Sophie Witt; Universität Zürich
Robert Walser bezeichnet seinen kurzen Text Wilhelm Tell (1927) als Essay und wird damit eine ganze Tradition von Tell-Dichtungen im 20. und 21. Jahrhundert prägen. Was hat es mit dieser Affinität von Essayismus und Tell-Diskurs auf sich und was sagt dies über die ‚eigene Sache‘ der Literatur aus der Schweiz? Mindestens wenn es um den Tell-Diskurs geht, scheint diese ‚eigene Sache‘ potenziell auf eine mehrfache Situierung hinzuweisen, auf literarische wie politische ‚Heimat‘ zu reflektieren – selbst dann, wenn sie diese kritisch von der Hand weist oder hybridisierend umdeutet. Unter dem Stichwort ‚Schreiben am Mythos‘ stehen daher nicht nur die Imaginationen von Wilhelm Tell und der Schweiz zur Debatte, sondern auch die Art und Weise, in der Literatur sich überhaupt zur (nationalen) ‚Beheimatung‘ als einer ‚eigenen Sache‘ verhält. Der Text schlägt Essayismus als er- und um-schreibenden Gestus vor und damit als privilegierte Schreibweise für dieses selbstreflexive – und zunehmend: transnationale – Unterfangen. Dessen Ausprägungen werden anhand von vier Autoren und Autorinnen aus der Schweiz diskutiert – Robert Walser, Max Frisch, Gertrud Leutenegger und Annette Hug.
Schlüsselwörter:
Wilhelm Tell, Mythos, Nationalliteratur, Identitätsdiskurs, Hybridisierung/Umschrift, Essayismus, Th. W. Adorno, Robert Walser, Max Frisch, Gertrud Leutenegger, Annette HugTell-Essayism – Writing on Myth
Robert Walser refers to his short text Wilhelm Tell (1927) as an essay and will thus form a whole tradition of Tell-literature in the 20th and 21st centuries. What is it about this affinity of essayism and Tell-discourse and what does that say about the case of Swiss Literature (in its own right)? At least when it comes to Wilhelm Tell, two different things seem to be at stake: the question of literary as well as ‘national homeland’ – even if it is critically rejected or hybridized. Thus, ‘Writing the Myth’ not only refers to the imaginations of Wilhelm Tell and Switzerland, but also questions if and how literature reflects on its ‘national’ foundation. My text discusses essayism as a specific écriture of this self-reflexive – and more and more: transnational – endeavor. Its characteristics are examined with four authors from Switzerland – Robert Walser, Max Frisch, Gertrud Leutenegger and Annette Hug.Keywords:
Wilhelm Tell, Myth, National literature/identity, hybridization/re-writing, essayism, Th. W. Adorno, Robert Walser, Max Frisch, Gertrud Leutenegger, Annette Hug
Die ‚eigene Sache‘ der Literatur aus der Schweiz oder: Nationalliteratur als Phantom?
Nach dem Essay und danach, wann, was und wie die Literatur aus der Schweiz ‚in eigener Sache‘ – über und für sich selbst – spricht, fragt diese Ausgabe der CH-Studien. „Ich leite diesen Essay mit dem einsichtsreichen Geständnis ein […]1“, so beginnt Robert Walser seinen kurzen Text Wilhelm Tell (1927), der eine ganze Tradition von Tell-Dichtungen im 20. und 21. Jahrhundert prägen wird.2 An diesem Verhältnis von Essayismus und Tell-Diskurs hängt der folgende Aufsatz die Frage nach der ‚eigenen Sache‘ auf, d.h. nach dem selbstreflexiven Moment und Potential in Texten von vier Autoren und Autorinnen aus der Schweiz – Robert Walser, Max Frisch, Gertrud Leutenegger und Annette Hug.
Mit Literatur aus der Schweiz hat sich der emeritierte Zürcher Germanist Peter von Matt auseinandergesetzt – und dabei bezeichnender Weise für seine Untersuchungen vielfach die Form des Essays gewählt. Schaut man auch nur kursorisch über von Matts Beschreibung und Bewertung der Frage nach Selbstverständnis und Selbstreflexion der Schweizer Literatur, so sticht ein Aspekt ins Auge: Diese ‚eigene Sache‘ scheint im Fall der Literatur aus der Schweiz eine doppelte zu sein – ihre spezifische Literarizität einerseits und ihr (etwa politisches oder kulturelles) ‚Schweizertum‘ andererseits. Schon von Matts Untertitel verraten diesen Zuschnitt: hier geht es um die „Literatur und Politik der Schweiz“ bzw. um die „literarische und politische Schweiz“.3 Beides – Literatur und Politik – scheinen aus der Warte der Schweiz in einer spezifischen Form zusammen zu gehören und ineinander zu transgredieren: Untersucht, aber zugleich auch hergestellt wird ein „Zusammenhang von Erzählen und (nationaler) Verortung“.4 So heißt es in einem der Essays in Die tintenblauen Eidgenossen (2001): „Zu reden ist von der Schweiz, von den Schweizer Schriftstellern, von der Schweizer Literatur, und zu reden ist davon, wie sich die Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ihren Werken mit der Schweiz auseinandersetzen.“5 Und auch wenn von Matt einräumt, dass manche dieser Dinge „nicht nur diese Schweiz angehen, sondern jedes europäische Land“6, so spricht er der Schweizer Literatur bis ins 20. Jahrhundert hinein (an dieser Stelle ist es diejenige zwischen ca. 1950 und 19807) einen spezifischen „Patriotismus“ zu: keine ungebrochene Vaterlandsliebe, aber eine erotisch-aggressiv aufgeladene Teilnahme an einem „Streit um das Recht, dem Land den wahren Namen zu geben“8 – d.h. mindestens eine notorische Bezogenheit auf dieses Land.
Einerseits stellen Autor*innen aus der Schweiz diese Verpflichtung auf nationale Selbstreferenz und -reflexion selbst immer wieder in Frage – exemplarisch kann hier aus einem Essay Peter Bichsels zitiert werden: „Man verpflichtet in diesem Land die Autoren darauf, Spezialisten zu sein für die Frage: ‚Was ist Heimat‘? Wir haben uns alle schon vor 20 Jahren geschworen, uns nie mehr mit dieser uns aufgedrängten Frage zu beschäftigen, es nützte nichts.“9 Andere nehmen sich der ‚Heimat‘-Frage bis heute explizit an – wie jüngst Annette Hug, die für Wilhelm Tell in Manila (2016) den Schweizer Literaturpreis 2017 enthält (wobei der Preis, selbst wieder ein Unterfangen aus dem nationalliterarischen Verständigungsrahmen, fast im Widerspruch zu ihrem offensiv hybridisierenden Text steht, dazu unten mehr). Mag man also die „Imagination und Tradition des Schweizerischen als Problem“ erkennen, so lässt sich dieses offenbar weniger leicht aus dem Weg räumen, als dies die Rede von der ‚Weltliteratur‘ einmal erwarten ließ:10 Nationalliteratur kann als „Fantom“ [sic] bezeichnet werden, als ein äußerst wirksames, mit dem es sich (nicht zuletzt literaturwissenschaftlich) auseinanderzusetzen gilt.11
Ich möchte dieses Fragespektrum für den folgenden Text aufnehmen: Wenn es um den Tell-Diskurs geht, scheint die Selbstreflexion in der Literatur aus der Schweiz potenziell auf eine mehrfache Situierung hinzuweisen, d.h. auf literarische wie politische ‚Heimat‘ zu reflektieren – selbst dann, wenn sie diese kritisch von der Hand weist oder hybridisierend umdeutet. Unter dem Stichwort ‚Schreiben am Mythos‘ stünden damit nicht nur die Imaginationen von Wilhelm Tell und der Schweiz zur Debatte, sondern auch die Art und Weise, in der Literatur sich überhaupt zur (nationalen) ‚Beheimatung‘ als Teil ihres Selbstverständnisses verhält. Ich möchte vorschlagen, dass Essayismus12 – auf den sich Walser und seine Nachfolger*innen berufen – eine spezifische Schreibweise für dieses selbstreflexive Unterfangen darstellt.
