Reklame-Uhr, Klingel, Knöpfe, Glaskugel.
Zu den Gegenständen in Robert Walsers Roman Der Gehülfe


Anna Fattori
Università Roma Tor Vergata

Obwohl Robert Walser lange Zeit als wirklichkeitsfremder Idylliker und als abstrakter Naturpoet galt, sind viele seiner Texte dinggesättigt. Im Roman Der Gehülfe wird das Gegenständliche ins Äuβerste gesteigert, und zwar in der Beschreibung von Toblers Erfindungen – Reklame-Uhr, Tiefbohrmaschine, Krankenstuhl –, die eine zentrale Rolle beim Prozess des Verfalls der Familie spielen, in der Schilderung des Gartens der Villa, vor deren Tür eine rätselhafte „schöne, farbige Glaskugel“ steht, und in der ausführlichen Auflistung der „kleinen nichts- und für ihn vielbedeutenden Gegenstände“ des Protagonisten Joseph Marti. Ausgehend von den Theorien von Michel Foucault, Bruno Latour und Hartmut Böhme möchte der Beitrag auf das ‚Sex-Appeal vom Unorganischen‘ (Perniola) eingehen – davon zeugen Toblers Faszination für die eigenen Erfindungen und im allgemeinen für das Materielle – und diesen Aspekt in Verbindung mit der zukunftweisenden, technologischen Dimension der Heterotopie von Villa Tobler, dem Schauplatz der Handlung, setzen. Schlieβlich sollen die zwei Kategorien der (auch sprachlich) komplexen, technologischen Gegenstände – der oben erwähnten Erfindungen Toblers und der anspruchslosen, einfachen, aber affektgeladenen Gegenstände von Joseph – näher definiert und im Hinblick auf die Interpretation des Romans fruchtbar gemacht werden.
Schlüsselwörter:
Robert Walser, Dinge, Dingtheorie, Raumtheorie

The advertising clock, a door bell, buttons, a glass ball.
On objects in Robert Walser’s novel The Assistant

Although for many years Robert Walser has been considered first and foremost as a fanciful idealist and as a naturalist poet somewhat removed from the world, many of his texts are richly peppered with objects. In the novel The Assistant material objects exert particular influence, as can be seen for example in the case of ambitious inventions and their role in the decline of the Tobler family. The description of the garden surrounding the Villa Tobler draws attention to this world of objects, for example the mysterious “pretty multicoloured glass ball” at the front door of the Villa and the line-by-line listing of the small cheap things which make up Joseph’s belongings. Drawing on theories by Michael Foucault, by Hartmut Böhme and by Bruno Latour, this essay aims to explore the ‘sex appeal of the inorganic’ (Mario Perniola), linking Tobler’s fascination with his inventions and with the material world more generally to the technological, future-oriented dimension of the heterotopia of the Villa where the novel is set. By exploring these juxtapositions and unpicking the linguistic complexity through which Tobler’s sophisticated inventions are described (e.g. ‘Reklame-Uhr’ or advertising clock, ‘Tiefbohrmaschine’, ‘Krankenstuhl’), fresh insights into the work are highlighted.
Keywords:
Robert Walser, objects, thing theory, theory of space

Du solltest doch wissen, […] daβ es unsere Wünsche und Begierden sind, die einem Stoff Wert, dem anderen Unwert verleihen.
Christa Wolf1

1. Zur Gegenständlichkeit in Walsers Texten

Als ‚Sachtexte‘ werden von Jochen Greven, dem Herausgeber des Werks von Robert Walser, jene Texte des Bieler Dichters gekennzeichnet, in denen Gegenstände zentral sind,2 wie es oft schon die entsprechenden Titel ankündigen: Asche, Nadel, Bleistift und Zündhölzchen; Lampe, Papier und Handschuhe; Rede an einen Kopf; Rede an einen Ofen; Reisekorb, Taschenuhr, Wasser und Kieselstein; Mäntel; Damenschuhe; Das Van Gogh-Bild; Der alte Brunnen; „Damenbildnis“; Karls Ritterschlacht.. Unter die Rubrik der ‚Sachtexte’ rechnete Greven auch Texte, die man heute eher geneigt wäre, der Textsorte der Bildbeschreibung zuzurechnen. Julia Maas hat in ihrer Dissertation – bislang der einzigen umfangreichen wissenschaftlichen Arbeit, die sich mit den Objekten in Walsers Gesamtwerk auseinandersetzt – darauf hingewiesen, dass der Terminus ‚Sachtexte‘ – obwohl als Verlegenheitsbegriff entstanden – als Oberbegriff „für jene Texte der Kurzprosa verwendet werden kann, in denen erstrangig Dinge (bzw. Sachen) und nicht menschliche Akteure beschrieben sind“3. Ihre Dissertation beleuchtet neben den reinen ‚Sachtexten’ auch jene Arbeiten Walsers, in denen „Dinge – auf Figuren bezogen – in quantitativ mehr als erheblichen Maβe vorkommen“4, und zwar bezüglich der Auβenwelt seiner Dichter-, Maler- und Schauspielerfiguren. In der Tat ist die besondere Beziehung zu den Dingen ein interessanter Aspekt etlicher Figurendarstellungen bei Walser.

Auch die Welt des Spaziergängers, der „Grundfigur von Walsers Dichtung“5, ist dinggesättigt. Die episodenhaft strukturierte Erzählung Asche, Nadel, Bleistift und Zündhölzchen; Lampe, Papier und Handschuhe; Rede an einen Kopf; Rede an einen Ofen; Reisekorb, Taschenuhr, Wasser und Kieselstein; Mäntel; Damenschuhe; Das Van Gogh-Bild; Der alte Brunnen; „Damenbildnis“; Karls Ritterschlacht. etwa besteht aus einer Reihe von Begegnungen, die stellenweise zu einer Liste von Dingen werden, wie dies exemplarisch in der sprachlichen Wiedergabe der Geschäfte bzw. der Waren, die in Schaufenstern ausgestellt werden, zum Ausdruck kommt:

Papier-, Fleisch-, Uhren-, Schuh-, Hut-, Eisen-, Tuch-, Kolonialwaren-, Spezerei-, Galanterie-, Mercerie-, Bäcker- und Zuckerbäckerläden. Und überall, auf allen diesen Dingen liebe Abendsonne […]
Ferner nicht zu übersehen oder zu vergessen: Aufschriften und Ankündigungen wie »Persil« oder »Maggis unübertroffene Suppenrollen« oder »Continental-Gummiabsatz enorm haltbar« oder »Grundstück zu verkaufen« oder »Die beste Milch-Schokolade« oder ich weiß wahrhaftig nicht, was sonst noch alles. Wollte man so aufzählen, bis alles getreulich aufgezählt wäre, so käme man an kein Ende. 6

In dieser leicht expressionistisch anmutenden Auflistung wird der von Benjamin als ‚Dingsammler‘ charakterisierte Flaneur zum Sprachsammler.7 Tamara Evans hat auf das „Mosaikhafte und Keleidoskopische“8 dieser Wahrnehmungs- und Schilderungsweise hingewiesen, eines der zahlreichen Zeichen der Moderne bei Walser. Durch den Standort und das Bewusstsein des Beobachters bedingt, erscheinen die Dinge in Walsers Texten in ihrer überdeutlichen, oft bruchstückhaften und damit spektralen Konturenhaftigkeit; sie weisen auf eine andere, eine gleichsam ‚metaphysische’ Dimension hin und werden zu nicht-menschlichen Akteuren, die unter den Augen des Beobachters ein selbständiges Dasein führen:

Tobler öffnete schwerfällig sein amerikanisches Rollschreibpult, nahm […] eine Feder zur Hand, ein Blatt Papier, um seiner Mutter einen Brief zu schreiben. Aber die Buchstaben, die er aufsetzte, tanzten ihm vor den Augen. Das Pult flog an seiner wild gewordenen Empfindung hoch auf, das Bureau drehte sich, er mußte aufhören. (GW 5 262-3)

Die hier zitierte Textpassage stammt aus Der Gehülfe – „ein ganz und gar realistischer Roman“9, sagte der Autor zu Carl Seelig –, einem Roman, der wie kein anderes Erzählwerk von Walsers sich auf die Innerlichkeit der Hauptfigur konzentriert, aus deren Bewusstsein der Leser das Geschehen wahrnimmt. Gerade dieser handlungsarme, bezüglich der Innenweltdarstellung zukunftsweisende Roman, der manchAe Aspekte der auf einer Reflektorfigur basierenden und erst einige Jahre später erschienenen Romane von Virginia Woolf oder James Joyce vorwegnimmt, ist auch hinsichtlich des Themas der Gegenstände – also der Beschreibung dinglicher Auβenwelt – besonders relevant. Karl Wagner hat treffend festgestellt, dass im Gehülfen „die Depotenzierung der Handlung eine entsprechende Aufwertung der Dinge und Details bis hin zu deren Fetischisierung“10 hat; kein anderer Roman der deutschsprachigen Schweizer Literatur des frühen 20. Jahrhunderts hat wie dieser „Schwellentext“11 von Walser zum Entfabelungsprozess der Romangattung beigetragen.

Der Ingenieur Tobler, der Arbeitsgeber und in mancher Hinsicht der Gegenspieler des Protagonisten Joseph, ist dingbesessen. Auch Joseph muss sich, als Gehülfe und damit als Untergebener des Ingenieurs, intensiv mit Toblers fixen Ideen d. h. mit seinen eigenartigen Erfindungen auseinandersetzen, denn seine Aufgabe besteht darin, Zeitungsanzeigen und Briefe an Kapitalisten zu schreiben, um passende Finanzierungen zu finden, die es erlauben, die Erfindungen zu verwirklichen12. Seine Sicht auf Tiefbohr-Maschine, Reklame-Uhr, Schützenautomat, Krankenstuhl, Dampfmaschine – so werden sie bezeichnet – ist aber eine ganz andere als die begeisterte und idealisierende von Tobler.

