Der Aufbruch zu freien Räumen. Vom Verhältnis der jungen Schweizer Autoren zur instituierten Vaterlandsvorstellung

Dariusz Komorowski

Der Aufbruch zu freien Räumen. Vom Verhältnis der jungen Schweizer Autoren zur instituierten Vaterlandsvorstellung

I.
Der im Titel des Referats erwähnte „Aufbruch zu freien Räumen“ unterstellt, dass die literarischen Protagonisten der „älteren“ Generation der Schweizer Schriftsteller und diese selbst sich in unfreien Räumen bewegt haben. Was heißt es aber eigentlich „freie Räume“? Frei wofür? Oder vielleicht wozu? Oder frei wovon? Im Folgenden wird ein Versuch unternommen, auf diese und eine Reihe von weiteren Fragen Antworten zu geben.
Den Ausgangspunkt für meine Erwägungen bildet das in der letzten Zeit viel diskutierte Buch von Pia Reinacher Je Suisse. Zur aktuellen Lage der Schweizer Literatur. Reinacher behauptet, die Generation der Schweizer Schriftsteller, die sich gegen „den Käfig der Schweiz stemmten“, sei schon älter und ruhiger geworden. (Reinacher: 7) An die Stelle der engagierten Literatur der Nachkriegs- und der 68er-Generation tritt in den 80er und 90er Jahren eine Literatur der „eigenen Biographie, der Liebe, des Sex und des Partnerstress“. (Reinacher: 9) Damit sollte der bisher dominierende Vaterlandsdiskurs in der Schweizer Literatur abgeschwächt und letztendlich in der Welle der ‚jungen Literatur’ aufgelöst werden.
Das Politische in der Schweizer Literatur der Nachkriegsjahre wurde durch die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Schweiz“ gekennzeichnet, der seine Bestimmung in den Vorkriegsjahren erhalten hatte. In der Situation politischer und gesellschaftlicher Unsicherheit, angesichts des im benachbarten Land aufsteigenden Nationalsozialismus wandten sich die Schweizer ihrem Schweizertum zu, das zwei wichtige Aufgaben erhielt: Einerseits sollte die Hervorhebung des Eigentümlichen der Distanzschaffung zum Deutschtum, andererseits der Überbrückung der inneren Klüfte zwischen einzelnen Kulturregionen der Schweiz dienen. Es wurde mehrmals darauf hingewiesen, dass den Höhepunkt der nationalen Bewegung der Vorkriegszeit die Landesausstellung von 1939 bildete. Peter von Matt spricht in Bezug auf die damalige Geisteshaltung von einer „kollektiv-erotischen Hingabe an das Vaterland“ (von Matt: 124), die dann in die Rituale des Kriegs einmündete. Es erübrigt sich, an der Stelle noch einmal all die Bilder zu nennen, die, aus der schweizerischen Gründerzeit aufgewärmt, in Umlauf gesetzt wurden. Für meine Betrachtungen ist jedoch ein zusätzlicher Aspekt des „ekstatischen Patriotismus“ (von Matt: 124) von Bedeutung. Der Zürcher Germanist verweist in seinen Ausführungen über den Einheitsmenschen „Schweizer“ darauf, dass dieser „gewollt, gefordert, wenn nicht gar befohlen“ wurde. (von Matt: 125) Diesem äußerlich/innerlichen Zwang zur Annahme der angebotenen Bilder schloss sich dann eine so weit gehende Verinnerlichung der Symbole an, dass von Matt von einer unreflektierten Aufnahme derselben spricht. (von Matt: 125) Die zweifach hervorgehobene unkritische Inkorporierung der Bilder durch die Schweizer lässt von einer Instituierung der Vorstellung „Schweiz“ sprechen. Da die Begriffe „Institution“ oder „Instituierung“ den Kernpunkt meiner weiteren Ausführungen bilden, bedürfen sie einer genaueren Bestimmung.

II.

Unter den Institutionsforschern unterschiedlicher Provenienz weist das Verständnis des Zentralbegriffs ihrer Untersuchungen eine grundsätzliche Gemeinsamkeit auf, nämlich das Symbolhafte. Von der Institution als symbolischer Ordnung sprechen die Wissenschaftler aus dem Dresdener Sonderforschungsbereich 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“, die in der symbolhaften Vermitteltheit der Welt die Möglichkeit für interdisziplinäre Zugänge zur Frage der Instituierung sehen. Cornelius Castoriadis, dessen Institutionenlehre die Grundlage für meine weiteren Untersuchungen darstellt, betrachtet die Institution als „ein symbolisches, gesellschaftlich sanktioniertes Netz, in dem sich ein funktionaler und ein imaginärer Anteil in wechselnden Proportionen miteinander verknüpfen“. (Castoriadis: 226) Es ist nicht nur wegen der Vermitteltheit der Welt wichtig, dass die Institutionen auf der symbolischen Basis gebildet werden, sondern auch deswegen, weil schon die elementaren Lebensprozesse des Menschen mit seiner grundlegenden Symbolisierungsfähigkeit verknüpft sind. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, eine totalisierende Theorie der Institutionen zu entwerfen, was Castoriadis auch tut. Von der Annahme her seien auch die kulturellen Leistungen des Menschen zu verstehen. (Rehberg: 7) Neben den zahlreichen Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Institutionstheorien, wie deren symbolhafte Beschaffenheit, ihre Funktion als Stabilisator sozialer Bezüge und das wechselseitige Verhältnis zwischen der Institution und dem Individuum – das Individuum sei sowohl geschaffen als auch schaffend, instituiert und instituierend – gehen die einzelnen Vorstellungen über die Institutionen doch auch weitgehend auseinander. Die Castoriadissche Institutionentheorie kann man als eine totale bezeichnen, denn es gibt, Castoriadis zufolge, keine Lebenssphäre des Menschen, die aus den Instituierungsprozessen ausgeschlossen wäre. „Jede Gesellschaft muss, um bestehen zu können, die Welt als ihre Welt, ihre Welt als die Welt und sich selbst als Teil dieser Welt instituieren.“ (Castoriadis: 317) Die Instituierung wird vermittels der Symbole vollzogen, hauptsächlich durch die Sprache, welche „das Strukturgesetz des prinzipiellen Verweisungscharakters aller menschlichen Sinnes- und Wahrnehmungsstrukturen sowie Handlungsvollzüge am deutlichsten zum Ausdruck bringt.“ (Rehberg: 6) Die Wahl der Symbole, in denen eine Institution existiert, basiert auf dem Vorfindlichen, das Individuum trifft immer schon auf eine bereits konstituierte Sprache. Die Verwurzelung der Institutionen im Symbolischen lässt die Transzendierung ihrer Realität auf die Ebene des Fiktionalen und somit ihre Wiederholbarkeit und dauerhafte Sicherung von Handlungsvollzügen zu. (Rehberg: 8) Aus diesen Eigenschaften der Institutionen resultiert ihr Vermögen zur Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber und somit zur Unterordnung jedes menschlichen Lebens. Dies tritt ein, wenn die Symbole sich in der Wirklichkeit dermaßen etabliert haben, dass man sie unreflektiert aufnimmt und genauso unreflektiert das Leben nach ihnen richtet. (Castoriadis: 226) Dadurch werden die Institutionen nicht nur verselbständigt, sondern gewinnen auch eine Vormachtstellung gegenüber der Gesellschaft. Auf eine solche Verselbständigung wurde schon eingangs bei den Ausführungen zu Peter von Matt hingewiesen. Die „gewollte oder sogar befohlene ekstatische Hingabe an das Vaterland“, „unreflektierte Aufnahme der altbewährten Symbole“, seien nichts anderes als eben Institutionen im Castoriadisschen Sinne.
