeit kann ich mir nicht getrennt vorstellen, getrennt im Sinne eines Doppellebens, da natürlich die in der Sprachfindung hervorbrechende Gangart oder Figur mich mitverändert, mich mitnimmt in den Lebensraum, den sie aufsprengt.85

Als „autobiographistische Prosa“ sind Nizons Texte nicht in dem Sinne zu verstehen, dass der Autor in ihnen über sich schreibt, sondern dass er zum Thema macht, wie jemand über sich schreibt. Deshalb wurde in der hier vorliegenden Untersuchung der fiktive Schreiber im Text auch immer ausdrücklich vom Autor Nizon unterschieden. Die Gleichsetzung von Autor des Textes und Schreiber im Text wurde in der Nizon-Rezeption dadurch befördert, dass Nizon in der Kommentierung seiner Texte meist ebenso verfuhr wie in jener der Kunstwerke in seinen Kunstkritiken: So wie er sich dort „mitunter stärker mit dem jeweiligen Künstler und dessen Schaffensprozess als mit den Kunstwerken“86 beschäftigte, ging es ihm auch in seinen Äußerungen zu seinen Werken hauptsächlich um sich als Autor und dessen Schaffensprozess und nicht darum, wie seine Texte zu lesen und zu verstehen seien (was in öffentlichen Äußerungen von Autoren und Autorinnen ja generell weniger das Thema sein sollte). In seinem DU-Beitrag unterscheidet Nizon aber schon klar sein tatsächliches Schreibverfahren, das am eigenen „Fall“ anknüpft, von dem möglichen Ergebnis, das daraus hervorgehen „mag“, also von der Rubrizierung seiner Texte „unter autobiographistischer Prosa“, und von dem, was er selbst zunächst darin „hervorbrechen“ sieht: nicht sich selbst, sondern eine „Gangart oder Figur“, die ihn gerade deshalb „mitverändert“, weil sie etwas anderes erscheinen lässt als ihn. Immerhin geht „Figur“ ja auch auf das lateinische „fingere“ zurück, was neben „gestalten“ und „schaffen“ auch „einbilden“ und „vorgeben“ heisst. Nizon will zwar nicht „erfinden“, sondern „finden“, aber damit stellt er sich in die Tradition der okzitanischen und französischen Sänger im Mittelalter, die „troubadours“ und „trovères“, die wie er „finden“ wollten, und zwar Tropen, Sprachfunde und -figuren. Peter Utz hat auf treffende Weise auf den Begriff gebracht, was sich so als „Grundprinzip von Nizons Erzählkunst“87 schon 1962 ankündigt: „Aus dem Ballast der eigenen Biographie wird in raffinierter Umverteilung der Gewichte ein befreiter Text.“88 Befreit wird der Text von der Referenz auf den Autor und seine Realität. Diese „Umverteilung der Gewichte“ stellt sich in jedem Text Nizons wieder neu und anders her. Für den Schreiber in Canto betrifft sie den „Ballast der eigenen Biographie“ und zugleich den Ballast der Kulturgeschichte Roms. Beides zusammen wird in den ersten drei Worten des Buches angekündigt: „Vater, nichts Nennenswertes“ (C 7). „Nichts Nennenswertes“ wird im Weiteren den Ballast der Kulturgüter Roms betreffen. Der Ballast der eigenen Biographie wird im Anruf an den Vater angesprochen. Dieser gewinnt im Anruf den gleichen Satus erheblicher Fragilität wie in antiken Epen die Muse. So wie jene dort nur im Anruf existiert und es ungewiss ist, ob es sie gibt und sie dem Ruf folgen wird, ist auch der Vater hier nur im Anruf gegenwärtig. Der Akt des Anrufens schafft die angerufene Person und setzt zugleich eine anrufende voraus. Die Letztere ist hier mit dem Anruf an den Vater implizit als Sohn (oder Tochter) zu erkennen. Durch den Anruf ist der Vater ihr Erzeugnis ebenso wie sie qua Zeugung das seine ist. Beide sind sie Subjekt und Objekt zugleich, gegenwärtig nur durch die im Sprechen (bzw. Schreiben) vollzogene Handlung des Anrufens. Sie werden in diesem illokutionären Akt nicht durch eine Bezeichnung genannt und erscheinen beide auch als das, was gleich nach dem Komma angesprochen wird: als „nichts Nennenswertes“. Das subjekt- und prädikatslose Satzfragment überlässt uns die Entscheidung, wie wir „nichts Nennenswertes“ lesen: ob als Apposition von „Vater“, dann wäre der Vater „nichts Nennenswertes“, bedürfte keiner Nennung, weil er im Sprechakt des Anrufs vergegenwärtigt wird, oder als Mitteilung, die besagt, dass die ungenannte anrufende Person „nichts Nennenswertes“ mitzuteilen hat, nichts, das ins Gewicht fallen würde und deshalb bedeutend und damit erwähnenswert wäre. In beiden Fällen unterstellt die Äußerung zwar mögliche Bezugssysteme, die darüber entscheiden könnten, was ins Gewicht fallen und bedeutend sein könnte, überlässt diese aber der „Umverteilung“ durch die Lesenden.