Zum Einstieg: Die Perspektive des Essays
Von Matts Das Kalb von der Gotthardpost (2012) beinhaltet einen kurzen Text, der sich gut als Einstieg in die Essay-Frage eignet: Drei Perspektiven auf Tell. Hier betritt das Schreiben jenen für den Essay seit Michel de Montaigne, deutlicher noch seit René Descartes’ Discours de la méthode (1637) kennzeichnenden Grenzbereich zwischen theoretischer Reflexion und Autobiografie als grundsätzliche Perspektivierung aller Wahrnehmung und Erkenntnis.13 In von Matts Tell spricht – entgegen den literaturwissenschaftlichen Konventionen ‚neutraler‘, Personalpronomina-freier Prosa – ein individualisiertes Ich, das sich als biografisches, als erinnerndes ausgibt und dabei auf sein historisch und kulturell situiertes Gewordensein reflektiert: Es ist der furchteinflößend ‚raubeinige‘ Deutschlehrer an einer Innerschweizer Klosterschule der 1950er, der von Matt nachhaltig sensibilisiert für die „architektonische Dimension der Literatur“, d.h. für die ihrerseits nachhaltige Weise, in der Friedrich Schillers Wilhelm Tell (1805) die bis dato nicht miteinander zusammenhängenden Handlungsstränge verbindet, die während des 19. Jahrhunderts zu dem Schweizer Nationalmythos avancieren: nämlich Tell-Handlung, Rütli-Schwur und Parricida-Episode.14
Während damit Schiller und mindestens dieses Stück Literatur zu einem Teil der Schweizer Politik wird, ist es zugleich die Literarizität, die ins Politische Einzug hält: Von Matt hebt hervor, dass hier Politik (mindestens auch) zur „ästhetische[n] Setzung“ wird, d.h. „dass die Arbeit an der Form auch Arbeit an der Wahrheit“ ist. Denn für Schiller sei es – neben der engverzahnten Dramaturgie – die „geformte Sprache“ (die berüchtigten Sentenzen), die diese ‚Wahrheit‘ besonders enthalte.15 Der strengen Formung Schiller’scher Manier hätte der Essayist und Essay-Gründervater Montaigne vermutlich widersprochen, der bekanntlich ein ‚mäanderndes‘ Schreiben und Denken proklamiert; doch ebenso vehement hätte der Skeptiker Montaigne zugestimmt, dass Form und Wahrheit zusammenhängen – dass es keine von der Form unabhängige Wahrheit, mithin Politik gibt.16
Der Tatsache zum Trotz, dass Schillers Tell – jenes gewichtige Urgestein der literarischen Tell-Tradition – wohl eher nicht den seit Montaigne mäandernden Geist des Essayismus ins Rollen gebracht hat, ist die Tell-Rezeption des 20. und 21. Jahrhunderts durchsetzt von Spielformen des Essays – zwei Beispiele sind besonders aufschlussreich, um die Affinität von Essayismus und Mythos herzuleiten.
Michael Blatters und Valentin Groebners Wilhelm Tell. Import – Export (2016) kann mit Fug und Recht Essay genannt werden: Die Autoren, die Tell als „griffige Hauptfigur einer guten Geschichte“ lesen, profitieren von der ‚unverfugten‘ Form des Essays, die Tell als „Agent[en] […] in wechselnden Verkleidungen“ auftreten lassen kann; was sie über die wandelnden Tell-Geschichten sagen, gilt im Sinne des Essays mithin auch für ihr Buch selbst: Hier geht es den strikten Rahmen wissenschaftlicher Prosa überschreitend um Weisen des Erzählens, ums „Filtern, Weglassen, Umbauen“, um „abgeschwächte[…], uneindeutige[…] Kausalitäten“, um das Zusammenrücken von „Wahrheit und Erfindung“.17
Doch nicht erst diese leichtfüßige Tour de Force durch die Literatur- und Kulturgeschichte bedient sich des Essayistischen. Schon der Historiker Jean-François Bergier schreibt im Vorwort zur deutschen Erstausgabe seines Wilhelm Tell. Realität und Mythos (1990; urspr. 1988): es handele sich um einen „Versuch“, der „literarisch“ sei, „die einengende Form einer systematischen Aufbereitung sämtlicher Fakten und Theorien“ vermeide.18 Ungeachtet dieses Eingeständnisses wurde der selbsterklärte Literat Bergier 2015 – in jenem Schweizer ‚Erinnerungsjahr‘ an die Schlachten von Morgarten (1315) und Marignano (1515) sowie an den Wiener Kongress (1815) – von der rechtskonservativen Presse als willkommener ‚Erinnerungs- und Ursprungspolitiker‘ wiederbelebt, der der Entmythologisierung der großen Erzählungen entgegenzuhalten sei, die, so der Vorwurf, der Historiker Thomas Maissen vorangetrieben hatte19 – und zwar u.a. als ‚Tell-Demontage‘ sowie als Angriff auf die nationalkonservative Geschichtsvereinnahmung in der Schweiz.20 Seinem provokanten Titel zum Trotz fügt sich aber Bergiers „Versuch“ ganz und gar nicht in den Rahmen solcher nationalkonservativen Restauration – scheint der Text die Alternative Mythos vs. Realität zu bezweifeln und von Matts berühmte 1. August Rede von 2009 vorwegzunehmen:
Wir sind in den letzten Jahrzehnten im Verhältnis zu unserer Geschichte in eine Falle geraten. Diese Falle heisst: Mythos oder Wahrheit? […] Und alle, die diese Frage stellen, wissen die Antwort stets im Voraus. Sie rufen: „Mythos! Mythos!“, meinen damit Lügen und Märchen und kommen sich unerhört aufgeklärt vor. So einfach ist es aber nicht. Wer die Geschichte vom Rütlischwur für die blanke historische Wahrheit hält, ist nicht das naivere Gemüt als der, der mit ebenso glänzenden Augen „Mythos! Mythos!“ ruft. Für jede Nation verdichtet sich ihre historische Herkunft in erregenden Geschichten, die man erzählt bekommt und weitererzählt. Schon die Kinder berichten sie einander und erleben dabei erstmals ein Gefühl von Politik. Diese Geschichten haben eine eminente Funktion.21