Außer der Beständigkeit der Institutionen wird auf eine Möglichkeit hingewiesen, die ihre Ursache auch im Symbolischen findet, nämlich die Möglichkeit ihrer Veränderung. Da jeder Symbolismus auf den Ruinen älterer Symbolsysteme errichtet wird und deren Material benutzt, können mit jedem Wechsel des geschichtlich-gesellschaftlichen Moments immer wieder neue Verbindungen zwischen dem Signifikant und dem Signifikat hergestellt werden. Dies ist insofern von Bedeutung, als die grundsätzlich in ihrer stabilisierenden Funktion gesehenen Institutionen nicht als Konstanten aufgefasst werden können. Ein neuer gesellschaftlich-geschichtlicher Kontext führt zur Lockerung und Auflösung der Signifikanten von ihren etablierten Bedeutungen; sie gehen neue Verbindungen ein. Zur Welt gebracht, befindet sich der Mensch in der Welt der Identitäten, die geschöpft und instituiert werden, wobei im Prozess der Schöpfung zugleich die Gesetze derselben geschaffen werden. Castoriadis geht davon aus, dass die Schöpfung stets Formgebung und Gesetzgebung zugleich impliziert. Die Schöpfung, solche Aktivitäten umfassend wie Bestimmung, Einrichtung und Bezeichnung eines identischen Etwas oder Jemand, bedeutet immer auch „Institution von Norm“ (Waldenfels nach Merleau-Ponty: 61).
Aus dem Dargebotenen geht hervor, dass die Castoriadissche Auffassung von Institution eine totale ist, sie lässt keine Sphäre des menschlichen Lebens jenseits ihres Einwirkens, da das Menschliche u.a. stets auch das Gesellschaftliche ist; und der menschlichen Erkenntnis sei nur das Instituierte zugänglich, denn die Erkenntnis selbst und ihre Gesetze seien auch schon instituiert worden. Wie der Titel des Hauptwerkes von Castoriadis zeigt, betrachtet der französische Philosoph die Gesellschaft selbst als eine Institution, und zwar die Institution der Welt von Bedeutungen. Im 19. Jahrhundert instituieren sich die europäischen Gesellschaften grundsätzlich als Nationen, konzentriert jeweils um einen anderen zentralen Begriff des Vaterlandes. Im Falle der Eidgenossen ist es die „Schweiz“ gewesen, welche durch eine ganze Reihe von Bedeutungen instituiert wurde und welche ihrerseits die Sphäre des Nationalen instituiert.

III.

Aufgrund der Kommunikationslehre stellt Hansjörg Siegenthaler fest, dass Kommunikation sich in unsicheren, krisenhaften Zeiten in die Richtung von „verstehens- und verständigungsorientierter Wechselrede“ (Siegenthaler: 28-29) entwickelt. Eine solche Wechselrede ist durch eine ungewöhnliche Konzentriertheit auf das in der Übertragung Notwendige gekennzeichnet, die aus dem Bedürfnis resultiert, sich im Kommunikationsprozess auf dem einfachsten Weg, ohne irreführende Sprachspiele, verständigen zu können (Siegenthaler: 29). Innerhalb von Gemeinschaften greift man dann in Gesprächen auf tradierte Bilder, Riten und gemeinsame Erfahrungen zurück. Über diese Bilder spricht Guy Marchal, dass sie sich zu einer Bricolage zusammenfügen, zu einem mentalen Konstrukt, mit einer konkreten semantischen Ladung und einem Vermögen, sich zu verselbständigen (Marchal: 38). Marchal beschreibt in seinem Aufsatz den langsamen Weg der Schweizer zum allgemeinen Identitätsbild. Es wurde die Rolle der Aufklärer in der Bestimmung einer „geschichtlich orientierten Selbstschau“ (Marchal: 39) hervorgehoben, in welcher die Rückbesinnung auf die Ursprünge der Eidgenossenschaft die Grundlage bildet. Es waren die Aufklärer, welche die Einwohner der zentral gelegenen Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden zu den Urvätern der Eidgenossen gemacht und sie mit den Charakterzügen ausgestattet haben, die sich in den nächsten Jahrzehnten etabliert haben. Sie stellten sich die Eidgenossen als „fromme, tugendhafte, selbstgenügsame und einträchtige Bauern, die gerade wegen ihrer schlichten Einfachheit von Gott […] auserwählt worden waren“ vor. (Marchal: 39) Man sprach vom „güldenen Zeitalter des Volkes“, was sich auf die Gründungszeit bezog. Dessen Vorstellung wurde angesichts eines drohenden Zerfalls des Bündnisses oft zur positiven Besinnung herbeigerufen. Zu derselben Zeit schloss sich der Bildbricolage der Schweiz ein zusätzliches Tableau an, nämlich das des „Alpenlandes“. Der wahre Schweizer wurde „auf dem Gipfel des Gotthards gesehen, wo er seine Herde weidet, spricht allein von Kuh, von Bundesschluss und Freiheit.“ (Marchal: 42) Ende des 19. Jahrhunderts wird dieser Bilderkomplex um einen neuen bereichert, der sich im Laufe der Zeit als „typisch schweizerische humanitäre Haltung“ etabliert, die ihrerseits auf die Gründung des Roten Kreuzes zurückgeht. Weitere Hinweise für die Herauskristallisierung des Schweizerbildes im 19. Jahrhundert liefert Georg Kreis in seinem Buch Der Mythos von 1291, in dem der Autor die Prozesse analysiert, welche zur Entstehung des Nationalfeiertages geführt haben. Kreis spricht von einer Mythisierung des Datums und des damit verbundenen Ereignisses. Kreis zeigt, wie der Ende des 13. Jahrhunderts unterzeichnete Bundesbrief langsam und nicht ohne Störungen zur Grundlage der schweizerischen Identität und somit zum Instruktionspapier wird, das den Schweizern generell anweist, wie sie die schweizerische Welt verstehen und wie sie sich verhalten sollen, damit sie sich im Einklang mit dem damals Welt gewordenen Schweizertum befinden (Kreis: 9). Mit der Festlegung des Nationalfeiertages auf den 1. August, was auf das Jahr 1291 zurückweist, wurde der Nationalbilderbestand en gros abgeschlossen. In den nächsten Jahrzehnten wird angesichts einer Krise auf dieses Bilderreservoir zurückgegriffen, grundsätzlich um die schweizerische Einheit zu bewahren. So ist es am Anfang des Ersten Weltkrieges gewesen, als Carl Spitteler in der Rede Von unserem Standpunkt die allen Schweizern gemeinsame Tradition des neutralen Humanismus hochspielte, um dem Zerfall der Eidgenossenschaft vorzubeugen. Aus dem überlieferten Bilderkomplex schöpften die Intellektuellen auch während der Zeit der Geistigen Landesverteidigung, als die Welle des ‚ekstatischen Patriotismus’ die Schweiz durchzog. In den damals populär gewordenen