Der Schreiber gibt sich nur in seinem Vater eine Existenz und diesem nur in sich. Er folgt dem Wahlspruch der radikalen Moderne, mit dem der 17jährige Arthur Rimbaud 1871 die Auflösung des Selbst in der poetischen Schrift suchte: „Je est un autre“, ich ist ein Anderer. Mit der Formulierung „Autokreation ist Autodestruktion“89, hat Samuel Moser prägnant auf den Punkt gebracht, worin es in Canto in der fortgesetzten Invokation des Vaters durch den Sohn geht. Bis zum Schluss des Buches sucht der Schreiber seinen Vater in jenem „Anderen Land“ zu finden, in das ihm der Angerufene unaufhörlich entweicht. „Du, mein Vater mit der abhandengekommenen Story, der gekappten Herkunft, die mich immerzu ausschickt nach einem Anderen Land, das du mir vorenthältst…“ (C 206) Dieses „Andere Land“ ist nicht einfach der Tod und noch weniger ein Jenseits im religiösen oder metaphysischen Sinn, es bleibt bis zum Schluss eine Utopie im wörtlichen Sinn: ein Nirgendwo, das nicht nur der Verortung unzugänglich ist, sondern auch jeder näheren Bestimmung. Und gerade in diesem Nirgendwo ist und bleibt der Vater allein identifizierbar: „Denn für mich bist und bleibst du: im Andern Land. Ich will es erreichen.“ (C 210) Die deutlichste Identifizierung des Vaters („bist und bleibst“) ist zugleich die unmöglichste: Identität im Nichtidentifizierbaren behält der Vater, auch da, wo er in seinem Grab einfach nur als Toter präsent ist: „Vater ist. Denn er ist tot. Gestorben und: Tod.“ (C 237) Im Grab ist er dem Sohn am sichersten gegeben:

Der lief nie weg, der darin ruhte, mein Vater du, unter dem knappen länglichen Beet. Dich konnte ich gießen, Vater, da unten im Grab. Einen grünen Friedhof hatten wir zusammen, den du mir schenktest. Und ließest gedeihen dein Anderes Land. Das ich mir nahm. (C 247)