Das heißt, auch wenn Bergier zu dem Schluss kommt, „dass es sich bei Wilhelm Tell schwerlich um ein reines Phantasiegebilde handeln“ könne,22 scheint ihn daran nicht zuvorderst die ‚historische Wahrheit‘, sondern ein sensibler Umgang mit der Tatsache der (nicht zuletzt literarischen) Überliefertheit – mit dem Faktum der Mythenbildung – zu interessieren; besonders der dritte Teil des Buches, „Die vielen Leben des Wilhelm Tell“, liest Tell nicht als klar umrissene Figur, sondern als wandelbares – als geschriebenes und neu geschriebenes Konstrukt,23 was an Tells „wechselnde Verkleidungen“ bei Blatter und Groebner erinnert. Diese schlussfolgern entsprechend: „An Wilhelm Tell zu glauben, heisst vor allem, an den Glauben anderer Leute an Wilhelm Tell zu glauben – oder genauer: an die wirklichen Wirkungen erfundener Geschichten.“24
Spätestes aber, wenn Bergier seinen Essay mit einem „Schlusswort, dem Dichter entlehnt“ enden lässt und dafür Jorge Luis Borges Los conjurados (Die Verschworenen) wählt, sollte deutlich werden, dass es sich bei seinem Essay nicht um ein Plädoyer für nationalkonservative Erinnerungspolitik handeln kann:
Mitten in Europa gibt es eine Verschwörung./ Sie datiert von 1291. Es handelt sich um Menschen verschiedener Herkunft, die sich zu unterschiedlichen Religionen bekennen und unterschiedliche Sprachen sprechen./ […] Heute sind es zweiundzwanzig Kantone. Der Kanton Genf, der letzte, ist eines meiner Vaterländer./ Morgen werden sie der ganze Planet sein./ Vielleicht ist nicht wahr, was ich sage; möge es prophetisch sein. 25
Gegen die „immer drohende Erstarrung [nationaler] Bestätigungsmythen“26 ist hier der transnationale, hybrid-kulturelle und vor allem literarisch erschreibende Gestus immer schon mitbedacht – man könnte sagen, hier ‚mäandert‘ der ‚Mythos Schweiz‘ und trägt ein „subversive[s] Potenzial von Um- und Fortschreibungen“27 in die Welt hinaus.
Dies also lässt sich vorläufig festhalten: Wo – implizit oder explizit – aus der Warte des Essays von Wilhelm Tell geschrieben wird, scheint eine besondere Sensibilität für die politische Wirksamkeit, aber auch historische Wandelbarkeit des Mythos einerseits und für dessen textuelle Hergestelltheit andererseits vorzuliegen. Um diesen erschreibenden Gestus des Essayismus geht es mir nun bei der kursorischen Erörterung der Tell-Texte von Walser, Frisch, Leutenegger und Hug –, die sich unter unterschiedlichen Vorzeichen am Mythos Tell und damit an der Frage nach der nationalen ‚Beheimatung‘ im Selbstverständnis der Literatur abarbeiten: und sie tun dies explizit mit Bezug auf den Essay als Form bzw. den Essayismus als Schreibweise.28
„Essay als Form“: Walser und Frisch
Der für seine Nachfolger entscheidende Coup von Walsers selbsterklärtem „Essay“ ist bekanntlich, „Tell und Gessler in ein neues Abhängigkeitsverhältnis [zu bringen]“29. Nicht mehr guter Freiheitsheld versus bösen Tyrannen, sondern gegenseitige „Beweglichkeitsveranlassungsgebe[r]“:
Sollte man nicht beinahe mit der Idee einiggehen dürfen, Landvogt und Tell seien eine einzige widerspruchsvolle Persönlichkeit? […] Mir scheint bedeutend zu sein, dass beide ein Unzertrennliches, Einheitliches bilden: um einen Tell hervorzubringen, bedurfte die Geschichte eines Landvogtes. Einer ist ohne den andern undenkbar.30
Tell ist nicht mehr selbstverständlich – sozusagen: ontologisch – Held, sondern nurmehr pragmatisch-relativ: Tell „[hat dem] Landvogt viel zu verdanken“, schreibt Walser.31 Diese Umdeutung wird – das wurde vielfach bemerkt – vor allem von Max Frischs Wilhelm Tell für die Schule (1971) aufgenommen.32 In ironisch-humoristischer Erzählweise stellt Frischs Text die Figur des Landvogts in den Mittelpunkt – „[w]ahrscheinlich Konrad von Tillendorf, […] vielleicht auch ein anderer, der Grisler hieß“.33 Fußte bei Schiller die Idee der gerechten politischen Gemeinschaft auf der seit Albrecht von Hallers Die Alpen (1729) mit deren Landschaft und Volk verbundenen Idylle,34 ist Frischs Tillendorf o.ä. „jedenfalls […] ein Ritter ohne Sinn für Landschaft“.35 Er ist auch nicht mehr furchteinflößender Tyrann, sondern ein dicklicher und weinerlicher, dabei kränklicher und wetterfühliger Typ, „ein Wesen von kläglicher Gewöhnlichkeit“36, der als Abgesandter der Habsburger nach Uri kommt und Wochen darauf warten muss, dass
Freiherr von Attinghausen ihn endlich empfangen könnte zu den Verhandlungen betreffend Wegrecht, Zölle, Gewaltsverzicht usw. Persönlich hatte er kein Interesse daran, daß Habsburg sich dieses Tal von Uri untertan machte, im Gegenteil, das hätte bedeuten können, daß er, Ritter Konrad oder Grisler, auf Lebenszeit in dieses Tal versetzt worden wäre – ein Gedanke, der ihn bei hellichtem Tag rücklings aufs Bett warf […].37
Ebenfalls eher gegen seinen Willen initiiert Ritter Konrad das ganze Malheur – Apfelschuss und daraus erfolgend seine eigene Ermordung durch Tell –, nicht aus Bosheit, Machtgier oder Ähnlichem, sondern dem Eigensinn und der Unbelehrbarkeit Tells und seiner Innerschweizer Landsleute geschuldet: „Denn dieser unbestimmte Ritter ist der Rechthaberei des Alpentals, in das ihn seine Beamtenmission verschlagen hat, wehrlos ausgeliefert“, schreibt Adolf Muschg Frischs lapidaren Ton aufnehmend in einer Besprechung im Spiegel; „er holt sich die Gelbsucht an soviel Geröll und Urwüchsigkeit“.38 Was der Ritter antrifft, der ein wenig Modernisierung in Fahrt bringen soll, ist „[e]in Volk, das nur auf Vergangenheit sinnt!“, sich unverbesserlich auf altes Recht beruft und misstrauisch ist gegen alles Neue und Fremde:
Sie hatten einen Freibrief und waren im Recht. Sie konnten sich unter einem Reich nichts vorstellen, was ihnen Nutzen bringt. Schon der fremde Schnitt eines Bartes mißfiel dem Bauern, denn in Uri trug man die Bärte anders und war im Recht.39