literarischen Werken zeichnete sich deutlich eine Tendenz ab, die auf die Hervorhebung des Ganzheitlichen zielte. In den groß angelegten Romanen von Meinrad Inglin, Albert Jakob Welti, Albin Zollinger und Kurt Guggenheim sieht Dominik Müller das Bestreben der Autoren, das gesamte Panorama der Schweiz darzustellen, was sich der allgemeineren Tendenz anschließt – dies zeigen u.a. die Werke von Thomas Mann oder Robert Musil ?, sich jedoch in dieser nicht erschöpft. Einen wichtigen Grund für die panoramaartige literarische Darstellung der schweizerischen Wirklichkeit bildet doch das omnipräsente Programm der Geistigen Landesverteidigung. In der Zeit dieses Höhenflugs vom schweizerischen Patriotismus kreuzen sich also eine aktive und unreflektierte Übernahme der überlieferten Vorstellungen der Schweiz mit dem Willen, das Vaterland als Ganzheit und Einheit in Opposition zu Nazideutschland darzustellen. Der Instituierungsprozess des Begriffes „Schweiz“ erlebte damals seine volle Entfaltung. Sowohl die Schriftsteller als auch die Leser, die Maler und die Betrachter ihrer Werke waren es gewöhnt, das Ganze, das Umfassende darzustellen und zu rezipieren. Es ist insofern begründet, von einer Institution „Schweiz“ am Anfang des 20. Jhs zu sprechen, als der imaginierte Vorstellungskomplex all die Merkmale aufweist, welche einer Institution im Castoriadisschen Sinne eigen sind. Man spricht über diesen Bilderkomplex als ein mentales Konstrukt, das sich verselbständigen kann und das durch die Bevölkerung unreflektiert aufgenommen wird. Die Instituierung der Schweiz war nicht ein von dem gesellschaftlich-kulturellen Geschehen isolierter Prozess. Diesem schloss sich konsequenterweise die Instituierung der Literatur- und der Schriftstellerrolle an. Gefragt waren Bücher, welche die Identität der Schweizer stärken konnten, welche im Geiste der erwähnten „einfachen Wechselrede“ geschrieben wurden und welche vaterländisch engagiert waren. Dies verlangte von den Autoren entsprechende stilistische Mittel, wie z.B. den Anspruch auf „Totalität“, und eine entsprechende Themen- und Stoffauswahl. Dass eine solche Einstellung wirklich instituiert wurde, bezeugt u.a. auch die ausbleibende Anerkennung solcher Schriftsteller wie Robert Walser, Friedrich Glauser oder Ludwig Hohl, die sich in ihren Werken auf das Kleinformatige, das Individuelle konzentriert haben. (Müller: 153) Walser schrieb dazu in seinem Kleinprosastück Eben sprang aus einem Verlagshaus ein Buch heraus, in dem die Totalität der populären Literatur der „ernsten Literatur“ gegenübergestellt wird, Folgendes:
„Ein Stückchen Anspielung ist wahrer als die höchstaufgehäufte Menge von unbedingt ihre Zeit nicht verfehlender Zeitabbildung, die jedesmal ein Ausplaudern ist.“ (Walser: 319)
Das beste Zeugnis für die Vorherrschaft des Großformatigen im Bewusstsein der Schweizer der 30er Jahre liefert das Landi mit seinen figurenreichen Bildern, von denen Dominik Müller sagt, sie seien eine Totalitätssuggestion (Müller: 150). Diese wurde durch eine „umfang- und detailreiche Auslegeordnung und eine Integrationsoperation bestimmt, welche verbürgt, dass die doch immer noch beschränkte Zahl von Einzelelementen das Ganze bedeute“ (Müller: 150). Unter diesen Einzelelementen sind auch die Orte zu verstehen, welche trotz ihrer räumlichen Beschränktheit doch zu Handlungsorten werden, in denen sich die aus allen Winkeln der Schweiz stammenden Fäden überkreuzen. Dies bezieht sich z.B. in Inglins Schweizer Spiegel sowohl auf die Charaktere, als auch auf die politischen Anschauungen derselben und ihre konfessionelle Zugehörigkeit, die in konzentrierter Form in Zürich aufeinander stoßen. Zur Instituierung der Vorstellung „Schweiz“ hat auch wesentlich die in den 20er und 30er Jahren ihren Triumphzug genießende Heimatdichtung beigetragen. Ernst Zahn, Heinrich Federer oder Alfred Huggenberger lieferten die Grundlage für das spätere Aufkommen des Gefühls von Auserwählt- und Sonderfall-Sein. Ein Detail, ein Ort steht für die ganze Schweiz.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Instituierung des Begriffs „Schweiz“ vor dem Zweiten Weltkrieg auf mehreren Wegen zustande kam. Als der entscheidende Moment wird die Instituierung der Vorstellung von der Schweiz selbst gesehen, der sich weitere, schon erwähnte Instituierungsprozesse angeschlossen haben. Mit der Instituierung des Begriffs „Schweiz“ und der Rolle des Dichters als eines engagierten wurde ein für meine Untersuchung wichtiger Schritt getan, um zwischen den einzelnen fiktiven Handlungsräumen – Orten, Landschaften oder Kantonen – und der Schweiz eine Brücke zu errichten. Auf die Ebene des mentalen Konstrukts, einer Institution, übertragen, laufen die „Kleinräume“ mit dem Vaterland zusammen, ein einzelner Handlungsort wird zum Modell für die Schweiz als Ganzes. Dieser Denklinie folgte dann in den 50er Jahren die in der Schweizer Literatur gestartete Heimatdebatte.
Mit dem berühmt gewordenen Satz „Ich bin nicht Stiller“ initiiert Max Frisch die in den nächsten Jahrzehnten von den Intellektuellen geführte kritische Auseinandersetzung mit dem verinnerlichten Bild der Schweiz. Das zitierte Bekenntnis des Romanprotagonisten bezieht sich nicht nur auf seine individualpsychologische Entschlossenheit, eine andere Person zu werden, sondern auch auf seine nationale Zugehörigkeit, in der er u.a. die Gründe für das eigene missratene und bedrängte Leben sieht. Der Satz drückt seinen festen Willen aus, nicht Schweizer zu sein. In demselben Jahr wie Stiller erscheint Frischs nächster Text achtung: die Schweiz, der vom Autor selbst als Broschüre bezeichnet wurde. Die Broschüre war das Ergebnis einer Diskussion von Architekten Max Frisch, Lucius Burckhardt und Markus Kutter über die aktuelle Lage der schweizerischen Kultur. Es wurde in dieser Diskussion erneut das Problem der Landesaustellung von 1939 aufgegriffen und auf deren positive Ausrichtung hingewiesen. Die Gesprächsteilnehmer sind sich in der Einschätzung einig, die Landesausstellung begründete das damals gefährdete nationale Bewusstsein wesentlich mit.