So ist der Vater hier wieder beides, Objekt („dich konnte ich gießen“) und Subjekt („ließest gediehen“), so wie der Sohn als Anrufender Erzeugter und Erzeugender ist. Dieses Schweben zwischen Subjekt- und Objektsein gibt es nur im „Anderen Land“. Wo und was es ist, wird nie näher spezifiziert. Aber man kann vermuten, dass es wie Rimbauds „autre“ im Schreiben selbst liegt, das der Schreiber immer wieder der näheren Bestimmung, sei’s Verortung oder Identifizierung, zu entziehen sucht und nur mit dem Vater teilt, weil dieser „es“ nicht weitersagen kann: „Dir, Vater an der Wand, will ich mich mitteilen. Du hast Zeit, du sagst es nicht weiter, da du tot bist.“ (C 119) So nimmt der Sohn im ganzen Text, wenn er sich dem Vater „mitteilt“ – und sich mit ihm teilt – noch mehr Erscheinungsweisen an als dieser und sucht ihn und sich wie die Dinge „mit anderen Worten“ zu „erschnellen“ (C 51).

Zerfall der Zeichen in der „Wortpantomime“

Wie Nizon diese „anderen Worte“ wuchern lassen und zugleich zurechtstutzen möchte, hat er schon in seinen Notizen aus dem Romjahr 196090 ohne abschließenden Punkt festgehalten:

Wortpantomime: Worte nicht als Dingbezeichnungen gebrauchen, sondern wie im Stummfilm gestikulieren lassen. Die Worte wackeln zittrig oder fröhlich oder keck oder windschief über den Plan (des Blattes, des Aufnehmenden) in unsäglichen Verbindungen, in fadenscheinigem oder brüskierendem Zusammenhang; dünner rissiger Zusammenhang91

Was Nizon hier 1960 mit den Worten zu machen beabsichtigt und in Canto dann mit rigoroser Konsequenz durchführt, hat Roland Barthes 1968 in seinem Aufsatz über den „Wirklichkeitseffekt“ der Dinge als „die große Angelegenheit der Moderne“92 bezeichnet. Barthes zeigt auf, wie Gustave Flaubert in Madame Bovary Dinge nennt, die im Erzählzusammenhang „auf den ersten Blick nicht nennenswerter Natur“93 sind. „Nennenswerter Natur“ sind im Erzählen von der Antike und bis ins 19. Jahrhundert nach Barthes Dinge, die sich mit der „funktionalen Sequenz“ des Erzählten und einem „Signifikat“ verknüpfen lassen, „das einen Charakter, eine Stimmung oder ein Wissen mitteilt.“94 In Flauberts Erzählen tauchen Dinge auf, die diese Funktion nicht mehr erfüllen und nur noch dazu dienen, „das Wirkliche zu bedeuten“95. Sie „sagen letztlich nichts anderes als: wir sind das Wirkliche96 bzw. wir sind das „Signifikat des Realismus“97: „Es kommt zu einem Wirklichkeitseffekt, zur Grundlegung [eines] uneingestandenen Wahrscheinlichen, das die Ästhetik aller gängigen Werke der Moderne bildet“98. Diese Ästhetik zielt nach Barthes darauf, „die dreiteilige Natur des Zeichens zu untergraben“99, Signifikant, Signifikat und Referent. Nur geht Flaubert für Barthes im Hinblick auf dieses Ziel noch zu wenig weit, sondern begeht im Rahmen des Realismus geradezu eine Regression:

Der Zerfall des Zeichens – der durchaus die große Angelegenheit der Moderne zu sein scheint – ist im realistischen Unterfangen zwar anwesend, aber auf gewissermaßen regressive Weise, da er im Namen einer referentiellen Fülle geschieht, wo es sich doch heute, im Gegenteil, darum handelt, das Zeichen zu leeren und seinen Gegenstand endlos weiter zurückzuversetzen, bis die jahrhundertealte Ästhetik der „Repräsentation“ radikal in Frage gestellt wird.100