Im vorliegenden Beitrag werden neben den zukunftweisenden Erfindungen des Ingenieurs zwei Kategorien von Objekten bzw. ausgewählte Objekte für jede Gruppe unter die Lupe genommen: die affektgeladenen Sachen, die Joseph bei seiner Ankunft in der Villa Zum Abendstern in seinem Koffer hat, und die auf den Gegensatz zwischen Schein und Sein hinweisenden Artefakte der Dingwelt des Gartens, der die Villa umgibt.

Da die genannten drei Kategorien von Dingen ausgesprochen ortsgebunden sind, wird zunächst kurz die Topographie des Tobler-Hauses geschildert, das als sinnbezogener Raum wesentlich zum Bedeutungsaufbau des Romans beiträgt.

2. Die Topographie der Villa Zum Abendstern

Von der Villa, „einem wahren Sonntagshaus“ (GW 5 30), die wegen ihrer hohen Lage und ihres stattlichen Aussehens von den Dorfbewohnern bewundert wird, werden nur einige Räumlichkeiten und manche Details ausführlich beschrieben. Ihre doppelte Natur kommt gleich zur Sprache: „Das Toblersche Haus war […] zweiteilig, es bestand aus einem Wohnhaus wie aus einem Geschäftshaus“ (GW 5 25). Diese Charakterisierung weist auf das Anfang des 20. Jhs. in der Schweiz noch übliche Modell des ganzen Hauses hin, zu dessen typischen Merkmalen nicht nur die untrennbare Einheit von Privatraum und Betrieb, sondern auch „der Primat der patriarchalischen Autorität“13 gehörte. Auf die Doppelheit im übertragenen Sinne, d. h. auf die Diskrepanz zwischen Sein und Schein weisen bereits auf den ersten Seiten einschränkende Ausdrücke wie „anscheinend“ (GW 5 5), „scheinbar“ (ebd.), „Treppe, die eher für Hühner als für Menschen gemacht schien“ (ebd), „Tobler schien nicht geneigt, […“ (GW 5 6) Tatsächlich ist es so, dass der Schein trügt, denn die gepflegte Fassade der Villa verbirgt nicht nur heikle, gespannte patriarchalische Familienverhältnisse, sondern auch eine problematische finanzielle Situation.

Umgeben ist das Haus von einem breiten „abstürzenden Garten“ (GW 5 13), der die Funktion einer Schwelle bzw. eines Grenzbereiches zwischen der beneidenswerten Welt der Villa und der der armen Dorfbewohner hat. Neben der exponierten Lage trägt ein Gartenhaus, das abends erleuchtet wird, dazu bei, die Aufmerksamkeit der Passanten auf die Villa zum Abendstern zu lenken. Der Kupferturm, der eigentümliche Garten, die Veranda, außerdem die Schweizer Fahne, die nach der 1.-August-Feier noch einige Zeit oben im Turm „in heiteren majestätischen Bewegungen […] um die feste Stange [sich windet]“ (GW 5 106), sind Prestige-Zeichen, die dem Hause sein unverwechselbares Aussehen verleihen. Einen besonderen, seltsamen und z. T. exotischen Reiz erhält der Garten durch zwei Elemente, die im Kontext der bescheidenen, eher noch ländlich geprägten Bärenswiler Umwelt besonders auffallen: eine künstliche Grotte und eine vor der Haustür stehende, große Glaskugel, die „der Stolz der ganzen Villa Tobler“ (GW 5 39) ist.

Durch die Polarität von Keller und Dachboden wird an der Villa eine vertikale Dimension betont. Der Arbeitsraum ist im Untergeschoss, das durch eine sehr enge Treppe zu erreichen ist, die gemeinsamen Räumlichkeiten im Parterre, die Schlafzimmer der Familie Tobler im ersten Stockwerk und das kleine Zimmer von Joseph oben im Turm, der von einem (noch nicht bezahlten) Kupferdach bedeckt ist. Das Leben des Protagonisten spielt sich zwischen dem technischen Büro „unten der Erdlinie im Keller“ (GW 5 7) und seinem Schlafzimmer oben ab – den einzigen Räumlichkeiten des Hauses, die man sich einigermaßen vorstellen kann, da sie näher beschrieben werden, während die anderen Räume im Großen und Ganzen und fast nur im Hinblick auf ihre Position im Gebäude geschildert werden.

Laut Toblers Reaktion ist Joseph zwei Tage früher als mit dem Vermittlungsbüro vereinbart bei ihm erschienen („Warum […] kommen sie denn eigentlich heute schon? Ich habe Sie doch erst für Mittwoch bestellt“, GW 5 6), was beim Gehülfen schon bei seiner Ankunft in der Villa ein Gefühl der Inadäquatheit und Unterlegenheit bezüglich seiner Arbeit hervorruft: „Es ging ihm eigentümlich, er verstand nur die Hälfte“ (GW 5 10); „‚Werde ich taugen?‘, dachte Joseph“ (GW 5 12). Als Zuflucht vor den oft irritierenden Arbeitsverhältnissen zeichnet sich von Anfang an das Turmzimmer ab, das dergestalt zu einem Gegenraum zum technischen Büro wird. Diese zwei Räumlichkeiten und die damit verbundenen Gegenstände werden im Folgenden näher betrachtet.

3. Toblers Erfindungen und sein ‚technisches Büro‘

Der Raum im Untergeschoss ist Toblers Reich, wo er nach Lust und Laune walten kann. Hier werden Projekte und Skizzen der Erfindungen entworfen, außerdem Geschäftsbriefe und Zeitungsanzeigen zur Suche nach passenden Investoren geschrieben, die die Maschinerien Toblers finanzieren könnten. Das Zimmer ist sehr einfach möbliert: ein kleines „Sitzpult mit einer Schieblade“ (GW 5 8), ein winziger Tisch, woran Joseph arbeiten wird, Toblers „amerikanisches Rollschreibpult“ (GW 5 261-2), das Ähnlichkeiten mit jenem merkwürdigen amerikanischen Schreibtisch hat, der sich in Kafkas in Kafkas Amerika im Hause des reichen Onkels des Protagonisten Karl Rossmann befindet. Wesentlicher Bestandteil der Toblerschen Büro-Ausstattung sind allerlei Schreib- und Zeichengeräte, außerdem ein Telephon und eine Kopierpresse – eine Anfangs des 20. Jahrhunderts sicher neue und zukunftweisende Erscheinung.

Dass Joseph sich hier nicht wohl fühlt, obwohl er arbeitsam und gewissenhaft ist, liegt nahe, denn es werden ihm nicht selten vom cholerischen Arbeitsgeber Vorwürfe gemacht. Das Büro zeichnet sich für Joseph nicht so sehr als ein Arbeitsplatz, mit einer Kategorien Marc Augés vielmehr als ein Nicht-Ort ab.14 Der französische Ethnologe hat in seiner Auseinandersetzung mit dem Raum-Begriff ausgehend von der Charakterisierung der anthropologischen Orte, die durch geschichtliche, zwischenmenschliche und identitäre Bezüge charakterisiert sind, per contrarium den Begriff der Nicht-Orte geschaffen und in die Diskussion eingebracht: „So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet ist, so definiert ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen lässt, einen Nicht-Ort“15. Nicht-Orte sind nach Augé durch Einsamkeit geprägt; es seien für die Moderne bzw. Übermoderne typische, rein zweckmäßige Orte bzw. Zwischenorte (z. B. Flughäfen, Bahnhöfe, Supermärkte), zu denen das Individuum normalerweise keinen affektgeladenen Bezug hat. In literaturwissenschaftlicher Hinsicht sind Augés Beobachtungen zu der für die Nicht-Orte geläufigen Sprache von Belang: „den Nicht-Orten der Übermoderne […] ist es eigen, dass sie auch von den Worten oder Texten definiert werden, die sie uns darbieten: ihre Gebrauchsanleitung letztlich, die Vorschriften („rechts einordnen“), Verboten („Rauchen verboten“) oder Informationen („herzlich willkommen in…“) zum Ausdruck kommen“16. Diese drei Textsorten bzw. Sprachhandlungsschemata entsprechen genau Toblers Sätzen in seinen Gesprächen mit Joseph: ”die Asche gehört in den Aschenbecher” (GW 5 11); „das da […] sind die zur Reklame-Uhr erforderlichen Papiere” (ebd.); “Setzen Sie folgendes Inserat auf” (GW 5 45); „Sie haben pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen. […] Schaffen Sie sich einen Wecker an“ (GW 5 57). Die sprachliche Besetzung des Büroraumes ist durch Textsorten charakterisiert, die ohne Subjektivität auskommen bzw. auskommen müssen. Schon die komplizierten Namen der Erfindungen, die dort entworfen werden, muten fachmännisch und kompliziert an. Zusammensetzungen bzw. Aneinanderreihungen wie Tiefbohr-Maschine, Reklame-Uhr, Schützenautomat, Krankenstuhl lassen der Einbildungskraft keinen Raum. Wenn eine Person dort zu Hause ist, „wo sie sich in der Rhetorik der Menschen auskennt, mit denen sie das Leben teilt“17, so gilt dies für Joseph in Toblers Büro nicht. Die Rhetorik der rein zweckmäßigen, sachlichen Kommunikation, die auch in der Fachsprache der Geschäftsbriefe und der Anzeigen vorkommt, deren Grundmerkmale Funktionsverben, Substantivierungen, Aneinanderreihungen und Wortzusammensetzungen sind, bildet den Gegenpol zu Josephs fein differenzierender und oft affektgeladener Sprache, die seine Übersensibilität bzw. die ganz andere Beschaffenheit seiner Innenwelt manifestiert. Er sehnt sich nämlich nach einer feinfühligen, abstrakten „tief innerlichen Sprache“ (GW 5 98), die eigentlich keine verbale Sprache ist, denn sie wird – so stellt sich Joseph vor – von den Augen gesprochen. Kein Zufall, dass Tobler ihm gegen Ende seines Aufenthalts in der Villa sagt: „[S]eien Sie weniger empfindlich“ (GW 5 146). Dass Toblers Natur eine ganz unterschiedliche ist, dafür spricht u. a. auch ein graphologischer Befund. Ist die Handschrift des Kapitalisten Fischer „zart, beinahe weiblich“ (GW 5 73), so ist hingegen