„Es ging damals vor allem darum, sich als Nation zu erkennen, sich in diesem Sinn zu wollen. Es wurde eine schweizerische Lebensform gezeigt, hervorgegangen aus der Geschichte, und es wurde eine patriotische Sprache gefunden, die heute noch den Wortschatz des Schweizers als Schweizer ausmacht.“ (Frisch 1954: 140)
In achtung: die Schweiz wurde offen gesagt, was späterhin den Kampf Frischs mit der instituierten Schweiz mitgeprägt hat, nämlich die Rolle der Sprache bei der Verinnerlichung des Schweizerbildes. In der kurzen Skizze der Institutionstheorie von Castoriadis wurde auch auf die Sprache als Hauptmittel der Instituierung hingewiesen. Es wurde gesagt, dass die Individuen auf die immer schon in der Gesellschaft konstituierte Sprache treffen, und dieser vorgefundenen, durch seine Generation übernommenen Sprache erklärt Frisch den Krieg. Sein Ziel ist es, die Widersprüche in der Gesellschaft aufzudecken, um diese Gesellschaft vor der Erstarrung in der Eindeutigkeit zu retten, in welche diese sowohl von den Schriftstellern, den Politikern als auch von den Massenmedien der „offiziellen“ Schweiz getrieben wird. Dies kann er nur tun, wenn er sich nicht ihrer „offiziellen“ Sprache bedient:
„Indem ich diese Gesellschaft, die Meinungen hat, welche sie bestätigen, wiederum mit Meinungen in ihrer Sprache bekämpfe, bin ich verloren“ (Frisch 1972: 20)
Seine Auflehnung gegen die von der Zeit der vaterländischen Euphorie übernommene Sprache richtet sich zugleich gegen das offizielle Bild der Schweiz, das einerseits dank seiner Schwerkraft, andererseits dank einer neuen politischen Polarisierung in Europa für das Schweizer Volk nichts an Aktualität verloren hatte. Hans Wysling sieht in Max Frisch die „Vaterfigur“ der Schriftsteller, welche nach dem Zweiten Weltkrieg, in einer veränderten politischen und kulturellen Situation, ihrer Heimat kritisch gegenüber standen. Die Auseinandersetzung Frischs mit seinem Vaterland bedeutet aber, dass sich der Dichter immer noch in der gleichen instituierten Position des Schriftstellers befand, wie sie vor 1945 gestaltet wurde – der Position eines engagierten Schriftstellers, dessen Werk die Schweiz zum Hauptthema hat, das diese jedoch mit einem Minuszeichen versieht. Frisch ist sich dessen bewusst, mehr noch – er behauptet, es gebe keine Literatur, die nicht gesellschaftsbedingt wäre. Die Frage ist nur, ob dieses Bewusstsein der Dichter über die Bedingtheit ihrer Literatur ein affirmatives oder eher ein kritisches sei. (Frisch 1972: 17) Sein Engagement ist jedoch ein deutliches Zeugnis von der Dauerhaftigkeit der instituierten Rolle des Schriftstellers in der Eidgenossenschaft als eines engagierten.
Schon mit Stiller wurde die Tendenz gekennzeichnet, die dem Leser erlaubte, wenn ihn nicht sogar zwang, in den einzelnen Handlungsorten die ganze Schweiz zu sehen. Sehr deutlich wurde dort die in der Folge literarisch so populär gewordene Opposition Schweiz – New York markiert, von der Peter von Matt spricht:
„Die Hymne auf New York war für den kritischen Patriotismus so zentral wie die Abschaffung von Wilhelm Tell. New York und die Schweiz: das war Weite gegen Enge, Offenheit gegen Beschränktheit, Wirklichkeit gegen Illusion.“ (von Matt: 140)
Dies war aber nicht der einzige Weg, die Handlungsorte in den Kritikmechanismus einzuspannen. Es beginnt die Ära von fiktiven Handlungsorten, welche stellvertretend für die Schweizer Verhältnisse stehen sollten (Zingg: 644). 1961 erscheint Frischs Theaterstück Andorra, dessen Handlung mit der Beteuerung eingeleitet wurde, das Andorra dieses Stücks habe nichts zu tun mit dem wirklichen Kleinstaat dieses Namens, gemeint sei auch nicht ein anderer wirklicher Kleinstaat; Andorra sei der Name für ein Modell. Diese Behauptung soll den Leser jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch, wenn nicht ausschließlich, so doch die Schweiz mit gemeint wird. Von einer modellhaften Verwendung der Ortsnamen spricht auch der oben zitierte Martin Zingg. Frisch liefert im Text einen deutlichen Hinweis auf den allgemein schweizerischen Bezug, indem er den Soldaten, eine der im Stück auftretenden Personen, angesichts der seitens der Schwarzen drohenden Gefahr den Rütlischwurtext mehrmals paraphrasieren lässt: „lieber tot als Untertan“ (Frisch 1970: 18). Der heraufbeschworene, von Friedrich Schiller verfasste Text des Rütlischwurs wirkt spöttisch nicht nur vor dem Hintergrund der ängstlichen und gemeinen Haltung des Soldaten im Stück, sondern auch im Kontext des assoziierten Rütlirapports, während dessen General Guison das strategisch zweifelhafte Reduitkonzept der Landesverteidigung bekannt gemacht hatte. Eines ähnlichen Mittels bedient sich Friedrich Dürrenmatt in seinem Stück Der Besuch der alten Dame, indem er den Bürgermeister von Güllen, veranlasst durch die Forderung Clara Zachanassians, sprechen lässt: „Lieber bleiben wir arm denn blutbefleckt“ (Dürrenmatt: 50) Diesen fiktiven Handlungsorten, welche stellvertretend für die gesamte Schweiz zu sehen sind, schließt sich eine Reihe von anderen an, wie Otto Walters „Jammers“, Reto Hännys „Ruch“ oder „Schilten“ von Hermann Burger, um nur einige zu nennen. Im Vergleich zum Vorkriegsbild der Schweiz ist das Schweiz-Konstrukt der 50er, 60er und 70er Jahre nicht mehr positiv ausgerichtet, sondern mündet in einen Gegensatz zum Ersten. Andere Schriftsteller dieser Zeit treten in die Fußstapfen der zwei „Großen“ und sehen sich innerlich gezwungen, dieselbe kritische Haltung ihrem Vaterland gegenüber anzunehmen. Peter von Matt nennt die Auseinandersetzung Frischs mit der Eidgenossenschaft noch einen tollkühnen Partisanenstreich, um anschließend das kritische Schaffen anderer Dichter der 70er Jahre als Normalität abzuwerten.