Eben das, worum es nach Barthes 1968 im Schreiben ging, hat Nizon in Canto schon fünf Jahre zuvor auf verwegene Weise realisiert. In seiner entschiedenen Absage an die „Ordnung der Erzählung (der Nachahmung oder ‚Poesie‘)“101, an „das Wahrscheinliche“, das „immer nur das Meinbare“102 sein kann, übergibt er seinen Schreiber ebenso wie die Dinge um ihn mit der Frage „Warum gerade das?“ (C 12) einem „Wirkungsturm“ (C 13), in dem – mit Barthes gesagt –, „nichts mehr anzeigen [kann], warum es die Einzelheiten gerade hier abzubrechen gilt, und nicht da“103. Zugleich bemüht er sich im ganzen Text, der „referentiellen Fülle“ der römischen Realität, die „Ungewissheit […] jeglichen Dings“ (C 48)“ entgegenzuhalten und so „das Zeichen zu leeren und seinen Gegenstand endlos weiter zurückzuversetzen“, indem er schließlich bloß „was immer“ (C 248) aufgreift, Dinge im ungeordneten Nebeneinander, und nur noch „vom Ding“ (C 249) spricht. Dieses „Ding“ mag in seiner Unbestimmtheit und Unsagbarkeit an das kantische „Ding an sich“ erinnern. Im Unterschied zu diesem geht es aber nicht der Erscheinung der Dinge in Raum und Zeit voraus, sondern dem Gesang auf sie in einer „Wortpantomime“, in der die Wörter „zittrig oder fröhlich oder keck oder windschief über den Plan“ laufen, „in unsäglichen Verbindungen, in fadenscheinigem oder brüskierendem Zusammenhang“.104

Siegfried Unseld hat, als Nizon ihm durch die Vermittlung von Max Frisch, die ersten Textproben von Canto vorlegte, die kühne Radikalität des großen Wurfs erkannt, hielt es – wohl zu Recht – „für das gewagteste Werk jenes Jahrzehnts“ und meinte, es „würde einen außergewöhnlichen Erfolg haben.“105 Das hat den damals 34jährigen Jungautor, der noch zwei Jahre zuvor „ein unbedeutender Museumsassistent gewesen“106 war, beim Schreiben wahrscheinlich zu noch mehr Wagemut angestachelt. Um so enttäuschender war dann der durchschlagende Misserfolg beim Lesepublikum, als „nur 1500 Exemplare“107 verkauft wurden. Erst seither entdeckt ein literarisch interessiertes Lesepublikum in Canto „das Gelingen, seine Unverwechselbarkeit und Unwiederholbarkeit“108 immer wieder neu.

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Robbe-Grillet, Alain: Une voie pour le roman futur [1956]. In: Ders.: Pour un nouveau roman. Paris 1963, S. 15-23.
Robbe-Grillet, Alain: Du réalisme à la réalité [1955/1963]. In: Ders.: Pour un nouveau roman. Paris 1963, S. 135-144.
Schafroth, Heinz F.: Nachwort. … Ausziehen mit unserem Tod gegen den Tod. In: Paul Nizon: Canto. Mit einem Nachwort von Heinz F. Schafroth. Frankfurt a. M. 1976, S. 146-152.
Schülke, Anne: ‘Autofiktion’ im Werk Paul Nizons. Bielefeld 2014.
Utz, Peter: Paul Nizons Poetenmantel. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Heft 110. Paul Nizon. München 1991, S. 55-62.
Zipfel, Frank: Autofiktion. In: Dieter Lamping, Sandra Poppe (Hrsg.): Handbuch der literarischen Gattungen. Stuttgart 2009, S. 31-36.