Analog zu dieser Passage zeugt auch die dann doch noch stattfindende Konferenz mit Attinghausen vor allem von unverbesserlicher Rückschrittigkeit: „‚wie vor des chünges zyten‘“, wiederholt der Greis stoisch.40
Frischs Tell wurde zusammen mit seinem Wegbereiter Walser immer wieder als kritische Demontage des Mythos gelesen: von Matt bezeichnet den Text schon früh als Umschlagpunkt von einem (zentral auf den Mythos Tell bezogenen) emotional geleiteten in einen genuin rational-kritischen Patriotismus, ja sogar als „[den] Archetyp der kritisch-literarischen Auseinandersetzung mit der Schweiz“.41 Diese Mythenkritik sei inhaltlich vor allem durch zwei Aspekte charakterisiert: „Entheroisierung des Schützen“ und „Vermenschlichung des Landvogts“42 – von dem schon Walsers Text schreibt:
Was den Wilhelm Tell betrifft, so hat mich von jeher, d.h. vor etlicher Zeit, die Frage beschäftigt, ob etwa der Herr Landvogt eine hübsche Frau gehabt habe. Schon als ich noch an der ehemaligen Kloster-, jetzigen Marktgasse wohnte und auffallend dichterisch, d.h. eigenwillig angezogen im umliegenden Land herumlief, gab ich dem wackeren Landvogt, geistreich gesprochen, eine elegante Gattin, indem ich mir zu phantasieren erlaubte.43
Dieser „Angriff auf den Mythos“ ist aber – auch das ist nicht neu – nicht nur inhaltlicher Natur, sondern lebt vor allem von der „Methode“, die textlogisch als „Erzähl-Essay“44 bezeichnet wurde bzw. als „erzählerisch-essayistisch[]“, „[oszillierend] zwischen Essay und Fiktion“45. Obwohl also bei Frisch die Tell-Geschichte von Anfang bis Ende (neu) erzählt wird, und sich der Text so mit der Fiktion assoziiert, wird diese zugleich essayistisch ausgehöhlt: Was hat es mit diesem Essayismus auf sich und wie verhält er sich zum Mythos?
Sehr grundsätzlich fußt die ‚Methode‘ auf einer speziellen Textanordnung und auf der Verwendung zweier unterschiedlicher Schriftarten, was die Beschreibung nahelegt, Frischs Text bestünde „aus 14 nicht nummerierten Abschnitten, in denen die Tellgeschichte erzählt wird“, wobei die „fiktive Geschichte […] mit insgesamt 74 Anmerkungen versehen [ist], die den Erzählfluss ständig unterbrechen.“46 Während der Text tatsächlich suggeriert, es handle sich mit Erzähltext und Anmerkungen um zwei verschiedene Texttypen, wobei es die Anmerkungen seien, die aus der Erzählung einen ‚Erzähl-Essay‘ machten, geht man dem Text auf den Leim – so möchte ich im Folgenden argumentieren – wenn man der strikten Trennung in Fiktion und essayistisches Schreiben folgt bzw. sogar annimmt, die Fiktion würde durch die Quellen-Anmerkungen als solche entlarvt.47 Von Matt führt dieses Argument zwar nicht aus, unterstellt Frischs Text aber mindestens, intendierter Maßen die „aufklärerische Beseitigung des falschen mythischen Denkens“ zu betreiben: „Der Mythos in der Sprache der Vernunft erzählt, erlischt. So geschieht es immer bei den großen Aufklärern“48, zu denen er auch Frisch zählt.
Nun sind aber seit Adorno und Horkheimer Logos/Aufklärung und Mythos keine kategorisch unterschiedenen Bereiche, sondern Grenzbereich bzw. Umschlagspunkt.49 Gegen eine Vernunft, die immer auf einem Auge blind bleiben muss, die nicht sieht, dass sie im Zuge der Aufklärung selbst wieder ins Mythische kippt, bringt Adorno den Essay als Form (1958) in Anschlag:
Adorno erklärt den Essay zu der adäquaten Form eines antiideologischen Schreibens, das jeglichem Zugriff, sei es dem des politischen Totalitarismus oder den Vereinnahmungstendenzen des Kulturbetriebs zuwiderläuft. Dabei erweist sich der Essay als die Ausdrucksform schlechthin, die im Nichtidentischen die eigentlichen Potentiale des Denkens bewahrt hält und zu aktivieren versteht.50
Der Essay entgeht dem Totalisierungsanspruch, indem er das „Partielle“ und „Stückhafte“ akzentuiert, „vor dem Gewaltsamen des Dogmas [zurückschreckt].“51 Adornos Text zielt dabei aber auf deutlich mehr als eine formale Bestimmung und Rehabilitierung einer Gattung. Der Essay wird als eine bestimmte, mithin politische Schreibweise stark gemacht: „[D]as Verhältnis von Natur und Kultur ist sein eigentliches Thema.“52 Denn in seiner spontanen und spielerischen Art vertieft sich der Essay grundsätzlich in „Kulturphänomene“, in „kulturell Vorgeformtes“:
Anstatt wissenschaftlich etwas zu leisten oder künstlerisch etwas zu schaffen, spiegelt noch seine Anstrengung die Muße des Kindlichen wider, der ohne Skrupel sich entflammt an dem, was andere schon getan haben. Er reflektiert das Geliebte und Gehaßte, anstatt den Geist nach dem Modell unbegrenzter Arbeitsmoral als Schöpfung aus dem Nichts vorzustellen. Glück und Spiel sind ihm wesentlich.53
Tatsächlich ist diese Passage – viel mehr als jedes typologische Bemühen – eine sehr gute Beschreibung für Frischs Montageprinzip,54 das spielerisch-skrupellose Jonglieren mit unterschiedlichen Texten – anhand derer er sich, mit Walsers Tell gesprochen, „zu phantasieren erlaubte.“55 Die Phantasie wiederum adelt Adorno für den Essay im Sinne ihrer der objektiven Disziplin entgegenstehenden, ihrem Prinzip nach konstruktivistischen „Spontaneität“:
Nichts läßt sich herausinterpretieren, was nicht zugleich hineininterpretiert wäre. Kriterien dafür sind die Vereinbarkeit der Interpretation mit dem Text und mit sich selber, und ihre Kraft, die Elemente des Gegenstandes mitsammen zum Sprechen zu bringen. Durch diese ähnelt der Essay einer ästhetischen Selbständigkeit, die leicht als der Kunst bloß entlehnt angeklagt wird, von der er gleichwohl durch sein Medium, die Begriffe, sich unterscheidet und durch seinen Anspruch auf Wahrheit bar des ästhetischen Scheins.56