„Man erwartet es sogar von den Autoren und Autorinnen. In der Öffentlichkeit hat sich die Vorstellung festgesetzt, Schriftsteller sein heiße, die Denkschablonen der vaterländischen Festredner attackieren und der ‘guten Schweiz’ den Spiegel der ‚bösen’ vorhalten. Es gibt einen geläufigen Literaturbegriff, der etwas anderes schon gar nicht mehr registriert.“ (von Matt: 138)
In dem kritischen Diskurs werden andere Bilder, diesmal der „bösen“ Schweiz, evoziert, die modellhaft aufgestellt werden. Der schweizerischen Bevölkerung wird vorgeworfen, sie sei ergraut in Materialismus und Konservatismus, in sich gekehrt und immobil; auf Sparen und Nichts- Wagen bedacht; scheinheilig und scheinlebendig; und die Schweiz sei ein gemütliches Vakuum (Nizon: 336f). Dies ist eine sehr zutreffende Zusammenfassung der Vorstellungen der bösen Schweiz, die von demselben Paul Nizon stammt, der Anfang der 70-er Jahre die später so populär gewordene räumliche Metapher der „Enge“ geprägt hat, die ihrerseits in Opposition zur panoramaartigen Darstellung der Vorkriegsschweiz gesehen werden kann. Eine Zuspitzung erfährt die Auseinandersetzung mit der Heimat in Dürrenmatts Laudatio auf Vaclav Havel, in der etwas verspätet – die kritische Welle nimmt 1990 schon deutlich ab – die Schweiz als ein Gefängnis bezeichnet wird. Eine Schwelle, an der sich der Übergang zu einer anderen Position des Dichters in der Gesellschaft abzeichnet, bildet wohl das Werk von dem schon erwähnten Hermann Burger, was auch Pia Reinacher feststellt. Außer dem strikt literarischen Schaffen weist sie auf seine literaturwissenschaftlichen Arbeiten hin, in denen Burger eine Diagnose liefert, die Schweizer Literatur geriete in eine Sackgasse des Patriotismus, aus der sie bald einen Ausweg finden müsse.
„Eine neue Offenheit ist gefragt, helvetisch in ihrer Grundprägung und doch die Landesgrenzen sprengend, fernab von jedem chauvinistischen Insel-Kult“. (Reinacher: 8)
In Burgers Romanen ist neben der Abrechnung mit diesem Insel-Kult auch ein anderes, individuell geprägtes Motiv zu finden, das einen Vorschlag für die nächsten Dichtergenerationen verbirgt – es ist seine Auseinandersetzung mit der Literatur, mit der Kunst und der Rolle, welche diese in seinem Leben einnehmen. Wolfram Schöllkopf, der Protagonist des Romans Die Künstliche Mutter, begibt sich nach einer tiefen Enttäuschung in der Arbeit und im privaten Leben auf die Suche nach Sicherheit, welche er in der Muttergestalt, u.a. auch als Patria verstanden, vermutet. In der Wiege des Schweizertums am St. Gotthard erfährt er, in welchem Irrtum er verweilte, als er dachte, die Mutter Helvetia könne ihm verhelfen, festen Boden unter den Füssen zu erhalten. Der Irrweg des Protagonisten ist zugleich ein Irrtum des Autors, welcher im Vaterländischen einen richtigen literarischen Weg erwartet. Eine Alternative würde in einem universellen Stoff gesehen, wie die Liebe zu Flavia Soguel. Das Motiv der unglücklichen Liebe ist wohl das einzige im ganzen Roman, das ohne distanzschaffende Ironie erzählt wird. Der sonst meisterhaft gestaltete Spott bezüglich der helvetischen Mythologie, der Vaterlandsliebe, kann als eine literarische Absage gelesen werden, denn dieses Motiv führt von einer Niederlage zur nächsten. Für Hermann Burger als Dichter ist das Individuelle, welches eine Reihe von universellen Motiven zu entfalten vermag, wie die Liebe oder die gesellschaftliche Entfremdung des Subjekts, viel wichtiger als das Vaterländische. Nicht nur die Schweiz als Mutter-Patria, sondern selbst das Vaterlandsmotiv auf der metadiskursiven Ebene seiner Prosa zeigen ihre „künstlich“ zugedeckte Leere. Aus dieser Perspektive erscheinen die jungen Schweizer Autoren als Kinder „Der Künstlichen Mutter“.

IV.

„- Verstehen Sie sich als Schweizer Schriftsteller?
– Die Sachen, die ich bis jetzt beschrieben habe, spielen in einer Umgebung, die typisch ist für die Schweiz. Aber das Wort Schweiz hat für mein Schreiben keine Bedeutung. Das Deutsch, das ich schreibe, ist natürlich als schweizerisch gefärbt zu erkennen.“ (Weber im Gespräch mit Anderegg)
In diesem Zitat skizziert Peter Weber, Jahrgang 1968, die Grundeinstellung der Dichter seiner Generation zur Vaterlandsfrage. Literarisch gesehen liegt die Eidgenossenschaft weit weg jenseits ihres Interesses. Diesen Paradigmenwechsel in der schweizerischen Literatur der 90er Jahre möchte ich hiermit an drei Fallbeispielen veranschaulichen, die sich doch unterschiedlichen Stils und Stoffes bedienen: Es sind Prosawerke von Peter Weber, Peter Stamm (geb. 1963) und Zoë Jenny (geb. 1974). Der schon zitierte Peter Weber begibt sich in seinem Erstling Der Wettermacher überraschenderweise in die Gegenden, in denen er aufgewachsen ist – dem Toggenburg. Das real existierende Thurtal wird im Roman nicht nur zu einer Kulisse für die Romanhandlung, sondern wächst sogar fast zur Rolle einer Romanfigur heran. Die Landschaft, der Raum spielt mit, tritt als ein dem Erzähler sehr wohl Bekannter auf, auf den man sich verlassen kann. Der Protagonist und der Er-Erzähler zugleich, August Abraham Abderhalden, macht das Thurtal absichtlich zum Thema seiner Erzählung, die einer geliebten Frau und seinem Bruder gewidmet ist. Er sagt:
„Dies ist die Geschichte der wundersamen Landschaft Toggenburg, die am Himmel festgemacht ist, durch die der Erzählfluß fließt, in die hinein die Brüder Freitag Melchior und August Abraham gepflanzt werden, aus der heraus die Familie Abderhalden kommt.“ (Weber 1993: 7)