  1. Paul Nizon: Die Republik Nizon. Eine Biographie in Gesprächen geführt mit Philippe Derivière, aus dem Französischen übertragen von Erich Wolfgang Skwara, mit einem Nachwort von Christoph W. Bauer. Innsbruck-Wien 2017, S. 59-60.
  2. Ebd., S. 57.
  3. Paul Nizon: Canto [1963]. Frankfurt a.M. 1992, S. 22. Im Lauftext wird mit C und Seitenzahl in Klammern auf diese Publikation verwiesen.
  4. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik III. Werke 15. Frankfurt a. M. 1986, S. 227.
  5. Ebd., S. 228.
  6. Ebd., S. 226.
  7. Ebd., S. 227.
  8. Ebd.
  9. Ebd., S. 227-228.
  10. Ebd., S. 227.
  11. Paul Nizon: Zum musikalischen Verfahren. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Heft 110. Paul Nizon. München 1991, S. 27-28, hier S. 27.
  12. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Frühe Schriften. Werke Bd. 1. Frankfurt a. M. 1986, S. 618.
  13. Johann Wolfgang von Goethe: Italienische Reise [1816]. Mit 40 Zeichnungen des Autors. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Christoph Michel. Frankfurt a. M. 1976, S. 61.
  14. Ebd., S. 196.
  15. Ebd., S. 202.
  16. Vgl. z. B. Peter Hamm: In Rom und anderswo. In: Martin Kilchmann (Hrsg.): Paul Nizon. Frankfurt a. M. 1985, S. 115-118, hier S. 116.
  17. Vgl. Alain Robbe-Grillet: Une voie pour le roman futur [1956]. In: Ders.: Pour un nouveau roman. Paris 1963, S. 15-23, hier S. 18: „[…] le monde n’est ni signifiant ni absurde. Il est tout simplement. […] les choses sont là.“ Übers. D. R.: „[…] die Welt ist weder bedeutungsvoll noch absurd. Sie ist einfach. […] die Dinge sind da. “
  18. Ebd., S. 20: „Que ce soit d’abord par leur présence que les objets et les gestes s’imposent, et que cette présence continue ensuite à dominer, par-dessus toute théorie explicative qui tenterait de les enfermer dans un quelconque système de référence, sentimental, sociologique, freudien, métaphysique, ou autre.“ Übers. D. R.: „Durch ihre Gegenwart sollten sich Objekte und Gesten zu allererst behaupten, und diese Gegenwart sollte sich dann durchsetzen, jenseits jeder erklärenden Theorie, die versuchen würde, sie in irgendein Bezugssystem einzubinden, sei es emotional, soziologisch, freudianisch, metaphysisch oder sonst wie.“
  19. José Brunner: Einführung. In: Ders. (Hrsg.): Erzählte Dinge. Mensch-Objekt-Beziehungen in der deutschen Literatur. Göttingen 2015, S. 7-18, hier S. 7.
  20. Ebd.
  21. Ebd.
  22. Dorothee Kimmich: Dinge in Texten. In: Susanne Scholz und Ulrike Vedder (Hrsg.): Handbuch Literatur & Materielle Kultur. Berlin/Boston 2018, S. 21-28, hier S. 21
  23. Ebd.
  24. Vgl. Alain Robbe-Grillet: Du réalisme à la réalité. In: Ders., wie Anm. 17, S. 135-144, hier S. 138: „Il m’est arrivé, comme à tout le monde, d’être victime un instant de l’illusion réaliste.“ Übers. D. R.: „Es ist mir, wie jedermann, gelegentlich passiert, der realistischen Illusion zum Opfer zu fallen.“
  25. Nizon, wie Anm. 1, S. 59.
  26. Zit. nach Peter Grotzer: Nachwort. In: Paul Nizon: Canto. Mit einem Nachwort von Peter Grotzer. Zürich 1988, S. 231-243, hier S. 236-237.