Möchte man die Frage des Essays für Frischs Tell starkmachen, dann könnte es dabei – jenseits der problematischen Unterscheidung von fiktionaler und faktualer Rede57 – um dieses „zum Sprechen […] bringen“ des Stoffs gehen, das einen „Anspruch auf Wahrheit“ verfolgt, die aber ganz offenbar weder jenseits des textuell Überlieferten noch überhaupt abschließend zu haben ist.58 Schon bei Adorno ist dieses Unterfangen natürlich kein Selbstzweck, sondern das ideologiekritische Unternehmen par excellence: In seiner Arbeit am kulturell Vorgeformten ist die Form des Essays „Suspension eines Ersten“ und erkennt dabei „das naturwüchsige Wesen von Kultur selber“ – sie reflektiert darauf, wie sich jenes „Geliebte und Gehaßte“ (s.o.) als ursprünglich ausgibt, zum „blinde[n] Naturzusammenhang“, zum „Mythos“ wird.59
Will man Frischs Tell nicht nur als aufklärerische Erledigung des Mythos lesen, die seit der Dialektik der Aufklärung nicht mehr ignorieren kann, dass sie selbst wieder zum Mythos wird – nämlich zu jenem vom Ende der Mythen in der Literatur –, dann kann man die ihre Unverfugtheit immer mit ausstellende Montage bei Frisch mit Adorno als spezifische „Form“ starkmachen:
[Der Essay] fängt nicht mit Adam und Eva an sondern mit dem, worüber er reden will; er sagt, was ihm daran aufgeht, bricht ab, wo er selber am Ende sich fühlt und nicht dort, wo kein Rest mehr bliebe: so rangiert er unter den Allotria. Weder sind seine Begriffe von einem Ersten her konstruiert noch runden sie sich zu einem Letzten. Seine Interpretationen sind nicht philologisch erhärtet und besonnen, sondern prinzipiell Überinterpretationen […].60
Die Strategien der „Vermenschlichung“ fallen – schon bei Walser – unter diese „Allotria“, jene Staffage, die nicht nach dem Wesen sucht; und der „dickliche Ritter“ in Frischs Tell ist eine Überinterpretation im allerbesten Sinne; er ist, was das historische und literarische Material – als immer schon kulturell Vorgeformtes, d.h. beispielsweise: Geschriebenes – an Interpretationsspielraum zulässt. Gerade aber in dieser Überinterpretation ist auf die grundlegende Interpretationsarbeit im Mythos verwiesen – jener aus dem Naturhaften enthoben, in welchem der Schiller’sche Tell in besonderem Maße verankert war.61 Frischs Tell verweist dann nicht einfach auf die Erledigung, sondern auf die Arbeit am Mythos; als Eröffnung eines spielerischen Aneignungsraums, der der Literatur zugleich ein Wissen um das Faktum der Tradierung und um ein Mögliches einschreibt.62
Das nun wiederum hat viel mit Essayismus als „Reflexionstypus der Moderne“ zu tun, insofern es sich hier um „die literarische Form der Selbstbehauptung im unsicheren Wissen und gegenüber Wissensansprüchen“63 handelt. In diesem Sinne würde Frischs Tell nicht mit der Aufklärung den Mythos erledigen, sondern selbst noch die Annahme, man könne mit einer Sprache der Ratio der notorischen Fiktion beikommen als Fiktion vorführen, d.h. die Ratio selbst wieder verunsichern. Das wiederum macht Essayismus in der Literatur zu einer privilegierten Schreibweise, in der ‚Mythos‘ und ‚Wahrheit‘ – nicht mehr länger antipodisch – beständig ineinander kippen.
Essayismus als Poetik: Von Leutenegger zu Hug
An diesen Essayismus schließen Gertrud Leuteneggers Tell-Bearbeitungen an, unter ihnen der Essay Das verlorene Monument (1979), und formulieren ihn als poetologische Dimension aus. In der späteren Erzählung Komm ins Schiff (1983) spielt der Tell-Mythos eben jene Rolle eines „Fantoms“, hat „den schillernden Status von etwas, das weder da noch fort, weder vergangen noch gegenwärtig ist und gerade dadurch fasziniert.“64 Die Liebes- und Abschiedsgeschichte behandelt nicht eigentlich die Handlung des Mythos, evoziert sie aber gerade durch die Abwesenheit ihrer expliziten Benennung und Zuordnung: Ein Mord, das Motiv der Fremdherrschaft, der Befreiung, die Seenlandschaft und Überfahrt – all’ diese Elemente durchgeistern den Text, ebenso wie die Frage nach der greifbaren Präsenz oder dem entschwindenden Verlust von Mythen, auch denjenigen aus dem Bereich persönlicher, z.B. amouröser Sinnstiftungen. Irmgard M. Wirtz spricht in Bezug auf den Text von einer „Poetik der Mythogenese“, die eine „Revision des Mythos durch die Darstellung seiner Genese“ vornimmt, indem der Text den „Prozess der Zuweisung von Bedeutendem und Bedeutetem“ ausstellt und den Leser mit einspannt in die „Entleerung und Neubesetzung“ der Signifikate.65 Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass Leuteneggers Erzählung aus einem nicht unterbrochenen, etwa in Kapitel oder mindestens einzelne Absätze gegliederten ‚Strom‘ besteht: „Du ruderst schon hinaus? Mein Kleid ist am Ruderhaken zerrissen! Nur eine Strecke am Ufer entlang will ich mit dir fahren, dort, wo der Himmel noch hell ist, wirst du mich wieder absetzen, natürlich bringst du mich dorthin, wohin sonst?“, so steigt der Text ein und endet knapp 90 Seiten später:
Das Schiff! Wie lautlos es heranfährt. Ist denn niemand im Steuerhaus? Nur der Himmel scheint durch die Fenster des Steuerhauses, der leere Himmel! Niemand auf dem Freideck? Niemand im Salon? Schläft denn die ganze Besatzung noch? Das Schiff muss uns doch sehen! Es fährt so rasch! Jetzt! Es fährt vorbei! Was machst du? Nein? Du springst?!66
Die für die im „Du“ immer auch in den Text ‚hineingezogenen‘ Leser*innen hypertrophe Seemetaphorik verweist nicht nur auf diesen einen Mythos, sondern auch auf das tendenziell gewaltsame Moment, das die Unabwendbarkeit der Besetzungsprozesse ausmacht und das stummbleibende Du ‚einverleibt‘ in der Unablässigkeit der Anrufung.