Am Erzählstrom erkennt man leicht, wie leidenschaftlich das Verhältnis des Autors zu seiner Heimat ist, obwohl diese Leidenschaft keine Spuren der von Peter von Matt genannten erotischen Hingabe an das Vaterland erkennen lässt. Die Toggenburger Landschaft weist eine starke emotionale Ladung dieser Art auf, die auf die dort verbrachte Kindheit, die sehr gut bekannten Spielorte und Menschen zurückgeht. Sie ist in dieser Hinsicht rein, als man von keiner Art Politisierung oder Gestaltung im Sinne eines Heimatromans sprechen kann, welche eine Idealisierung derselben oder starkes Engagement des Dichters fordern würden. Davon, dass es keine Heimatdichtung ist, zeugt nicht nur eine für dieses Genre untypische fulminante Sprache, welche eine Distanz zum Dargestellten schafft. Dem Leser wird eine einfache Versetzung in diese Landschaft, eine Identifizierung mit dem Idyll verwehrt, umso mehr, als es wirklich auch kein Idyll ist. In der poetisch reizvollen Beschreibung des Toggenburg, das sich mit den Jahreszeiten verändert, sagt der Erzähler, das Toggenburg sei im Oktober Jammer- und Klagegrün (Weber 1993: 74). Auch das Mittelland der Schweiz stellt sich nicht als eine Idylle dar, es sei eher eine Quelle der ätzenden Säfte, dort steigen die Dämpfe, auf sattgetränktem Boden grassieren die Kantonsstraßen, Schnellstraßen, Verbindungsstraßen, dort herrscht auch der Nebel, der alles zum Verstummen bringt (Weber 1993: 75). Es bleibt in dem Roman auch wenig von der tradierten Opposition: die heilvolle, natürliche Schweiz versus die Zivilisation einer Großstadt. Zwar wird in der Vorgeschichte der Mutter ihr Herkunftsort Berlin, die europäische Metropole der 30er Jahre, beschrieben, ihre Ankunft in Toggenburg wird jedoch nicht als eine Fahrt ins Paradies hochgespielt, sondern eher mit Bedenken angereichert, die aber nicht ins Kritische münden:
„Du gerietst, Ute, in eine Welt für sich, die hielt Welten für sich versteckt. Du gerietst in eine Welt für sich, die war hinter der chinesischen Mauer. Du gerietst in eine Welt für sich, die war längst angebohrt. Die ging mit der Zeit mit der Zeit“ (Weber 1993: 79)
Es ist eine Aussage vom Erzähler, der sich in dieser Landschaft, ihrer Andersartigkeit bewusst, sehr wohl fühlt, aber zugleich versteht, dass diese für Fremde nicht unbedingt eine reizvolle ist – z.B. für seine Mutter Ute. Für den Erzähler, der hinsichtlich seines Verhältnisses zur Landschaft deutliche autobiographische Züge des Autors aufweist, ist das Toggenburg ein Unentbehrliches. Weber sagt im Interview mit Roger Anderegg, die Toggenburger Landschaft bleibe seine Bezugswelt. „Ich kenne da ganz viele Leute, ganz viele Orte, ganz viele Sachen, Stimmen, Jahreszeiten, Abläufe. Ich kann Dinge einschätzen. Ich brauche das zur Orientierung“ (Gespräch mit Anderegg). Das Interview mit Anderegg liefert noch eine andere Aussage von Weber, die in unserem Kontext von großer Bedeutung ist. Da Zürich, wo der Autor wohnt, zum zweitwichtigsten Handlungsort seiner Texte wurde, geht er auch auf diese Stadt literarisch ein und hebt unvermittelt eine der wichtigsten instituierten Vorstellungen von der Schweiz als der „Enge“ auf, wo es keinen Stoff für die künstlerische Entfaltung gibt. Für Weber ist Zürich ein Inbegriff des Offenen – auch im Denken und in den Formulierungen. (Gespräch mit Anderegg)
Heimat visiert Weber in der Sprache an, welche jedoch im Räumlichen ihre Nahrung findet:
„A.: Das Toggenburg würden Sie nicht als Heimat bezeichnen?
W.: Doch, als starkes Bezugsfeld. Aber Zürich auch. Diese beiden Situationen sind für mich Heimat. Im Toggenburg erhalte ich immer wieder Stoff, wie Muttermilch. Es hat sich für mich literarisch nach wie vor nicht erschöpft.“ (Gespräch mit Anderegg)
Silber und Salbader, der zweite Roman von Weber, legt ein deutliches Zeugnis ab, dass diese Worte einen großen Wert für den Dichter haben. Die Handlung dieses Romans spielt sich in wirklich existierenden Orten wie Baden oder Zürich und in einem fiktiven Raschtal ab, das jedoch zahlreiche Merkmale des Toggenburg aufweist. Dieses Raschtal ist benachbarten Landschaften gegenüber rückständig geblieben, worüber ohne affektartige Aufladung berichtet wird.
„Während alle anderen Land- und Talschaften der Ostschweiz vom Baumwollfieber ergriffen werden, bleibt das Raschtal davon ausgenommen. Während überall Kaffee getrunken wird, bleibt man im Raschtal bei Milch und Wasser oder Schotte. Während ringsum eine rege Wanderungs- und Handlungstätigkeit einsetzt, Garnträger Kleinwaren und Informationen weitertragen, bleibt es im Raschtal bei der Werkwirtschaft.“ (Weber 1999: 149)
Der Erzähler unterliegt hier keinerlei Versuchung, seine Heimat diesbezüglich zu tadeln, den Grund für die Rückständigkeit in einer Enge der Vorstellungshorizonte ausfindig zu machen, oder umgekehrt in der Frugalität der Lebensweise der naturnahen Gegend ein Loblied zu singen. Als ich vorher die affektlose Erzählweise erwähnt habe, meinte ich wiederum die fehlende Hingabe an das Vaterländische, nicht aber eine gewisse Wärme, die auf langen Strecken des Romans deutlich zu spüren ist, und die der Heimat zugewandt ist. Die heimatliche Landschaft erstreckt sich nicht nur horizontal, sondern schließt dem Erzähler ihre vertikalen Dimensionen auf. Der Ich-Erzähler leistet eine Art archäologische Arbeit, indem er sich zu den immer tiefer liegenden Erdschichten begibt, um die untergründigen Verbindungen zwischen einzelnen Kellern Badens zu erkunden:
„Vom Keller aus gibt es Zugänge zu allen anderen Hotelkellern… Fundamente der Gasthäuser stehen auf älteren Fundamenten und so fort, diese auf früheren Gewölbegängen zu den ältesten, längst verschütteten Fassungen.“ (Weber 1999: 15)
Dieser Weg erinnert an die fantastischen Romane von Jules Verne und dank der Verbindung des Fantastischen mit dem Realen wird eine Distanz geschaffen, welche den Weg zur Verherrlichung der Landschaft im Sinne der Heimatdichtung der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert versperrt. Die Heimat erhält jedoch einen zusätzlichen Wert – den ästhetischen. Hier ist wohl einer der wichtigsten Punkte Weberscher Heimatzuwendung zu sehen. Nicht das Moralische, das Ethische oder das Politische werden in dem faszinierenden sprachlichen Feuerwerk hervorgehoben, sondern das Ästhetische – in der Heimat liegt der ästhetische Stoff. Zur ästhetischen Entdeckungsfahrt gesellt sich eine persönliche Suche des Erzählers nach der Liebe, die in einer musikalisch-sprachlichen Glückssymphonie endet.