die Schrift Toblers wie mit dem Spazierstock gesetzt. Solche schlank- und feinschreibenden Menschen machten einen schon zum voraus große Reichtümer ahnen. So wie dieser Mann schrieben beinahe alle Kapitalisten: exakt und zugleich etwas nachlässig. Diese Handschrift entsprach ganz und gar einer vornehmen und leichten Körperhaltung, einem unmerklichen Kopfnicken, einer ruhigen, sprechenden Handbewegung. (GW 5 74)

Ruhig, nobel und gelassen ist Tobler nicht; er ist launisch und hat oft Wutausbrüche, die ihn dazu führen, Joseph verbal anzugreifen und dadurch dessen Selbstgefühl zu verletzen.

Tobler vertritt den Menschentyp, der über seine Verhältnisse lebt und der „seine Existenz wirklich [verzehrt]: Geld und gut, Prestige und Status – bis zum Absturz, dem Selbstuntergang“18. Die von ihm selbst durch Verschwendung verursachte sehr kritische finanzielle Situation möchte er durch Vermarktung seiner Maschinen retten, die er als Lebewesen betrachtet, da sie das Produkt seines technischen Könnens sind. Die Erfindungen werden oft anthropomorphisiert,19 und zwar nicht nur von Tobler, sondern auch von Joseph, und zwar insofern, als er Phrasen von seinem Arbeitsgeber ironisch wiederholt und seine Perspektive stellenweise übernimmt:

Der Schützenautomat erwies sich als ein Ding, ähnlich den Schokoladenautomaten, die die reisenden Menschen auf Bahnhöfen und in allerlei öffentlichen Lokalen antreffen, nur entsprang dem Schützenautomaten nicht eine Platte Süßigkeit, Pfefferminz oder dergleichen, sondern ein Paket scharfer Patronen. […] […] der Toblersche Automat […] war ein dickes, hohes Gestell von einem Meter und achtzig Höhe und dreiviertel Meter Breite. Der Leibesumfang des Apparates war der eines vielleicht hundertjährigen Baumstammes. Am Automaten war in ungefährer Manneshöhe ein Schlitz angebracht, zum Hineinwerfen oder -fügen des Geldstückes oder der Münze, die für Geld erhältlich war. […] er blieb still, bis ein zweiter oder ein dritter Schütze des Weges daherkam und ihn von neuem zu der eben beschriebenen Betätigung reizte. [H. A. F.] (GW 5 70-1)

„Sie ist wie ein kleines oder großes Kind, solch eine Uhr,“ dachte der Angestellte, „wie ein eigensinniges Kind, das der beständigen, aufopfernden Pflege bedarf.“ [H. A. F.] (GW 5 29)

Die Reklame-Uhr liegt am Boden und jammert nach flüssigen Kapitalien. Nun also, gehe auf sie zu, stütze sie, damit sie sich wieder langsam, Glied für Glied, erheben und sich in der Meinung und im Urteil der Menschen ein für allemal befestigen kann. [H. A. F.] (GW 5 139)

Tiefbohr-Maschine, Reklame-Uhr, Schützenautomat, Krankenstuhl, Dampfmaschine werden von Tobler nicht lediglich – nach Heideggers einschlägiger Terminologie20 – als Zeug, das nur insofern wichtig ist, da es nützlich und dienlich ist, sondern als Werke betrachtet21; sie sind zwar auch dienlich, aber sie besitzen darüber hinaus nach den Augen ihres Erfinders noch eine weitere Dimension, einen Reiz, der sie zum Selbstzweck macht. Sie wirken auf ihren Erfinder ähnlich wie ein Kunstwerk, obwohl sie keines sind. Ihre Zweckmäßigkeit ist eine zweifache, nämlich eine externe und eine subjekt- bzw. urheberbezogen; auf der einen Seite haben sie die Funktion, als Gebrauchsgegenstände bestimmte Handlungen, Tätigkeiten und Arbeiten zu ermöglichen bzw. zu erleichtern, auf der anderen würden ihre Verwirklichung und Vermarktung Gewinn und damit der ganzen Familie Sicherheit und Prestige bringen. Mit dieser Funktion verbunden ist die der Selbstdarstellung und der Verstärkung des Ich-Gefühls insofern, als ihr Erfinder auf sie stolz ist, da er sie als „performative Objekte zur Ich-Erweiterung“22 sieht. Als er kurz vor der Katastrophe versucht, seinen Jasskollegen die Erfindungen zu erklären, hat der Umstand, dass sie sich über ihn lustig machen, seine Projekte ignorieren und sogar darauf sitzen, eine symbolische Bedeutung: Die Szene markiert die Unabwendbarkeit des Verfalls der Familie Tobler. Die „eiserne Notwendigkeit“ (GW 5 261) kann man nicht aufhalten und schon gar nicht beheben. Toblers Behauptung, er verlange „Ordnung zwischen [seinen] eigenen vier Wänden“ (GW 5 11-12), wird hier grotesk, denn sein Büro wird nicht nur „entstellt“ (GW 5 259), sondern vandalisiert. Seinen Versuch, den zwei Bekannten seine Erklärungen zu beschreiben, muss er aufgeben („er stiess nur auf ein Gelächter und auf keinerlei Verständnis“, GW 5 259). Die betrunkenen Bärenswiler, die in einer sprachspielerischen auktorialen Bemerkung mit Bären verglichen werden und die man aufgrund ihres Verhaltens wirklich als „ein[en] sarkastische[n] Abgesang auf Gottfried Kellers ohnehin stark zerzauste Bewohner Seldwylas“ 23 betrachten kann, „lagen halb am Boden, halb auf dem Zeichentisch, ohne sonderlich zu achten, auf was sie saßen. Die Stühle wurden als Fußschemel benutzt, und mit den zeichnerischen Entwürfen Toblers kamen die schläfrigen und lustigen Köpfe in engste Berührung.“ (GW 5 258). Die Entwürfe der Erfindungen, die von Tobler nicht einfach als Zeug, sondern – wie schon gesagt – als Werke betrachtet werden, werden hier zu Material, das keinen Wert hat und das man loswerden kann. Sie werden zu Un-Zeug. Parallel dazu läuft der Prozess der Degradierung der moralisch-menschlichen Eigenschaften des Erfinders und seiner Trinkgenossen: „Der Ernst der männlichen Weltanschauung lag in einem fallen gelassenen und zerbrochenen und seinen Inhalt ausgeschütteten Glas Wein am Boden. Der männliche und menschliche Verstand gröhlte und johlte und lallte, daß die Wände des Hauses beinahe erzitterten.“ (GW 5 258). Sehr treffend bemerkt am folgenden Tag Frau Tobler beim Betreten des Zimmers, „dass ein holländischer Trunkenboldszenenmaler“ (GW 5 258) das widerliche Bild „nicht überzeugender und abschreckender hätte malen können, als wie es hier in Wahrheit und Wirklichkeit lebte und sich regte.“ (GW 5 258-9). In der Tat sieht das Büro elend aus: „Alles lag durcheinander, Stühle, Zeichnungen, Schreib- und Zeichengegenstände, Gläser und Pfropfen. Tinte war verschüttet, rote und schwarze. Wein schwamm am Boden. Einer Flasche war der Hals abgeschlagen worden.“ (GW 5 259). Von der am Anfang des Romans von Tobler verlangten Ordnung ist keine Spur mehr. Dieses Chaos, das nicht zufällig im Untergeschoss – nach Bachelard „d[em] dunkle[n] Wesen des Hauses“24 – also im Fundament der finanziellen Verhältnisse der Familie Tobler originiert, ist repräsentativ für den sozioökonomischen und moralischen Verfall der Villa und ihrer Bewohner.

Die Dinge und besonders seine eigenen Erfindungen wecken bei Tobler Gefühle der Liebe und der Anhänglichkeit, was konsistent mit seiner Tendenz zur Anthropomorphisierung ist, während er den Menschen gegenüber oft schroff und rücksichtslos ist. Die Unterbrechung der Stromversorgung in der Villa ruft bei Tobler physischen Schmerz hervor:

Dieser [Tobler, A. F.] aber vermißte zu sehr, wenn er nachts spät nach Hause kam, den Anblick seiner geliebten elektrischen Verandalampe, die ihm jeweilen als das schönleuchtende Wahrzeichen und als der hellschimmernde Beweis der sicheren Fortexistenz seines Hauses vorgekommen war. Der Schmerz um das hellere Licht verband sich in seiner Brust mit der großen übrigen Wunde und trug dazu bei, seine Gemütsstimmung noch mehr zu verdunkeln, derart, daß der jähe Wechsel seiner Laune für alle Mitwohner das täglich zu kostende Brot wurde. [H. A. F.] (GW 5 222)

Die von den Erfindungen repräsentierte Steigerung der Dingwelt zur Werkwelt kommt in zugespitzter und noch verdichteter Form in Toblers eigentümlicher Beziehung zur Glaskugel zur Darstellung, dem zentralen Objekt seiner Religion der Gegenständlichkeit, wie weiter unten noch dargelegt werden soll.