Dieses poetologische Prinzip wird in Das verlorene Monument durchdekliniert. Der Essay beschreibt und beklagt den Verlust des Luzerner Bahnhofs durch den Brand von 1971 und mit diesem die Zerstörung der Vergangenheit. Gelesen wird diese nicht nur als national-kollektives Phänomen, sondern mit den nachhaltig wirksamen, aber zugleich diffusen Erinnerungen der eigenen Kindheit sowie der Bindung und Fragilität der genealogischen Herkunft verschachtelt. Im Zuge dessen kommt der Essay auf Wilhelm Tell für die Schule zu sprechen, was bisher vor allem als Absage oder Abwehrgeste gegenüber Frisch eingeordnet wurde: Leutenegger verwahre sich „gegen die mythenfeindliche und polemische Sprache ihrer literarischen Väter-Generation“ und wende sich „insbesondere gegen die Tellsfigur in Max Frischs Drama [sic] Wilhelm Tell für die Schule.“67 Auch Peter von Matt attestiert, Leutenegger schreibe hier an gegen das „kalte Ausräumen aller mythischen Substanz aus der Überlieferung und Selbstreflexion des Landes. Deshalb die Passage über Frisch und Tell, deshalb der Angriff auf den großen Kollegen“.68 Und Beatrice von Matt schreibt, „Wilhelm Tell für die Schule war, wie die Autorin nahelegt, eine Katastrophe wie der Brand des Luzerner Bahnhofs – eine Zerstörung alter Figuren und Geschichten und damit eine Zerstörung schweizerischer Geschichte.“69
Natürlich ist dieser Angriff unübersehbar, aber entsprechend dem „Zwielicht“, dessen Verlust der Text für den Tell-Mythos beklagt, ist die Passage noch von einem anderen Ton durchzogen:
Hier sitzen nur noch Schlafwanderer, lautlos aus dem Riesengemälde der Gotthardpaßhöhe herausgefallen, seit kurzem auch der als überflüssig deklarierte Tell, ein für allemal aus dem gefährlichen Zwielicht des einsamen Mörders verdrängt, auch diesen Tod habe ich nicht verstanden sowenig wie seine Gloriole in Lesebuch, ich hörte ihn immer nachts die alte Straße zum Gotthard hinaufgehen, ein verschlossener kundiger Säumer, der wußte, warum man den Fremden lang vor der Paßhöhe die Augen verband, da sie sonst angesichts der finsteren Schluchten hysterisch zu schreien anfingen, er, der sicher Umgang mit den Venedigern hatte, blieb den Eigenen fremd, sie duldeten zwar den verbrecherischen Aufrührer mit Scheu, aber jetzt hat ihn einer, einer von hier, der sich in dieser Sache so ausländisch verhält, daß ihm Tell die Augen verbunden hätte, mit vielgerühmter lakonischer Souveränität von seinem Zwielicht entlastet, ihm nur unermüdlich reaktionäre Breitbeinigkeit und sture Sommersprossen attestiert, so ist unser Land auch noch vom letzten beunruhigenden Stachel, von einem Attentäter, einem Anarchisten gereinigt, gesäubert, nicht einmal mehr das Aufbegehren eines Einzelnen traut man uns zu, liebe Mutter, einen flammend roten Unterrock, oder ich muß auswandern.70
Der „lakonische[n] Souveränität“ der Sprache ist hier nicht nur „poetische[] Emphase“71 als vergegenwärtigende Wiederbeschwörung des Mythos (und sei dies als dritter Weg nach Heroismus und dessen Demontage72) entgegengehalten; gezeigt wird eine Sprache der Gewalt, die als Performanz jener Verdrängungsbewegungen (des „einsamen Mörders“ z.B.) auftritt, die das Funktionieren und sogar noch die Interpretationsarbeit des Mythos genuin ausmacht. Leutenegger tritt hier in erster Linie gegen die Verharmlosung der Mythen ein; zugleich aber für eine Schreibweise, die nicht vorschnell von der latenten Gewalt entlastet bzw. eingesteht, dass sie die Gewalt mit aufnimmt, auch dann wieder, wenn dem „Entmythologisierungsgestus […] der Prozess gemacht [wird]“73 – d.h. dass jede Sinnstiftung potentiell „[]reinigt“ und „[]säubert“ (s.o.). Im Unterschied zu den ausgewiesenen Zitaten und Brüchen der Montage bei Frisch, scheint die Performanz von Leuteneggers Essayismus jeglichen Bruch ausmerzen zu wollen in einer einzigen durchgehaltenen Anrufung. In dieser sind die Elemente des Mythos nicht mehr einfach ‚spielerische‘ Versatzstücke; inszeniert wird die aggressive Unausweichlichkeit der Mythenbildung und die textuell-gewaltsame Herstellung nicht zuletzt von Subjektpositionen.
Man könnte also sagen, dass Frischs Essayismus mit Adorno „Glück und Spiel“ als Übersetzung der Schiller’schen bzw. Tell’schen Freiheit starkmacht: D.h. der Essayismus würde hier als Form einer „grenzgängerisch-experimentierende[n] Freiheit und intellektuelle[n] Riskanz“74 konzipiert. Leutenegger nimmt dieses Programm in gewisser Weise sogar sehr ernst; sie inkorporiert die politische Anerkennung und literarische Bearbeitung dieser Riskanz in das Selbstverständnis der Literatur. Zum Ort des Mythos wird dabei die „Paßhöhe“, auf der die Gewissheit des Wissens aber sogar noch die Freiheit der Interpretation75 jederzeit in das ‚hysterische Schreien‘ kippen kann, das anzeigt, dass jede Sinnabsicherung nur provisorisch – oder graduell – die „finsteren Schluchten“ zu umgehen in der Lage ist.
Leuteneggers Essayismus erweist sich dergestalt als ein Schreiben von einem ‚Nicht-Ort‘ der Souveränität aus – neben dem titelgebenden Text Das verlorene Monument versammelt der Essay-Band nicht zufällig Titel mit Motiven der Prekarität: Atlantis in Gefahr beispielsweise, und vor allem Der Tod kommt in die Welt. Hier zeigt sich Essayismus, so könnte man in Anlehnung an Schärf sagen, als eng verschaltet mit der Subjektfrage – ist er seit Montaigne skeptisches Experimentierfeld, so ist die Orientierung in einem nicht-mehr-normativ verankerten Weltbild kein ‚Spiel‘, jedenfalls kein lustiges, sondern vielmehr Ausdruck von Krisenbewusstsein.76 Tatsächlich scheint Leutenegger diese Frage der ausgesetzten Souveränität eng mit dem Tell-Mythos zu verbinden: die Frisch-Passage endet mit dem Verweis auf den „flammend roten Unterrock“, den es – zusammen mit der Figur des „beunruhigenden […] Attentäters“ am Tell zu verteidigen gelte, „oder ich muß auswandern“ (s.o.). Der Unterrock durchzieht den Essay als Leitmotiv; er verweist als Accessoire der Mutter auf eine erotisch-weiblich-körperliche Dimension, die der Väter-Geschichte gegenüberzustehen scheint;77 aber er verweist auch auf Gewalt und Krise: Zitiert wird eine Legende von einem „Bergler, der einen Fuchs schoß und dort, wo das Tier fiel, statt der Beute den roten Unterrock seiner Frau findet, und als er ihr den seltsamen Pelz bringen will, ist die Frau nicht daheim und sie wird auch nie mehr nach Hause zurückkehren.“78 Kunstvoll flicht der Text diese „bekannte Wandersage“ ein, „die im alpinen Raum häufig aufgezeichnet“ und „in mancherlei Variationen“ und „mit unterschiedlichen Akzenten“ erzählt wurde.79 So wie der Fuchs in der Sagenkunde als „Verwandlungsgestalt der Hexe“ gilt,80 so verwandelt sich hier (vielleicht kunstvoll, vielleicht aber auch bedrohlich) das Attentatsmotiv des Tell in den Mord an der Frau. Der Text reaktiviert also nicht einfach die Mythen- und Sagenwelt, sondern thematisiert deren kreatives Wandlungs- und Sinnstiftungspotential, aber auch die potenziell gewaltsame Geste der Deutungen und Umdeutungen bzw. das Fehlen eines „Ersten“ oder „Letzten“, die das Experimentierfeld arretieren würden. Die Sinnstiftungen sind mit „Pelz“ und „Unterrock“ als (Ver-)Kleidung ausgewiesen – und die Literatur als der Ort der Anverwandlung der „Kulturphänomene“ – abermals: „indem ich mir zu phantasieren erlaubte“ 81. Anders aber als bei Frisch wird der Essay hier explizit zum Ausdruck eines Krisenbewusstseins hinsichtlich der Unumgänglichkeit dieser Kulturphänomene, die der „Essay als Form“ (seit Musil: Essayismus) in Bewegung hält.