  27. „Mein Halt ist die Verneinung.“ (C 14)
  28. Doris Krockauer: Paul Nizon. Auf der Jagd nach dem eigenen Ich. München 2003, S. 41.
  29. Ebd.
  30. Ebd.
  31. Hegel, wie Anm. 4, S. 227.
  32. Ebd.
  33. Ebd.
  34. Nizon, wie Anm. 11, S. 27.
  35. Ebd.
  36. Martin Kilchmann: „Das Leben schreiben.“ Paul Nizons schriftstellerisches Werk als Spiegelung eines heutigen Poetenlebens. In: Ders. (Hrsg.): Paul Nizon. Frankfurt a. M. 1985, S. 11-63, hier S. 19.
  37. Hegel, wie Anm. 4, S. 227.
  38. Zit. nach Grotzer, wie Anm. 26, S. 237.
  39. Paul Nizon: Am Schreiben gehen. Frankfurter Vorlesungen. Frankfurt a. M. 1985, S. 116.
  40. Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Band 14 [1893]. Achter Band. R-Schiefe. Bearbeitet und unter der Leitung von Dr. Moriz Heyne. München 1991, Sp. 735.
  41. Philippe Derivière: Paul Nizon – Das Leben am Werk. Ein Essay. Aus dem Französischen von Erich Wolfgang Skwara. Frankfurt a. M. 2003, S. 91.
  42. Philippe Derivière: La vie à l’œuvre. Un essai sur Paul Nizon. Paris 2000, S. 80.
  43. Paul Nizon: Die Innenseite des Mantels. Journal. Frankfurt a. M. 1995, S. 63.
  44. Derivière, wie Anm. 42,
  45. Nizon, wie Anm. 44, S. 63.
  46. Nizon, wie Anm. 40, S. 45.
  47. Ebd., S. 48
  48. Vgl. Paul Nizon: Sehblitz. Almanach der modernen Kunst. Hrsg. von Pino Dietiker und Konrad Tobler. Frankfurt a. M. 2018.
  49. Pino Dietiker: Bildungsfluchten mit Bildungsgepäck. Paul Nizons Italienreisen zwischen Literatur und Kunstgeschichte. In: Corinna Jäger-Trees, Hubert Thüring (Hrsg.): Blick nach Süden. Literarische Italienbilder aus der deutschsprachigen Schweiz. Zürich 2019, S. 241-260, hier S. 253.
  50. Ebd.
  51. Zit. nach ebd., S. 256.
  52. Zit. nach ebd.
  53. Ebd.
  54. Ebd., S. 257
  55. Pierre Boulez: Par volonté et par hasard. Entretiens avec Célestin Deliège. Paris 1975, S. 14-15, zit. nach: https://www.cairn.info/revue-nouvelle-revue-d-esthetique-2009-2-page-85.htm#re15no15 (Zugriff 31. 07. 2021). Übers. D. R.: „Für mich ist eine musikalische Idee wie ein Samenkorn: Man pflanzt es in einen bestimmten Nährboden, und plötzlich beginnt es wie Unkraut zu wuchern. Dann muss man sie zurechtstutzen. […] Ich weiß, dass die Tendenz zur Wucherung gefährlich ist, weil sie immer zur gleichen Art von Dichte führen kann, d.h. zu einer jederzeitigen extremen Dichte, einer Spannung oder extremen Variation. In vielen Fällen musste ich daher die Möglichkeiten reduzieren, zurechtstutzen oder sie so aneinanderreihen, dass sie sich im Laufe der Zeit entwickeln und nicht zu kompakt übereinanderliegen.“
  56. Vgl. Kilchmann, wie Anm. 37, S. 18-19.
  57. Ulrich Gerber: Die Verantwortung. Ein Beitrag zum Verständnis zeitgenössischer Romane. Diss. Zürich 1972, S. 17.
  58. Ebd., S. 12
  59. Nizon, wie Anm. 40, S. 9-33.
  60. Ebd., S. 11
  61. Ebd., S. 31
  62. Ebd., S. 32
  63. Nizon, wie Anm. 44, S. 209.
  64. Ebd., S. 212
  65. Nizon, wie Anm. 11, S. 27.
  66. Heinz F. Schafroth: Nachwort. … Ausziehen mit unserem Tod gegen den Tod. In: Paul Nizon: Canto. Mit einem Nachwort von Heinz F. Schafroth. Frankfurt a. M. 1976, S. 146-152, hier S. 149 und 150.