4. „Faden, Bindfadenteile, Halsbinden, Knöpfe, Nadeln“: die Dinge in Josephs Turmzimmer

Josephs Beziehung zu den Dingen ist eine ganz andere als die Toblersche: was ihm wichtig ist, ist nicht der Schein, das Prestige – nach Böhmes Terminologie die Bedeutung bzw. der ‚soziale Sinn‘ des Objektes25 –, sondern die Substanz, der Gebrauchswert, das, was der Böhme auch die Funktion nennt26, außerdem die Affektivität, ein Aspekt, der nicht mit dem Wert des Objektes bzw. mit dessen Wirkung auf andere Menschen, sondern mit dem eigenen Lebenslauf bzw. den eigenen Lebensverhältnissen zusammenhängt.

Während seines Aufenthalts in der Villa zum Abendstern zieht es Joseph immer mehr in die Einsamkeit, wo er träumen und phantasieren kann. Das Büro, Toblers Lieblingsraum, bildet für Joseph lediglich ein Zimmer, in dem er zwar seinen Aufgaben gewissenhaft nachgeht, aber in dem er sich nicht zu Hause, sondern fremd fühlt. Was für Tobler ein Raum des Innen ist, bildet für Joseph einen Raum des Außen,27 und zwar sicher auch deswegen, weil er ihn als fremden Raum wahrnimmt, da er dort den Stimmungsschwankungen des Arbeitsgebers ausgesetzt ist. Die zwei Lieblingsbereiche, in denen Joseph Zuflucht sucht, sind das Turmzimmer – wirklich eine „Erbauung des Träumers“28, wie Bachelard zur Funktion des Dachbodens feststellt – und die Natur. Sein Gemach wird zu einem Raum der Innerlichkeit: hier kann er sich ungestört seinen Phantasien und seiner Melancholie hingeben. In der Intimität des Turmzimmers kann er z. B. seine Gedanken aufs Papier bringen und gleich danach das Geschriebene wegwerfen, wie dies etwa mit seinen ‚Schlechte Gewohnheit‘ betitelten tagebuchartigen Aufzeichnungen passiert. Einsamkeit bedeutet für ihn Freiheit:

Das irgendwo Gefesselt- und Gebundensein sei zuweilen wärmer und reicher voll zärtlicher Heimlichkeiten als die offene, Tür und Fenster der ganzen Welt offenstehen-lassende Freiheit, in deren hellen Räumen den Menschen oft nur zu bald grimmige Kälte oder drückende Hitze anfahre, aber die Freiheit, die er, Joseph, meine, du liebe Zeit, das sei doch am Ende das Schicklichste und Schönste und enthalte unsterblichen Zauber. – (GW 5 126-7)

Einsamkeit bedeutet jedoch für Joseph auch Außenseitertum und schmerzvolle Erforschung des eigenen Innenlebens. Im Gegensatz zu Simon, dem Protagonisten von Geschwister Tanner, der sein pikareskes, bindungsloses Leben stets preist, leidet Joseph an seiner provisorischen Existenz – obwohl die soeben zitierte Passage als Hymne an die Freiheit klingen mag:

Auch da war er ein Knopf, der nur lose hing, den man gar nicht mehr festzunähen sich abmühte, da man zum voraus wußte, daß der Rock doch nicht lange getragen werde. Ja, seine Existenz war nur ein provisorischer Rock, ein nicht recht passender Anzug. (GW 5 21)

Die Ambivalenz seiner Wünsche und Vorstellungen kommt hier klar zutage. Er oszilliert stets zwischen dem Drang nach Einsamkeit, Freiheit und Fessellosigkeit und der Sehnsucht nach Geborgenheit, nach der anheimelnden Alltäglichkeit der bürgerlichen Sphäre, einer Sehnsucht, die ihm stellenweise Züge des Mannschen Tonio Kröger verleiht.

In Josephs Koffer sind nicht viele Sachen enthalten; von diesen sind einige wenige – ein paar Wäschestücke – notwendig, während andere nicht nur zwecklos, sondern auch sinnlos zu sein scheinen: „Er gelobte sich im stillen, sich Mühe zu geben, indem er ein Knäuel alter Faden, Bindfadenteile, Halsbinden, Knöpfe, Nadeln und abgerissene Leinenfetzen auf den Fußboden warf.“ (GW 5 14). Dass er „nicht ohne Wehmut […] seinen Handkoffer, seine ganze Besitzung, langsam, Stück für Stück, auspackte“ (GW 5 14) und „die paar Wäschestücke, die er besaß, in absichtlich säuberlichster Manier in den Schrank legte“, (ebd.) spricht für seine affektgeladene Beziehung zu den Dingen: „Schlichte Sachen werden einem so lieb, das empfand der junge Angestellte“. (GW 5 14)

So wie das Turmzimmer ein dem Büro entgegengestellter Raum ist, so bilden auch Josephs „schlichte Sachen“ den Gegenpol zu Toblers komplizierten Erfindungen, und dies schon sprachlich: keine langen Zusammensetzungen und Aneinanderreihungen findet man zur Bezeichnung von Josephs Besitzung, sondern meistens zweisilbige, kurze Wörter (Fäden, Knöpfe, Nadeln), die auf die Anspruchslosigkeit und die Bescheidenheit des Besitzers hinweisen. Eine wesentliche Rolle spielt für ihn das Bild seiner Mutter, das auf dem Tisch in seinem Zimmer steht und das er ab und zu betrachtet; Wert legt er auch auf das Foto einer Tanzschülerin, das er in der Hosentasche hat und das nur einmal erwähnt wird. Bilden diese Sachen Erinnerungsstücke, da sie Andenken an Familienangehörige oder aber Geschenke von lieben Menschen sind, so kann man sich den Grund, weshalb Joseph Dinge wie die oben erwähnten Fäden, Bindfadenteile, Knöpfe, Nadeln ein- und auspackt nicht erklären, obwohl sie ihm alle wichtig sind, denn am Schluss seines Aufenthalts bei Tobler nimmt er „der Reihe nach wieder diese kleinen, nichts- und für ihn vielbedeutenden Gegenstände in die Hand, um sie säuberlich aber rasch in den bereitgehaltenen Koffer zu stecken“ (GW 5 290). Diese Sachen werden zu stehenden Requisiten seines Koffers, da er sie im Laufe seiner zahlreichen Umzüge stets von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz transportiert, obwohl sie gegen das der Ausstattung des Gepäcks innewohnende Kriterium der Brauchbarkeit und des Unentbehrlichen verstoßen.

4.1. „Ein Gnusch“

Heterogene Marginalien charakterisieren in Walsers erstem Roman Geschwister Tanner auch den Koffer von Simon, der genauso wie der Gehülfe neben dem Nötigsten sehr bunte Sachen in seinem Gepäck hat: „ein Knäuel von Kleinigkeiten wie Bindfaden, Seidenreste, Krawatten, Schuhbändel, Kerzenstümpfchen, Knöpfe und Fadenteile“ (GW 4 134). Verblüffend wirkt, dass man in beiden Koffern sehr ähnliche, z. T. sogar die gleichen Sachen findet und vor allem beide Gruppen von Objekten, die notwendigen und die nutzlosen nebeneinander. Einleuchtende Beobachtungen dazu findet man im schon erwähnten Buch von Julia Maas. Auf die Ausführungen von Heidegger zum ‚Zeug‘ in Sein und Zeit sich stützend, argumentiert die Verfasserin, dass die Walsersche Mischkonstellation bezüglich der Koffer der Hauptfiguren „eine soziale Ethik zu Anschauung bringt, der zufolge keine wirklich unnütze Elemente in einer Gemeinschaft gibt“, denn „das Nützliche gibt es nur, wo es auch das Nutzlose gibt, und somit ist auch das Nutzlose stets im Dienst eines höheren Nutzens“29.