Obwohl Leuteneggers Essayismus – in Abgrenzung von Frischs „lakonischer Souveränität“ – diesen Nicht-Ort der Souveränität zum einzig möglichen Ort der Literatur erklärt (der Ort, an dem die Frau des Berglers nicht mehr und nie wieder war), bleibt ‚Heimat‘ – als Suche nach Verortung und Situiertheit – doch melancholischer Fluchtpunkt der Texte, wenn auch nur noch über die Emphase der Abwesenheit hergestellt. Zwar werden hier die Alpen durchaus als Transitort gedacht – analog zum „Bahnhof als Ort flüchtigen Aufgehobenseins“82 –, aber die grundsätzliche Unterscheidbarkeit in ‚hier und da‘, ‚eigen und fremd‘, wird nicht in Frage gestellt: Leuteneggers Tell „[blieb] den Eigenen fremd“, und Frisch ist „einer von hier, der sich in dieser Sache so ausländisch verhält“ (s.o.). Wird hier letztlich doch der Mythos wieder an den Referenzrahmen nationaler Rückversicherung gebunden (wenn auch als Kompensation eines existentiellen Ausgesetztseins ausgewiesen), so lässt Annette Hugs Wilhelm Tell in Manila diese Ursprünglichkeit oder Letztendlichkeit der Heimat gänzlich hinter sich und geht von einem a priori der Übersetzung aus.
Der essayistische Roman erzählt von dem späteren philippinischen Nationalhelden José Rizal, der 1886 als junger Augenarzt nach Heidelberg kommt, wo er, so heißt es im ersten Satz des Textes, „einen windstillen Ort der Wissenschaft“ zu finden hoffte.83 Stattdessen scheint er sich schnell in den wilderen Gefilden unsicheren Wissens zu finden; die Frage nach dem Augenlicht steht nicht für das Licht der Aufklärung, sondern führt in Kriegsgelände, das in den Gesichtern der studentischen Veteranen nachhallt: „Die rechte und die linke Seite scheinen auseinanderzufallen. Eine Wange war zart, die samtene Haut rötete sich leicht. Die andere Hälfte war grob und vernarbt, ein Schlachtfeld en miniature.“84 So wie sich hier Jugend und Alter überlagern (und verdrängen), so schieben sich im Folgenden des Textes die Schweiz des 13. Jahrhunderts und die Philippen des 19. Jahrhunderts ineinander, verflechten sich unterschiedliche Zeiten und Räume. José Rizal, der später als einer der Hauptverantwortlichen für den Unabhängigkeitsaufstand gegen die Kolonialmacht Spanien hingerichtet wird, beginnt in den 1880er Jahren mit einer Übersetzung von Schillers Wilhelm Tell in die Muttersprache Tagalog. Die Übersetzung wird durch Rizals auf den Philippinen verbliebenen Bruder angeregt, der sich eine Art postkoloniales Theater vorstellt: „Im neuen Theater, das sich Paciano wünscht, sollen große Figuren an die Zeit erinnern, als die Alten noch ihre eigenen, tagalischen Titel trugen und als noch nicht ausgemacht war, dass sich die Fremden diese Inseln unterwerfen würden.“85 Es geht um ein writing back86 der hegemonialen Ordnung des Kolonialismus, indem der tagalische Tell als Gegendiskurs die Deutungshoheit über das Eigene wiederaneignet. Während jeder Gegendiskurs aber immer tendenziell in Gefahr ist, selbst wieder hegemonial zu erstarren (und ‚das Eigene‘ zu essentialisieren), stehen in Hugs Text die Prozesse der Hybridisierung im Fokus: Als Rizal Schillers Tell zum ersten Mal liest,
schieben sich die Landschaften ineinander und alles geschieht gleichzeitig. Zwei neue Handelswege werden erschlossen. Aus den italienischen Städten steigen Maultierkarawanen einen Bergpfad hoch ins Gebirge. Der Gottardpass eröffnet einen neuen Weg zu den Märkten im Norden. Daran will der österreichische König verdienen, seine Vögte behaupten, die Täler von Uri, Schwyz und Unterwalden gehörten ihm. Von den dunkel bewaldeten, dampfenden Bergen der philippinischen Inseln tauchen spanische Galeonen auf, chinesische Dschunken kommen ihnen entgegen. In Manila treffen sie sich, hier werden seltene Waren gehandelt und umgeladen. Die Spanier setzen sich als neue Herren fest.87
In der Biografie Rizals ist die Tell-Übersetzung eher eine Fußnote; indem Hugs Text den Fokus auf diese lenkt, folgt er zum einen – im Sinne des Walser’schen Essays – der „Verbindung der historischen Idee mit der Phantasie, die daraus entstanden ist“88; zum anderen nimmt er die „Verflechtungszusammenhänge der modernen Welt als Ausgangspunkt einer transnationalen Geschichtsschreibung“; konzeptualisiert man „Geschichte im Sinne von entangled histories“, erscheinen die „Abhängigkeiten, Überlagerungen und Interdependenzen im Kontext der Machtasymmetrien der modernen Welt“ im Blickfeld:89 – „Wenn Rizal übersetzt und der Wald zum gubat wird, der Himmel ein langit, dann wird der Makiling zum Vorposten eines felsigen Gebirges, tagalische Alpen erheben sich am Rand des Pazifiks. Das Drama entzündet sich an einem einzigen Handelspfad.“90
Während in Passagen wie dieser – fernab von jedem Schweizer ‚Sonderwegs‘-Denken – die Parallelitäten von in sich schon transnationalen Machtkonstellationen unterstrichen werden, handelt der Roman vor allem von den Herausforderungen der Übersetzung. Zum einen existiert kein Wörterbuch Deutsch-Tagalog und für Rizal sind „die alten Worte sehr weit weg, manchmal erinnert sich Rizal nur entfernt an einen Klang. Er bräuchte dann Stimmen, die in seiner Erinnerung auftauchen und sprechen. Wenn es aber still bleibt, müsste er sich tief versenken können, um die alten Worte wieder zu hören.“91 Wichtiger aber noch ist die Thematisierung des komplexen kulturellen Transfers: Der Landvogt wird zu hukum, Richter, der See zu dagat – „so lappt ein Meer in die Berge hinein, ein Vierwaldstättermeer“ – und Rizal sucht eher nach den „umständlich[en]“, nicht den „gebräuchliche[n]“ Worten.92