Im Gegensatz zu Peter Webers Schaffen steht der geographisch bestimmbare Raum in den Prosawerken von Peter Stamm eher im Hintergrund. Eine sehr starke Fokussierung der Erzählperspektive auf eine oder zwei Personen lässt den Raum auf den engsten Umfang um die Personen herum schrumpfen, die Protagonisten stecken den ganzen Raum ab, welcher am persönlichsten und zugleich allumfassend ist – bildet die ganze Welt. In Der Besuch, der ersten Erzählung aus dem Band In fremden Gärten, wird das Haus von Regina zu einem solchen engen und doch das ganze Königreich – es ist wohl kein Zufall, dass die Protagonistin Regina heißt – umfassenden Raum. Schon mit dem ersten Satz wird der Leser auf den Prozess der Raumschrumpfung aufmerksam gemacht: „Das Haus war zu groß.“ (Stamm 2003: 9) Dieser Konstatierung folgt eine kurze Rückblende auf die Zeit der Expansion Reginas in ihrem Haus, nachdem ihre Kinder ausgezogen waren und ihre Zimmer frei gegeben hatten. Sehr schnell ist es Regina jedoch bewusst geworden, und nach dem Tod ihres Mannes hat sich der Gedanke noch stärker aufgedrängt, dass sie doch nur ein Zimmer für sich selbst braucht. Das ganze Haus stand völlig leer, die Kinder wollten nicht einmal über Nacht bei ihr bleiben, haben die Hausschlüssel zurückgegeben, selbst nach Gerhards, Reginas Mann, Tod ist sie am Abend paradoxerweise in einem verengten Raum eines großen leeren Hauses allein geblieben – Einsamkeit in höchster Potenz. Einen Wendepunkt bildet ihr 75. Geburtstag, an dem die Enkeltochter mit ihrem Freund bei Regina übernachtet. Das Haus füllt sich nicht nur mit Personen, sondern auch mit Bildern auf, die in einem sehr schlichten aber eindrucksvollen Verfahren evoziert werden. Philip, der australische Freund Martinas, zeigt Regina sein Haus auf dem Computerbildschirm. Indem er ein paar Mal auf eine Taste drückt, wird der Maßstab des Gezeigten immer größer, so dass Regina plötzlich der ganzen Welt gegenübersteht:
„Als der Australier auf eine Taste drückte, entfernte sich die Stadt, und man sah das Land und das Meer, ganz Australien und schließlich die ganze Welt.“ (Stamm 2003: 15)
Es drängen sich Erinnerungen an einen glücklichen Aufenthalt in England und Träume von Australien und Spanien auf. Der anfangs so eng an Regina anliegende Raum breitet sich aus, wird vom Leben erfüllt – er ist aber weiterhin der persönlichste Raum geblieben. Der kulissenartig (un)geschilderte, aufs Minimum reduzierte Raum geht mit der sehr bescheidenen Darstellung der Handlung einher, die in allen Texten von Stamm in einer fast metapherlosen, einfachen Sprache evoziert wird. Meisterhaft wird die Spannung zwischen einer Tragödie und der anscheinenden Kälte der Sprache in der Erzählung Am Eisweiher aus dem Band Blitzeis errichtet, welche affektlos über verhängnisvolle Ereignisse gleitet. Die konsequente Sparsamkeit der stilistischen Mittel, Reduktion der Bedeutungen auf das Buchstäbliche lässt das Verlangen nach der Ergänzung aufkommen, die sich jenseits des Gesagten aufhält. Die Protagonisten werden wie mittels eines Feldstechers gezeigt, abgeschirmt von aller dem Fernglas äußeren Welt, was auch den Bedarf nach einer tieferen Analyse ihrer Psyche erweckt – diese bleibt jedoch aus. Das nicht Vorhandene, das nur Angesprochene schimmert durch und breitet seine Wirkung aus. Wie Stephan Ramming sagt: „Einzelne Wörter werden verdächtig.“ Der hautnah anliegende Raum Einzelner kann durch die Mitdahinschwebenden nicht durchbrochen werden. In seinen zwei Romanen Agnes und Ungefähre Landschaft spielt der Raum auf den ersten Blick eine wichtigere Rolle als in den kurzen Prosatexten, denn der Handlungsort wird genau genannt. In Ungefähre Landschaft ist das ein norwegisches Dorf hinter dem Polarkreis, wo die Zöllnerin Kathrin ihr Leben in den Griff zu bekommen versucht. Nach zwei misslungenen Ehen wagt sie eine Fahrt nach Süden, wo sie noch nie gewesen war. Die Reise nach Paris erweist sich jedoch nur als ein Selbsttäuschungsmanöver, sie „gleicht eher einer biographischen Auszeit, die sich gegen die Relativitäten von flüchtigen Glücksmomenten in eine ungefähre, melancholische Ausgeglichenheit gegenüber existenziellen Unabänderlichkeiten wandelt“, wie Ramming in seiner Rezension schreibt. Der Raum Nordnorwegens wird durch die Ununterscheidbarkeit seiner einzelnen Elemente und durch die Schwere der Dunkelheit der Polarnacht zusammengedrückt, gepresst, so dass Kathrin unter seiner Last zusammenzubrechen droht. Die äußere Landschaft ist ungefähr, „die Grenzen lagen unter dem Schnee, der Schnee verband alles, die Dunkelheit deckte alles zu. Die wirklichen Grenzen lagen zwischen Tag und Nacht, zwischen Winter und Sommer, zwischen den Menschen.“ (Stamm 2001: 14) Der ungefähre Raum Norwegens ist eine Projektion des Ungefähren in Kathrin selbst, diese ist wiederum ihr eigener sehr persönlicher Raum. Ähnlich wird der Raum im Debütroman Agnes dargestellt, obwohl dessen Handlung in die USA verlegt wird. Der Roman stellt aber keine Fortsetzung des Amerikatraumes dar, der in der schweizerischen Nachkriegsliteratur mit Stiller angefangen hatte. In Agnes wird Chicago nicht mit der Offenheit Amerikas gleichgesetzt, ganz im Gegenteil bedeutet die amerikanische Wirklichkeit keinesfalls eine Ausnahme in der Welt, deren Enge oder Weite nur von den Protagonisten selbst abhängt. Diese, der schweizerische Sachbuchautor und die Physikstudentin, sind nicht imstande, aus ihren Hülsen auszubrechen und ein tieferes Verhältnis einzugehen, aber sie wären dazu auch in Europa, Asien oder Australien unfähig. Sie verlieren sich in einer aus Realität und Fiktion gemischten, von ihnen selbst vorgeschriebenen Welt. Auch der Wille von Jo und Rea aus dem Debütroman von Zoë Jenny Das Blütenstaubzimmer zerschellt an der persönlichen Unfähigkeit der jungen Frauen, über ihr Leben zu entscheiden. Darüber hinaus ist Milwaukee, wohin sie vorhaben zu reisen, alles andere als eine ersehnte Landschaft der Offenheit – sie steht für Einsamkeit und Trennung von anderen Menschen.
„-Wir sollen von hier weggehen, Rea. In ein anderes Land.
– Wozu, ist nirgendwo anders.
– Aber wie willst du das wissen? Zum Beispiel Milwaukee. Hast du das schon mal gehört. Dort ist doch kein Mensch, oder?“ (Jenny 1997: 95)
Milwaukee erscheint beiden Frauen als eine verheißungsvolle Fremde, die jedoch nicht einem konkreten Land und umso weniger einem Vaterland gegenübergestellt wird. Die Antriebskraft für ihre Flucht ist in ihnen selbst, nicht in den äußeren Umständen zu finden. Für Jo bedeutet auch die Reise in ein südliches Land zu ihrer Mutter keine Erlösung, sondern lediglich eine nächste Enttäuschung. Zwar rettet sie ihre Mutter aus dem Blütenstaubzimmer nach dem Tod ihres Lebensgefährten, findet jedoch den Weg zu sich selbst nicht. Vereinsamt schaut sie sich am Ende des Romans in der Begleitung eines sich liebenden Paares an, wie die Schneeflocken auf den Boden fallen. So, wie ihre Mutter den Zimmerboden mit Blütenstaub zuschüttete und sich dann im Zimmer hoffnungslos verschloss, wartet jetzt Jo darauf, dass der Boden mit „Schneeblüten“ zugedeckt wird:
„Und gemeinsam mit ihnen hier warten werde, auf die weiße Schicht über dem Boden. Auf die Decke aus Schnee.“ (Jenny 1997: 122)
Mit der Willensäußerung über die Flucht beginnt auch der dritte Roman Jennys Ein schnelles Leben, in dem die Handlung durch tagebuchartige Notizen des türkischen Mädchens Ayse begleitet wird. Mit der Passage am Anfang des Romans werden die künftigen verhängnisvollen Geschehnisse vorweggenommen.