Aus der poetologisch-existentiellen Perspektive betrachtet weisen darüber hinaus Marginalien wie Bindfaden, Nadeln, Knöpfe usw. auf eine weitere Dimension hin. Es sind Dinge, die die man auf die Begriffe der Bruchstückhaftigkeit, der Bescheidenheit, der Einfachheit, des Nebensächlichen, der Armut, des Kleinen zurückführen und die man außerdem in Verbindung mit dem Re-Cycling bringen kann. Dass kleine, unbedeutende, sehr bunte, unnützliche Gegenstände im Prosastück Reisekorb, Taschenuhr, Wasser und Kieselstein als „Gerümpel“ (GW 8 326) charakterisiert werden, lässt an die „Gerümpelhaftigkeit“ (BG 5 358) denken, die nach Walsers Selbstaussage seine späte Arbeitsweise bzw. sein zweistufiges Bleistiftsystem prägt. Bekanntlich sind Winzigkeit, Fragmentarität, Minimalismus, Unauffälligkeit auch Eigenschaften von Walsers Mikrographie, mit der er seine oft auf schon existierende Texte basierende Prosa- und Theaterstücke sowie Gedichte auf Altpapier und z. T. auf Makulatur verfasste, eine Technik, die im wörtlichen wie im metaphorischen bzw. gattungsspezifischen Sinne – nämlich hinsichtlich des benutzten Papiers und hinsichtlich der Genre der Überarbeitung bzw. re-write – an die gegenwärtige kulturwissenschaftliche Re-Cycling-Debatte denken lässt. Stellen „Recycling-Objekte durch den ihnen stets immanenten Akt der Aneignung und Umformung eine transformative Antwort, einen kritischen Kommentar zum ‚Normaldesign‘“30 dar, so kann man Walsers ‚Prosastückli‘ als dem Literaturbetrieb gegenüber provokative, ja oft sogar subversive Texte ansehen. Es scheint also nicht verfehlt, das „Knäuel von Kleinigkeiten“ (GW 4 134) als ein die Spätzeit präfigurierendes objective correlative von Walsers mit Absicht planloser Arbeits- und Schreibweise in den Mikrogramm-Blättern anzusehen. Bestehen Josephs und Simons Knäuel aus bunten, kleinen, z. T. fadenförmigen Marginalien, die im Koffer komprimiert werden, so bilden die Mikrogramme einen „Wirrwarr, ein Durcheinander, eine Verworrenheit oder ein sogenanntes Gnusch“31 (BG 4 37-8); sie sind durch das Beieinander verschiedener Textgattungen gekennzeichnet, die in sehr komprimierter Form auf eine Seite untergebracht werden, auf der sie sich verzahnen und z. T. und sogar ineinander übergehen. Wie Werner Morlang feststellt, bedeutete die „Entscheidung für die kleinen Formen und verächtliche Materialien […] jene Hinwendung zu den kleinen Gegenständen, die [… ] dem dichterischen Anliegen Walsers gehört“32.

4.2. Joseph und die ‚Tücke des Objekts‘

Die Beziehung zur Dingwelt stellt sich für Joseph nicht immer unproblematisch dar. In seinem Turmzimmer erlebt er auch die ‚Tücke des Objekts‘ 33:

Die Haare schienen heute früh außerordentlich schwer zu bürsten und zu kämmen zu sein. Die Zahnbürste erinnerte an vergangene Zeiten. Die Seife, womit man die Hände waschen sollte, glitt aus, fuhr unters Bett, und man mußte sich bücken und sie aus dem hintersten Winkel hervorziehen. Der Kragen war zu hoch und zu eng, obgleich er doch gestern prächtig gepaßt hatte. Welche wunderbaren Dinge. Und wie langweilig das alles war. (FW 5 140-1)

Die Dinge sind hier zu keinem Gebrauch fügsam, sie entgleiten – wortwörtlich – jeder Verwendung, was man nach dem Namen des Protagonisten der Erzählung Bartleby the Scrivener von Hermann Melville den Bartleby-Effekt nennt. Sie weigern sich, als dienende Objekte zu funktionieren: ‚They would prefer not to‘. Hatte der Schriftsteller Erhart Kästner von einem „Aufstand der Dinge“, präziser noch von der „Möglichkeit eines Generalstreiks“34 der Dinge gesprochen, so hat Bruno Latour in jüngster Zeit ein Parlament der Dinge theorisiert, das „die Stimme der nicht-menschlichen Wesen“35 vertritt. Zeigt sich am eindringlichsten in der deutschsprachigen Literatur die Tücke des Objekts in E. T. A. Hoffmanns Novelle

Der goldene Topf

, so bildet dafür der 1889 erschienene Roman von Jerome K. Jerome Three Men in a Boat das bekannteste und wahrscheinlich das witzigste Beispiel in der englischsprachigen Literatur:

That is the only way to get a kettle to boil up the river. If it sees that you are waiting for it and are anxious, it will never even sing. You have to go away and begin your meal, as if you were not going to have any tea at all. You must not even look round at it. Then you will soon hear it sputtering away, mad to be made into tea.
It is a good plan, too, if you are in a great hurry, to talk very loudly to each other about how you don’t need any tea, and are not going to have any. You get near the kettle, so that it can overhear you and then you shout out ‘I don’t want any tea; do you, George?’ to which George shouts back, ‘Oh no, I don’t like tea; we’ll have lemonade instead, tea is so indigestible’. Upon which the kettle boils over, and puts the stove out.36

Der Aufstand der Dinge wirkt hier besonders amüsant37, was sehr zu Jeromes Lieblingsgenre des humoristischen Romans passt; hingegen ist der komische Effekt bei Walser eher nebensächlich, denn der Protagonist kümmert sich kaum darum. Er reflektiert nämlich nicht über diese Sonderbarkeit („Und wie langweilig das alles war“, GW 5 141), sondern geht gleich ins Büro und vergisst die Begebenheit. Dass die Dinge sich abwenden und wegziehen, hatte Joseph schon öfter erlebt; er erinnert sich nämlich im Zusammenhang mit der oben kommentierten Seifengeschichte an eine merkwürdige Hutgeschichte:

Vor einem halben Jahr hatte er eine […] Hutgeschichte erlebt. Es war ein halbhoher, ganz guter, normaler Hut, wie ihn die ‚bessern‘ Herren zu tragen pflegten. Er aber traute dem Hut nichts Gutes zu. Er setzte sich ihn tausendmal auf den Kopf, vor dem Spiegel, um ihn dann endlich auf den Tisch zu legen. Dann ging er drei Schritte weg von dem niedlichen Ungetüm und beobachtete ihn, wie ein Vorposten den Feind beobachtet. Es war nichts an ihm auszusetzen. Hierauf hängte er ihn an den Nagel, auch da erschien er ganz harmlos. Er versuchte es wieder mit dem Kopf, entsetzlich! Es schien ihn von unten bis oben zerspalten zu wollen. Er hatte das Gefühl, als ob seine Persönlichkeit eine benebelte, gesalzene, halbierte geworden sei. Er trat auf die Straße: er schwankte wie ein schnöder Betrunkener, er fühlte sich wie verloren. Er trat in eine Erfrischungshalle, legte den Hut ab: gerettet! – Ja, das war eine Hutgeschichte gewesen. Auch Kragengeschichten, Mäntelgeschichten und Schuhgeschichten kamen in seinem Leben vor. (GW 5 141)

Dass die verblüffende Hutgeschichte ein stumpfes Motiv bildet, ist ein Beweis dafür, dass die Beziehung zu den Gegenständen für Joseph nicht primär ist; er ist kaum willig, sich Gegenständen außerhalb seiner Interessen und seiner Erlebnissphäre zuzuwenden. Die technisch-zauberhafte Beziehung zu den Dingen, die den Arbeitgeber kennzeichnet, ist ihm fremd und dieser Hauptunterschied zu Tobler ist einer der Hauptgründe für die mangelnde bzw. sehr problematische Verständigung zwischen den beiden.

Joseph zeigt Anhänglichkeit an die eigne Familie und gewissermaßen auch an die Toblersche, an Freunde und Bekannte, aber nicht an Dinge, es sei denn, dass sie in Bezug auf liebe Menschen oder aber auf persönliche Lebenserfahrungen bedeutend sind. Es geht immer um den inneren Wert, nicht um den sozialen Sinn bzw. die Bedeutung im Hinblick auf Prestige und Wirkung. Sein „provisorischer Rock“ (GW 5 21), ein Zeichen seines „unsteten Lebenswandel“ (GW 5 113), ist ihm lieber als die Sicherheit des auf dem Schein basierenden bürgerlichen Lebens – nach dem er sich aber stellenweise sehnt, was aus ihm einen komplexen, modernen, „problematischen, in Fetzen zerlegten und zerfaserten“38 Charakter macht –, wie in der Episode des Kleidergeschenks offen zutage kommt: Als Tobler ihm einen Anzug anbietet, weil er meint, dass Joseph „keine gar sehr guten Kleider mehr am Leibe“ (GW 5 143) habe, lehnt er ihn ab („Ich habe alle diese Sachen gar nicht nötig“, GW 5 143), weil die sozialrepräsentative Funktion der Kleider ihm fremd ist. Er reagiert sogar ziemlich irritiert, auch wenn er nach reiferer Überlegung das Angebot akzeptiert, und zwar mit der Begründung, dass er den Anzug künftig vielleicht brauchen könnte.39

5. Repräsentation und Prestige, Vergangenheit und Zukunft, Magie und Fortuna: die Dingwelt des Gartens

In den bekannten Studien von Michael Foucault zur Heterotopie spielt der Garten eine zentrale Rolle:

Der Garten ist ein Teppich, auf der die ganze Welt ihre symbolische Vollkommenheit erreicht […] Der Garten ist die kleinste Parzelle der Welt und darauf ist er die Totalität der Welt. Der Garten ist seit dem ältesten Altertum eine selige und universalisierende Heterotopie (daher unsere zoologische Gärten)40.