  67. Ebd., S. 150
  68. Bertolt Brecht: Ausgewählte Gedichte. Auswahl von Siegfried Unseld. Nachwort von Walter Jens. Frankfurt a. M. 1971, S. 21.
  69. Hinzu kommt noch, das Nizons Vater ein Zeitgenosse Brechts war, 1891, sieben Jahre vor Brecht geboren, und 1941, fünfzehn Jahre vor Brecht, gestorben.
  70. Nizon, wie Anm. 44, S. 212.
  71. Wolfgang Oelsner: „Im Himmel ist der Teufel los“. Närrische Todes- und Jenseitsvorstellungen. In: Stefanie Knöll (Hrsg.): Narren – Masken – Karneval. Meisterwerke von Dürer bis Kubin aus der Düsseldorfer Graphiksammlung „Mensch und Tod“. Regensburg 2009, S. 73-79, hier S. 73.
  72. Michail Bachtin: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Aus dem Russischen übersetzt und mit einem Nachwort von Alexander Kaempfe. München 1969, S. 48.
  73. Ebd., S. 49
  74. Ebd., S. 47
  75. Ebd., S. 48
  76. Ebd.
  77. Ebd., S. 49
  78. Ebd.
  79. Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Band 10 [1877]. Vierten Bandes Zweite Abtheilung. H – Juzen. Bearbeitet von Moriz Heyne. München 1991, Sp. 1960: „volksmäszig ist hure als erstes Glied von compositen verwendet, um etwas schädlich wucherndes und ungehöriges zu bezeichnen“.
  80. Manfred Lurker (Hrsg.): Wörterbuch der Symbolik. Stuttgart 1988, S. 308.
  81. Silvia Henke: „Ich sehe mich“: Spiegel-Drama des Schriftstellerwerdens. In: Paul Nizon. Quarto. Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs nº 47. Bern 2019, S. 25-30, hier S. 30.
  82. Frank Zipfel: Autofiktion. In: Dieter Lamping, Sandra Poppe (Hrsg.): Handbuch der literarischen Gattungen. Stuttgart 2009, S. 31-36, hier S. 31.
  83. Serge Doubrovsky, zit. nach Anne Schülke: ‘Autofiktion’ im Werk Paul Nizons. Bielefeld 2014, S. 23.
  84. Krockauer, wie Anm. 28, S. 19.
  85. Paul Nizon: „Die in der Sprache zustande kommende Wirklichkeit ist die einzige, die ich kenne und anerkenne.“ In: Kilchmann, wie Anm.16, S. 92-94, hier S. 93-94.
  86. Pino Dietiker: „Der beste Kunstschriftsteller Mitteleuropas“. Paul Nizon zwischen Literatur und Kunstkritik. In: Paul Nizon. Quarto, wie Anm. 82, S. 17-23, hier S. 21.
  87. Peter Utz: Paul Nizons Poetenmantel. In: Arnold, wie Anm. 11, S. 55-62, hier S. 61.
  88. Ebd.
  89. Samuel Moser: In der Bibliothek Nizon. In: Paul Nizon: Romane. Erzählungen. Journale. Mit einem Nachwort von Samuel Moser. Frankfurt a. M. 2009, S. 1445-1469, hier 1464.
  90. Nizon, wie Anm. 40, S. 47.
  91. Ebd.
  92. Roland Barthes: Der Wirklichkeitseffekt. In: Ders.: Das Rauschen der Sprache. (Kritische Essays IV). Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Frankfurt a. M. 2006, S. 164-172, hier S. 172.
  93. Ebd., S. 165.
  94. Vgl. ebd., S. 168.
  95. Ebd., S. 171.
  96. Ebd.
  97. Ebd.
  98. Ebd.
  99. Ebd., S. 172
  100. Ebd.
  101. Ebd., S. 170.
  102. Ebd.
  103. Ebd., S. 169.
  104. Nizon, wie Anm. 40, S. 47.
  105. Nizon, wie Anm. 1, S. 54.
  106. Ebd., S. 58
  107. Vgl. ebd., S. 54.
  108. Schafroth, wie Anm. 67, S. 153.