„Ich wollte fortkommen, so weit weg wie nur irgend möglich. Aber nicht dorthin, nicht an den Ort, an den man geplant hat, mich hinzuschicken, wenn meine Zeit hier zu Ende geht. Auf keinen Fall werde ich ihnen folgen und tun, was sie verlangen.“ (Jenny 2002: 9)
Der Protest gegen die Entscheidung der Eltern und ihre katastrophalen Folgen können einigermaßen an den Text Mars von Fritz Zorn erinnern, wollte man jedoch weitergehende Parallelen ziehen, müsste man in eine Sackgasse geraten. Wenn bei Zorn die Auflehnung gegen die Eltern eindeutig eine Kritik der schweizerischen Gesellschaft, und vor allem ihrer reichsten Schicht bedeutete, wird diese bei Jenny an Shakespeares Tragödie Romeo und Julia gekoppelt und dadurch – auch wenn nicht besonders gelungen – in universellere Dimensionen geleitet. Der zweite Roman von Jenny Der Ruf des Muschelhorns verrät, dass die Autorin aus Basel nicht völlig die instituierte, überlieferte Weltvorstellung überwand oder überwinden wollte. Im althergebrachten Sinne wird Elizas Kindheitsidylle bei der Großmutter hoch in den Bergen nach Augustas Tod mit einer krankhaften, zivilisierten Welt konfrontiert. Das Bindeglied zwischen den zwei Welten bildet das Muschelhorn, mit dem Augusta ihre Enkeltochter Eliza von den Wanderungen zurückrief, und das ihr Großvater von der Reise in die Südsee mitgebracht hatte. Es werden zwei Bildkonstellationen herauskristallisiert: einerseits eine Bilderreihe, welche mit der Berglandschaft verbunden ist – Geborgenheit bei der Großmutter, Idylle, Offenheit der Meere, evoziert durch das Muschelhorn; andererseits die Stadt mit dem Goldhügel, der von Menschen bewohnt wird, die für sich allein leben und ihr kein Glück geben können, von denen auch ihr Sohn zu seinem Freund, einem Obdachlosen, flieht. Damit sollte nicht gesagt werden, dass der Roman sich völlig der alten Tradition verpflichtet fühlt. Den anderen Texten Jennys ähnlich, steht das persönliche Drama eines Mädchens im Zentrum der Betrachtung. Kunstvoll wird das missratene Leben des Mädchens, voll von nie in Erfüllung gehenden Träumen in der Szene im Bett mit Rosenberg, ihrem Stiefvater, dargestellt:
„Eliza schob den Kopf auf seine Brust, die sich hob und senkte, und träumte von Schiffen, aufkommendem Sturm, flatternden Segeln“ (Jenny 2000: 61)
Der Kopf eines träumenden Mädchens auf der Brust eines schon aller Träume beraubten, ausgebrannten Mannes. Ein sehr nahe am Kitsch angesiedeltes Bild, was jedoch seinen Wert für meine Erwägungen über den Handlungsraum nicht wesentlich vermindert.

V.

Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, kann man wohl feststellen, dass eine neue Tendenz in der Schweizer Literatur langsam und unauffällig an Territorium gewinnt. Pia Reinacher spricht diesbezüglich von einer „schleichenden Erosion der alten Positionen.“ (Reinacher: 25) Die schweizerische Literatur der 90er Jahre steht nicht mehr im Dienste der Politik, sondern wendet sich dem Individuum und seinen Problemen zu, in deren Analyse das Politische ausgeblendet wird. Wenn Max Frisch sich selbst noch als einen Kämpfer „gegen eine offiziöse instituierte Mentalität“ der Schweizer, als eine „Gegeninstitution“ (Frisch 1972: 27) zu dieser gesehen hat, fühlen sich die jungen Schweizer Autoren von dieser Aufgabe entlastet. Die Befreiung vom politischen Engagement ereignet sich ähnlich wie vorher die Instituierung desselben in einem konkreten soziokulturellen Kontext. Einen nicht geringen Anteil an dieser Instituierung hatten die Literaturwissenschaftler, die solche Editionen vorbereitet haben wie Der Schriftsteller in unserer Zeit. Schweizer Autoren bestimmen ihre Rolle in der Gesellschaft aus dem Jahr 1972, oder Ich hab im Traum die Schweiz gesehn aus dem Jahr 1980. Zu den wichtigen Ereignissen dieser Zeit muss man auch den Zürcher Literaturstreit und die darauf folgende Gründung der Gruppe Olten zählen, welche den Zeitgeist wesentlich mitgeprägt haben. Dass der soziokulturelle und politische Kontext für das Engagement des Dichters nicht ohne Bedeutung ist, bezeugt am besten die Wiederbelebung des alten Zeitgeists in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, als der amerikanische Senator D’ Amato noch einmal die Schweiz ins Zentrum des internationalen Interesses rückte. Und obwohl sich die junge Schriftstellergeneration wieder distanziert zur Vaterlandsfrage zeigte, meldete sich noch einmal die ältere Generation zu Wort, wie Adolf Muschg mit dem Text O mein Heimatland. 150 Versuche mit dem berühmten Schweizer Echo aus dem Jahr 1998. Die Solothurner Literaturtage standen 1997 auch unter dem Sternzeichen „Nazigold“. Es ist wohl noch zu früh, um eine Antwort auf die Frage nach dem Desinteresse der jungen Dichtergeneration am politischen Engagement zu wagen. Eine der Möglichkeiten ist, dass, Hermann Burger folgend, die Schweizer Literatur in eine Sackgasse geraten ist und dort für sich selbst keine Zukunft sieht. Man kann auch davon ausgehen, dass ein neuer soziokultureller und politischer Kontext die überlieferte Institution für obsolet erklärte und wir jetzt Zeugen eines Entstehungsprozesses einer neuen instituierten Vorstellung von der Schweiz, den Räumen und der Rolle des Dichters in der Gesellschaft sind. Vielleicht wird es der stark individualisierte, hier als „enganliegend“ bezeichnete Raum sein, vielleicht jedoch auch nicht. Jedenfalls haben sich die Kinder der „Künstlichen Mutter“ nur von der einmal instituierten Vorstellung befreit, was nicht damit gleichzusetzen ist, dass sie die volle Freiheit erlangt haben. Gesellschaften dulden diesbezüglich kein Vakuum, wie es eingangs zur Castoriadisschen Institutionenlehre gesagt wurde. Wahrscheinlich haben also die jungen Dichter schon einen Weg eingeschlagen, dieser ist jedoch noch nicht auszumachen.
Literaturverzeichnis
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