In der Tat bildet der Garten der Villa Zum Abendstern eine überraschende, weil originell gestaltete Heterotopie des Toblerschen Mikrokosmos. Wer die Schwelle des Gartens überschreitet, befindet sich in einer Art Wunderwelt. Als am Abend der 1.-August-Feier Raketen in die Höhe fliegen und jede Ecke des Gartens durch elektrische Lampen, durch Kerzen, Lampions oder aber durch das Feuerwerk beleuchtet wird, meint Joseph, „es konnte bald einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht gleichen“ (GW 5 64). Die hohe Lage, der mit glänzendem Kupfer bedecke Turm, an dessen Spitze die Schweizer Fahne sich windet, die künstliche „Feengrotte“ (GW 5 170) und die vor der Haustür stehende Glaskugel machen den Garten zu einer Art modernem Vergnügungspark, in der sich Tradition, Zukunft und Curiosa kombinieren. Wird man im Inneren der Wohnung mit einer durch das Telefon und sogar durch eine Kopierpresse charakterisierten, durchtechnisierten Welt konfrontiert, so findet man im Garten neben dem bedeutsamsten Zeichen des Fortschritts, nämlich der Elektrizität (man denke an die Klingel und an die abends durch Strom beleuchtete Veranda)41, auch Dinge, die auf die Geschichte bzw. Kulturgeschichte hinweisen, nämlich die Schweizer Fahne und die künstliche Grotte. Schwer fassbar – im eigentlichen und im metaphorischen Sinne – ist die Glaskugel, sicher das merkwürdigste – und ein in der Forschung nur marginal beachtetes – Objekt im Toblerschen Kontext.

Künstliche Grotten gehörten noch Anfang des 20. Jahrhundert zu den auch in der Schweiz geläufigen, für englische Gärten bzw. Parkanlagen typischen follies: „also called eyecatcher, in architecture, a costly, generally non functional building that was erected to enhance a naturale landscape“42. Es handelte sich um gotische bzw. klassische Ruinen, Hütten, Pavillons, kleine Wasserfälle, als ha ha bekannte niedrige Mauern, Grotten usw. Solche bizarren Elemente sollten der Parklandschaft ein altertümliches, melancholisches und herrschaftliches Aussehen verleihen; gleichzeitig trugen sie wesentlich zum self fashioning bei, sie hatten also eine sozialrepräsentative Funktion für den Besitzers des Grundstückes.

Was Toblers Grotte besonders prägt, ist – wie schon hinsichtlich des Gebäudes der Villa festgestellt wurde – der Widerspruch zwischen dem altertümlich anmutenden äußeren Aussehen und dem Innen, denn wer sich in die Feengrotte wagt, sieht keine der vom äußeren Anblick geweckten Vorstellung von Schönheit und Tradition entsprechende Ausstattung, sondern lediglich “ein höhlenartiges, mit Zement ausgeschlagenes und tapeziertes Ding, länglich wie ein gröβeres Ofenloch, etwas zu niedrig, so daβ die Besucher mehr als einmal die Köpfe anstieβen” (DG 170-1). Leer und bedeutungslos ist das Innen der Höhle genauso wie die von Tobler zur Einweihung der Grotte gehaltene, „ziemlich romantisch gefärbte Rede“ (GSW 5 173) („Wenn ein gesunder Mann […]“, GW 5 172-3), deren Schluss unbeholfen und gleichzeitig idealistisch – also dem Ort entsprechend grotesk – klingt („Eine Idee stirbt oder sie siegt. Mehr habe ich nicht zu sagen.“, GW 5 173).

Besonders interessant ist die Beziehung der Feengrotte zu dem Gartenelement, das sich auf keine kulturgeschichtliche Tradition zurückführen lässt und die bloß eine Projektion von Toblers Wünschen und Bestrebungen zu sein scheint, nämlich der Glaskugel, die im Text folgendermaßen geschildert wird:

Sie hing an kleinen Ketten und Angeln in einem zierlichen, eisernen Gestell, und war verschiedenfarbig, so daß sich die umliegenden Weltbilder in runder, gleichsam aufeinandergetürmter Perspektive grün, blau, braun, gelb und rot darin abspiegelten. Sie war ungefähr so groß wie ein überlebensgroßer Menschenkopf, aber zusammen mit dem Fußgestell wog sie sicherlich ihre achtzig oder neunzig Pfund und war schwer zu tragen. Bei Regenwetter durfte sie nie draußen im Freien stehen bleiben. Man trug sie immer hinaus und hinein, hinein und hinaus. Wurde sie einmal naß, so schimpfte Herr Tobler sehr heftig. Die nasse Kugel tat ihm direkt weh, wie es denn Menschen gibt, die mit gewissen, toten Besitztümern wie mit etwas durchaus Lebendigem umgehen und umgegangen wissen wollen. Joseph sprang daher sehr rasch nach der schönen, farbigen Glaskugel, weil er die Vorliebe Toblers zu derselben bereits Gelegenheit gehabt hatte kennen zu lernen. (GW 5 39)

Dem Leeren und dem Dunkeln der Grotte stehen so die Helle, das Licht und das Volle gegenüber. Die zwei Artefakte ergänzen sich gegenseitig. In der Sekundärliteratur ist die rätselhafte Glaskugel als „das schönste Sinnbild für Toblers Welt der Illusion“43 betrachtet worden; sie vertrete das ihm wichtige Lebenselement des Festes, da sie die äußere Wirklichkeit in bunten Farben abspiegele und dadurch den grauen Alltag vergessen mache.44 In der Tat könnte die vor der Haustür stehende Kugel als Logo der Firma und der Villa angesehen werden, denn sie wirkt durch ihren mehrfarbigen Glanz anlockend und verspricht eine märchenhafte, wunderbare Stimmung, die aber nicht den Lebensverhältnissen im Hause entspricht. Sie vertritt exemplarisch die auf den Schein – in der doppelten Bedeutung von Glanz und Illusion – basierende, naive Lebenseinstellung Toblers.

Dieser verblüffende Gegenstand erhält Züge organischen Seins: die Glaskugel wird mit einem Kopf verglichen, ihr Gewicht nähert sich dem eines Menschen und sie steht auf einem „Fussgestell [H.A.F.]“. Sie gilt in Toblers Augen als empfindliches Wesen insofern, als er vermeiden möchte, dass sie nass wird. Wesentlich trägt zu dieser Anthropomorphisierung die runde Form bei, eine Form, die nach Bachelard „nach Liebkosung [ruft]“45 und die ein erotisches Element ins Spiel bringt. Wenn die Erfindungen in übersteigerter Form jene Dingwelt vertreten, für die Tobler eine große Faszination hat, so darf man bezüglich der Glaskugel geradezu vom „sex appeal of the inorganic“46 sprechen.

Aus der oben abgedruckten Stelle geht nicht nur klar hervor, dass Tobler mit ihr wie mit einem lebendigen Wesen umgeht, sondern dass er sogar verlangt, dass sie – seiner Vorstellung der Glaskugel als thing that feels entsprechend – von allen umsichtig gepflegt bzw. nach drinnen und nach draußen transportiert wird; diese zu einer rekurrierenden Handlung, ja beinahe zu einem Ritual stilisierte Pflege macht die Glaskugel zu einem Kultobjekt, wenn nicht sogar zu einer Reliquie. Die Anhänglichkeit des Ingenieurs an diesen Gegenstand wird zu einer profanen Religion der Gegenständlichkeit. Dass in der christlichen Ikonographie Gott eine Glaskugel als Symbol der von ihm erschaffenen Welt in den Händen hält, könnte als Hinweis auf die – hier säkularisierte – Sakralität dieses rätselhaften Dinges interpretiert werden. Offensichtlich wird die Glaskugel von Tobler auratisiert47, was mit seinen Erfindungen nicht der Fall ist, denn er strebt die ihm Gewinn bringende technische Reproduzierbarkeit seiner Artefakte an, obgleich ihm dies Unternehmen nicht gelingt. Sie werden von ihm zwar als Werke betrachtet, aber als solche ohne Aura.

Die Glaskugel steht ziemlich quer zu dem durchtechnisierten Mikrokosmos der Villa. Glänzende, gläserne oder auch silberne bzw. goldene Werkzeuge, die scharfe Konturen besitzen – insbesondere runde bzw. rundliche Objekte – und die aus festem Stoff bestehen, gehören zu den Requisiten der Märchengattung.48 Die Glaskugel scheint wie aus einem Grimmschen Märchen oder aus einer anderen Welt in den bizarren Garten der Villa als geeignetes Inbild der Firma und der Familie gelangt zu sein. Dass die Kugel als Logo besonders gut zum Toblerschen Kontext passt, dafür spricht auch ein weiteres Element: Die Form der Kugel verweist auf die Göttin Fortuna, die von der Antike bis zur Barockzeit mit dem Attribut des Schicksalsrads oder aber als eine auf einer Kugel sitzende Figur dargestellt wurde, die sich umdreht bzw. die sich dem Betrachter zu- und von diesem abwendet, denn das Geschick ist wechselhaft.49 Und eben dies wird an der Familie Tobler zum Exempel.

6. Schlussbetrachtung

Toblers Lieblingsgegenstand evoziert darüber hinaus auch die Philosophie des Parmenides, der unser Dasein wie eine wohlgerundete Kugel beschreibt, die die Vollkommenheit der menschlichen Existenz und deren Zyklizität, außerdem die untrennbare Einheit von Denken und Sein symbolisiert. Mit der Dimension der Rundheit hat sich Walser in der Spätzeit dichterisch in einem interessanten Gedicht auseinandergesetzt:

Das Böse ist so schön wie das Schöne.
Das Böse ist so schön wie das Schöne.
Das Zarte will vom Herben
umgeben sein, wer Abschied nimmt,
ist so viel wert, wie wer sich
liebenswürdig macht und fügt.
Der Besitzende liebt den Besitzlosen,
der Angesessene den Wanderer,
die Guten den Schlechten,
die Liebenden den Lieblosen,
wenn ihm die Lieblosigkeit
fröhlich aus den Augen blitzt,
ehrlich im Gesichte sitzt.
Ewig schön und versöhnend
wirkt Mannigfaltigkeit, unser Planet
ist rund, so sei auch unser
Denken. Du bist am gerechtesten, wenn
du lebhaft bist. (BG 2 318)

Es ist kein Zufall, dass die Rundheit hier mit dem Aspekt der Gegensätzlichkeit bzw. mit oppositiven Begriffen assoziiert wird. Die in Walsers Gedicht durchaus philosophisch gemeinte Figur des Kreises passt besonders gut zu Walsers Welt der Paradoxien. Strukturell und stilistisch ahmt Walsers Schreiben die Rundheit der Erde und der Gedanken nach, denn die Handlung kehrt in seinen Texten zum Anfang zurück. Exemplarisch ist dafür die Märchenkomödie Schneewittchen, in der die „Stilfigur des Kreisens“50 zentral ist; das Dramolett besteht nämlich aus einer Reihe von Auseinandersetzungen zwischen Schneewittchen und der Königin, in denen die Protagonistin abwechselnd ihre Mutter bzw. Stiefmutter angreift oder sie um Verzeihung bittet, während diese jedes Mal die entgegengesetzte Position vertritt. Die Titelfigur alterniert ständig zwischen Erinnern und Vergessen bzw. Vergessen-Wollen, was die Handlung nicht fortschreiten, sondern stets zum Anfang zurückkehren lässt. Der Schluss ist nur scheinbar versöhnend, also kein happy ending, wie man es aus Märchentexten kennt, denn die grausame Vergangenheit der Mordanschläge der Königin auf Schneewittchen ist immer noch im Präsens anwesend (Königin: „Was sage ich? Ach ja, sag‘ dann / so wie der Zufall etwa sagt: / ‚Du feuertest mit Küssen ihn / zu dem‘—“ Schneewittchen: “Schweigt, doch, o schweigt. Das Märchen nur / sagt so“, GW 7 144-5). Die sehr kritische Situation findet keine Lösung; Strukturen wie ‚sowohl … als auch‘, ‚ja und nein‘, ‚weder…noch‘, ‚einerseits… andererseits‘ bilden den rekurrierenden Stilzug von Walsers Stück. Das verunsicherte Subjekt oszilliert zwischen den zwei Elementen einer sprachlichen Struktur bzw. Option, ohne sich mit dem einen oder mit dem anderen identifizieren zu können. Daraus entsteht jene zur Figur des Kreises führende Paradoxie, die sich in Schneewittchen auf eine verblüffende und gleichzeitig für Walsers Textstrukturen exemplarische Weise manifestiert und die in der Tat etliche Werke des Bieler Dichters kennzeichnet, auch seinen dem Anschein nach traditionellsten Roman, nämlich den Gehülfen, dessen Schluss ambivalenzträchtig ist. In diesem Zusammenhang stellt Wagner sehr treffend fest, dass „[d]ie Vieldeutigkeit des Endes aufregender als jedes reading for the plot51 ist. Die implizite Gegenwärtigkeit des Gegenteils macht aus dem textuell zwar abgeschlossenen Roman eine handlungsmäßig offene Geschichte, denn die Suche nach der absoluten Freiheit löst die Sehnsucht nach Integration nicht auf; diese zwei Aspekte von Josephs psychischer Verfassung widerstreiten und ergänzen einander fortwährend.

Dass der menschliche Charakter sich um 1910 tiefgreifend veränderte und dass auch die Darstellungsmittel der Innerlichkeit eine entsprechende umfassende Umgestaltung erfuhren oder besser hätten erfahren müssen, hat Virginia Woolf in sehr überzeugender Weise in ihrem Aufsatz Mr Bennett and Mrs Brown dargelegt.52 Einige Schlüsselstellen aus diesem besonders bedeutsamen Aufsatz seien daher zitiert:

on or about December 1910 human character changed. […] All human relations have shifted—those between masters and servants, husbands and wives, parents and children. And when human relations change there is at the same time a change in religion, conduct, politics, and literature. Let us agree to place one of these changes about the year 1910. [H. A. F.]53

„Describe beautifully if possible, truthfully at any rate, […]” ist nach Woolfs Ansicht Aufgabe der Romanciers; es wäre aber ihrer Ansicht nach verfehlt, Anfang des 20. Jahrhunderts von ihnen noch eine abgerundete, vollständige Darstellung von konsequenten Figuren zu erwarten: “But do not expect just at present a complete and satisfactory presentment of her [d. h. von einem hier als Beispiel ausgewählten weiblichen Charakter. A. F.]. Tolerate the spasmodic, the obscure, the fragmentary, the failure. Your help is invoked in a good cause”54. Kein Zweifel, dass nach den Beobachtungen Virginia Woolfs Joseph ein für die Moderne sehr typischer, ja sogar antizipatorischer Charakter wäre.

Schwankungen, die für Walsers ambivalente Figuren typischen Bewegungen “des Hin und Her, des Vor und Zurück, des Zögerns und Zauderns“55 implizieren, charakterisieren die überempfindliche, oszillierende Natur Josephs und sie lassen vermuten, dass er bald wieder versuchen wird, eine Stelle zu bekommen und sich einzuleben, aber dass er nach kurzer Zeit seine Arbeit wieder zugunsten seines unsicheren, unsteten Wanderlebens verlassen wird. Der Roman setzt mit Josephs Ankunft vor der Villa ein und endet auch dort bzw. vor der Haustür der Villa mit seinem Abschiedsnehmen von der Familie und von dem Hausgebäude selbst („[er] […] drehte sich noch einmal nach dem Haus um. Er grüßte es in Gedanken“, GW 5 292). Das Ende verweist kreisförmig auf die Anfangssituation zurück, da „Anfang, Mitte und Ende ganz / verschobene Dinge sind, die nie / ein Sinn noch fasste, nie ein Herz / gekannt“ (GW 7 97): „End küsst sich in dem End, wenn auch / Anfang noch nicht zu Ende ist“ (GW 7 140).

Literaturverzeichnis:
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  1. Wolf, Christa: Medea. Stimmen. Frankfurt a.M. 2008 (St 2008), S. 37.
  2. Vgl. Greven, Jochen: Nachwort des Herausgebers zu: Walser, Robert: Sämtliche Werke in Einzelausgaben. 20 Bde. Hrsg. v. Jochen Greven. Frankfurt a.M. 1985-1986, Bd. 16, S. 418-424, hier S. 424.
  3. Maas, Julia: Dinge, Sachen, Gegenstände. Spuren der materiellen Kultur im Werk Robert Walsers. München 2019, S. 218. Im Folgenden werden ‚Gegenstand‘, ‚Ding‘, ‚Sache‘ synonymisch – wie in der Dissertation von Maas – gebraucht. Pionierarbeit zum Thema der Dinge in Walsers Dichtung wurde von Gerhard Piniel (Robert Walser und seine Gegenstände. Winterthur 1972) und von Tamara Evans (Robert Walsers Moderne. Bern – Stuttgart 1989, vgl. insb. S. 31ff.) geleistet.
  4. Maas, wie Anm. 3, S. 218
  5. Siegrist, Christoph: Robert Walsers kleine Prosadichtungen. In Kerr, Katharina (Hrsg.): Über Robert Walser. Bd. 2. Frankfurt a.M. 1978, S. 125-146, hier S. 136. Zur Figur des Spaziergängers und zu der Erzählung Der Spaziergang sind zahlreiche Beiträge veröffentlicht worden. Es sei hier lediglich auf den Überblicksartikel von Reto Sorg, Der Spaziergang (1917). In: Gisi, Lucas Marco (Hrsg.): Robert Walser-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2015, S. 148-154, bes. S. 152-153, und auf den Sammelband Pfeifer, Annie u. Sorg, Reto: (Hrsg.): ‚Spazieren muss ich unbedingt‘. Robert Walser und die Kultur des Gehens. Paderborn 2019, hingewiesen.
  6. Walser. Robert: Der Spaziergang. In: W., R.: Das Gesamtwerk in 12 Bänden. Hrsg. v. Jochen Greven. Frankfurt a.M. 1978, Bd. 3, S. 270 (im Folgenden zitiert als GW Band und Seitenzahl).
  7. Zu Benjamins Charakterisierung des Spaziergängers als Dingsammlers vgl. Kimmich, Dorothee: Lebendige Dinge bei Walter Benjamin und Robert Walser. In: Dogilmunhak. Koreanische Zeitschrift für Germanistik. 110 (2009), S. 9-29, bes. S. 14ff.
  8. Evans, wie Anm. 3, S. 174.
  9. Seelig, Carl: Wanderungen mit Robert Walser. Frankfurt a. M. 1977, S. 59.
  10. Wagner, Karl: Kommentar zu Walser, Robert: Der Gehülfe, Berlin – Zürich 2010, S. 273-312, hier S. 287 (Suhrkamp BasisBibliothek 102).
  11. Utz, Peter: Robert Walser. In: Steinecke, Hartmuth (Hrsg.): Deutsche Dich­ter des 20. Jahrhunderts. Berlin 1994, S. 197–211, hier S. 202.
  12. Das äuβere Geschehen dieses handlungsarmen Romans lässt sich in wenigen Sätzen resümieren: Joseph Marti arbeitet für einige Monate als Assistent des Ingenieurs und Erfinders Tobler, der mit seiner Familie in der Villa zum Abendstern im Dorf Bärenswil wohnt. Tobler möchte seine eigenartigen Erfindungen auf die Markt bringen und sucht dafür Investoren und Werbung, da er jedoch keinen Geschäftssinn hat, lässt sich der Misserfolg seiner Maschinerien und somit auch der finanzielle Verfall der Firma und der Familie nicht vermeiden. Am Schluss des Romans verlässt Joseph die Villa, in deren Alltäglichkeit er sich trotz der Probleme mit dem cholerischen Tobler für kurze Zeit einigermaβen eingelebt hatte. Der Schluss bleibt grundsätzlich offen, denn der Leser erfährt nicht, was Joseph bevorsteht. Der Gehülfe, der als Erweiterung einer Episode in Walsers Familienroman Geschwister Tanner (1906) angesehen werden kann, basiert auf eine biographische Begebenheit, nämlich auf den Aufenthalt von Walser vom Juli 1903 bis Januar 1904 als Commis beim Ingenieur Dubler in Wädenswil (Bärenswil im Text), einem kleinen Ort auf dem Zürichsee. Vgl. dazu Echte, Bernhard: Robert Walser. Sein Leben in Bildern und Texten. Leipzig 2008, S. 148-157.
  13. Wagner, Karl, Das Sozialmodell des ‚Gehülfen‘. In: Sprachkunst. 12 (1981), S. 150-170, hier S. 153
  14. Augé, Marc: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit. Aus dem Franz. v. Michael Bischoff. Frankfurt a.M. 1994 (franz. Originalausgabe 1992).
  15. Ebd., S. 92.
  16. Ebd., S. 112-113.
  17. Ebd., S. 126.
  18. Böhme, Hartmut: Fetischismus und Kultur. Eine Andere Theorie der Moderne. Reinbek bei Hamburg 2006, S. 117.
  19. Zur Anthropomorphisierung im Gehülfen vgl. Evans, wie Anm. 3, S. 34ff. Zu Toblers Erfindungen vgl. Greven, Jochen: Existenz, Welt und reines Sein im Werk Robert Walsers. Versuch zur Bestimmung von Grundstrukturen. Reprint der Originalausgabe von 1960. Mit einem Nachwort u. dem Publikationsverzeichnis des Verfassers hrsg. u. m. einer Einleitung versehen v. Reto Sorg. München 2009. S. 60-64; Keller, Martin Jakob: Robert Walsers Roman ‚Der Gehülfe‘, Diss. Phil., Zürich 1975, S. 31-54; Affolter, Hanspeter: Des Erfinders moderne Fetische. Fortschrittsglaube und Modernekritik in Robert Walsers ‚Der Gehülfe‘. In: Lötscher, Rebecca u. Gloor, Lukas (Hrsg.): Goldenes Anfängliches. Neue Beiträge zur Robert Walser-Forschung. Paderborn 2020, S. 15-30 (Robert Walser-Studien, Bd 4).
  20. Vgl. Heidegger, Martin: Der Ursprung des Kunstwerkes. Stuttgart 1960, S. 28 ff.
  21. Vgl. ebd., S. 33 ff.
  22. Böhme, wie Anm. 18, S. 109.
  23. Wagner, Karl: Kommentar, wie Anm. 10, S. 273-312, hier S. 296.
  24. Bachelard, Gaston: Poetik des Raumes. Aus dem Franz. v. Kurt Leonhard. München 1960, S. 50 (franz. Orginalausgabe 1957).
  25. Vgl. Böhme, wie Anm. 18, S. 108-110.
  26. Vgl. ebd., S. 106-108.
  27. Zu diesen Begriffen vgl. Foucault. Michael: Andere Räume. In: Karlheinz Barck u. a. (Hrsg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig 1992, S. 34-46, hier S. 37ff.
  28. Bachelard, wie Anm. 24, S. 51
  29. Maas, wie Anm. 3, beide Zit. S. 128.
  30. Windmüller, Sonja: Recycling. In: Samida, Stefania, Eggert, K.H. Manfred u. a. (Hrsg.): Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen, Konzepte, Disziplinen. Stuttgart – Weimar 2014, S. 104-109, hier S. 107.
  31. Walser, Robert: Aus dem Bleistiftgebiet. Bd. 1-4 entziffert u. hrsg. v. Bernhard Echte u. Werner Morlang. Frankfurt a.M. 1985-1990; Bd. 5-6 hrsg. v. B. Echte, entziffert in Zusammenarbeit mit W. Morlang. Frankfurt a.M. 2000, Bd. 4, S. 37-38 (im Folgenden zitiert als BG Band und Seitenzahl).
  32. Morlang, Werner: Nachwort zu BG 2 506-522, hier S. 511 .
  33. ‚Tücke des Objekts‘ ist ein aus dem Roman Auch einer (1879) von Friedrich Theodor Vischer stammende, in der materiellen Kultur nun geläufig gewordener Ausdruck für Probleme und Misshelligkeiten, die mit Objekten zusammenhängen, die zu selbständigen Akteuren werden. Darüber mehr in Böhme, wie Anm. 18, S. 493, Anm. 7.
  34. Kästner, Erich: Der Aufstand der Dinge. Byzantinische Aufzeichnungen. Frankfurt a.M. 1973, zitiert nach Böhme, wie Anm.18, S. 45.
  35. Latour, Bruno: Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie. Aus dem Franz. v. Gustav Roβler. 4. Aufl. Frankfurt a.M. 2018, S. 101 (franz. Originalausgabe 1999). Eine knapp formulierte, überzeugende Erklärung für den material turn in den Geisteswissenschaften liefern Andrew M. Jones und Nicole Boivin in ihrem Beitrag The Malice of Inanimate Objects: Material Agency. In: Hicks, Dan u. Beaudry, Mary C. (Hrsg.): The Oxford Handbook of Material Culture Studies. Oxford 2010, S. 333-351: „Recent suggestions […] that artefacts ‘have agency’ have not been made within an academic vacuum, but rather must be understood as very much the product of, or perhaps more appropriately the response to, a particular academic climate. This climate may be described as a heavily linguistic-oriented one. It is one that came to dominate the social sciences and humanities in the last half of the twentieth century“ (S. 335). Besonders zu der Tücke des Objekts: „The capriciousness of things, and their propensity to break down, or misbehave, just when they are most needed makes the idea of their agency a crucial component of the comedy and tragedy of human life.” (Ebd., S. 334).
  36. Jerome, Jerome K.: Three Men in a Boat. In: J., K. J.: Three Men in a Boat. Three Men on the Bummel. Edited with an Introduction and Notes by Geoffrey Harvey. Oxford 1998, S. 1-160, hier S. 78 (engl. Originalausgabe 1889).
  37. Zu der Tücke des Objekts als Quelle der Komik vgl. auch Muschg, Adolf: Die Tücke des verbesserten Objektes, oder Wovon erleichtert uns Technik, und wozu?. In: Schweizer Ingenieur und Architekt. 98 (1980), H. 48, S. 1177-1882, bes. S. 1177-1178.
  38. Wagner, Karl: „[D]ank meiner Schwäche und belehrt durch mein Epigonentum“. Robert Walser und der Roman. In: Fattori, Anna u. von Schwerin, Kerstin Gräfin (Hrsg.): »Ich beendige dieses Gedicht lieber in Prosa«. Robert Walser als Grenzgänger der Gattungen. Heidelberg 2011, S. 131-142, hier S. 141.
  39. „Was die Kleidergeschenke, die Sie mir gütigst machen wollen, betrifft, so habe ich mich in diesem Moment eines Bessern besonnen: ich nehme sie mit geziemendem Dank an, ich kann Wäsche und Kleider brauchen, wenn ich mich aufrichtig frage.“ (GW 5 145).
  40. Foucault, wie Anm. 27, S. 43.
  41. Zur Rolle der Elektrizität im Gehülfen vgl. Affolter, wie Anm. 19, S. 16ff.
  42. Stichwort “folly” in: Encyclopaedia Britannica. http://www-britannica.com/art/folly (abgerufen 4.12.2021). Vgl. dazu auch Headley, Gwyn u. Meulenkamp, Wim: Follies, Grottoes and Garden Buildings. Holborn 1999; Wrighte, William: Grotesque Architecture, Or Rural Amusement: Consisting of Plans, Elevations and Sections […]. London 1790 (vgl. besonders Abb. 9, 10, 11, 12, 13, 14).
  43. Keller, wie Anm. 19, S. 42.
  44. Vgl. ebd., S. 42ff.
  45. Bachelard, wie Anm. 24, S. 267.
  46. Vgl. Perniola, Mario: The Sex Appeal of the Inorganic: Philosophies of Desire in the Modern World. Aus dem Ital. v. Massimo Verdicchio. New York – London 2004, S. 53-62 (Kapitel 14: Fetishism and Sex Appeal of the Inorganic und passim).
  47. Zum Begriff der Aura vgl. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a. M.1974 (st, Bd. 28), S. 13-21.
  48. Vgl. Lüthi, Max: Das europäische Volksmärchen. Form und Wesen. 8. Aufl. Tübingen 1985, S. 27ff.
  49. Vgl. Lurker, Manfred: Wörterbuch der Symbolik. 5. Aufl. Stuttgart 1991, Stichwort ‚Fortuna‘, S. 213.
  50. Herzog, Urs: Robert Walsers Poetik. Literatur und soziale Entfremdung. Tübingen 1974, S. 73.
  51. Wagner, Karl: Der Gehülfe (1908). In: Gisi, wie Anm. 5, S. 106-116, hier S. 112.
  52. Auch hierauf hat Karl Wagner in seinen grundlegenden Studien zum Gehülfen hingewiesen (vgl. Wagner, Kommentar, wie Anm. 10, S. 298).
  53. Woolf, Virginia: Mr. Bennett and Mrs. Brown. 2. Aufl. London 1928, S. 1 (The Hogarth Essays).
  54. Ebd., beide Zit. S. 11.
  55. Lüscher, Kurt: Ambivalenz. In: Gisi, wie Anm. 5, S. 355-357, hier S. 355.