So wie hier der Mythos einer – sich von Wort zu Wort hangelnden – Arbeit an der Sprache unterzogen wird, so scheint auch das Erzählen im Roman seine Selbstverständlichkeit aufzukündigen und beständig auf seine Herausforderungen zu reflektieren. Als Verabschiedung eines „naiv-realistische[n] Erzählens“ und als Verwirklichung des „Romans als die Reflexionsmaschine, von der die Romantiker bereits gesprochen und geträumt hatten“, deutet Christian Schärf „die Durchdringung des Romans mit den Fermenten des Essayistischen im 20. Jahrhundert“.93 So spielt auch Hugs Text, wie schon Frischs Tell, mit zwei unterschiedlichen Schrifttypen und verschiedenen Erzählweisen.94 Siebzehn nummerierte Kapiteln geben die Übersetzungsepisode wieder – über große Strecken im Präsens: „Versuchsweise übersetzt er einige Zeilen“, heißt es zu Beginn, und später, „Wenn sich die Vernunft erhebt, strahlt sie aus: Der Alte von Attinghausen richtet sich auf seinem Totenbett auf und seine Augen leuchten“. 95 Diese tendenziell auf Vergegenwärtigung und Minimierung der Distanz angelegte Erzählweise ist unterbrochen von kursiv gesetzten Passagen, die sich um das Jahr 1886 drehen und die Erzählung von Rizals Übersetzungsepisode geschichtlich, vor allem wissen(schaft)sgeschichtlich kommentieren. Erzählt wird aber keine Geschichte über Fortschritt und Erfolg, sondern über die verschiedenen Modi unsicheren Wissens: So geht es etwa um Fragen, „Als Rizal an der Heidelberger Augenklinik arbeitete, war er mit der Frage konfrontiert, welche Apparatur im Sehnerv und im Hirn tätig war, um Licht in Bilder zu übersetzen“96; um Modi des Experiments (etwa diejenigen Heinrich Hertz zu elektromagnetischen Wellen); und insgesamt um nicht verbürgtes oder noch-nicht erreichtes Wissen: „Helmholtz wunderte sich über das Eigenlicht der Netzhaut und weitere Erscheinungen im Auge, die noch lange nicht vollständig erkannt waren“97; oder: „Nun bat er den kleinen Bruder in der Sache der deutschen Zuckerrübe präziser zu sein, genaue und gesicherte Informationen einzuholen. Nur solche seien ihm nützlich. Auf diese Anfrage erhielt er keine Antwort.“98 Im Geiste des Essayismus und seiner Situierung in den Gefilden unsicheren Wissens gilt hier, was Birgit Nübel für den Essayismus im Roman bei Musil herausstellt: es werde „einer lebensweltlichen wie wissenschaftstheoretischen Dezentrierung der Substanz- und Subjektkategorie sowie einer Relativierung der Raum- und Zeitkategorien entsprochen.“99
Bei Hug geht es damit nicht zuletzt um eine implizite Poetik der ‚eigenen Sache‘ der Literatur aus der Schweiz: Zentral ist hier beispielsweise eine Passage zum „Untergrund“, die die Ungewissheit der Wissenschaft angesichts der vulkanischen Bewegungen im Erdinnern beschreibt und als poetisches Prinzip ausformuliert: „[D]ass sich ein Erdbeben in Lissabon im Tessin ankündigt, dass die Entzündungen im Erdinnern Ausgänge sucht, dass Luftlöcher in den Bergen rotem Nebel Auslass bieten“,100 formuliert eine maximal transnationale Welt- und Textordnung. Der essayistische Roman erschreibt hier einen geteilten Ort, der quer zu Zeiten und Räumen verläuft. In einer solchen transnationalen und transkulturellen Situierung werden
[d]ie narrativen wie diskursiven Konstruktionen […] nicht mehr über die Kategorien von Ursprung und Kausalität hergestellt, sondern über die Techniken von ‚Motivation‘ (Funktionalität), Perspektivierung und Relationierung. Dargestellt wird […] eine Kultur- und Diskursgeschichte des ‚essayistischen Zeitalters‘.101
In solchen Techniken der Perspektivierung und Relationierung – das gilt nicht nur für Hugs Tell, sondern auch für die anderen hier besprochenen Tell-Dichtungen – steht das Moment der Um- und Fortschreibung im Vordergrund, das zugleich auf Genese und Hybridisierung zielt. Situiertheit (sei sie national oder literarhistorisch) ist dann kein Ursprungsmoment der Literatur mehr, sondern allenfalls ein Effekt, den das Schreiben allererst generiert.
Ausblick: „Essay ist Um-schreibung“
Auffällig ist, dass sich alle hier diskutierten Autor*innen auf subjektive – phantasievolle – Aneignung des Mythos berufen und damit im Sinne des Essayismus die Zentralität des Subjekts proklamieren – als „Umsetzung des eigenen Selbst in die Schrift“102, dabei aber zugleich als Experiment mit der Unabschließbarkeit letztendlicher Identität.103 Eine mögliche Antwort auf die Frage nach der Affinität zwischen Essayismus und Tell-Dichtung im 20. und 21. Jahrhundert wäre also: hier geht es jeweils um ein Schreiben im Angesicht von, aber als vehementer Widerstand gegen Totalisierungstendenzen; um ein Festhalten an der Offenheit des Experiments – das in besonderem Maße im Rahmen von Literatur verfolgt werden kann. Denn tatsächlich schreibt bereits Musil, der „Essay [sei] Um-schreibung“104; dergestalt tritt zu Tage, dass und inwiefern „[d]ie Konstruktion und Affirmation von Mythen […] konstitutiv mit ihrer Dekonstruktion und Revision verbunden“ ist; sowohl „Mythologisierungen“ als auch „Identitätsformatierungen“ sind „prozessual zu verstehen als offene, unabschließbare, vielfältigen Einflüssen ausgesetzte Verhandlungsvorgänge.“ 105 Auf die ‚eigene Sache‘ der Literatur aus der Schweiz gewendet, heißt das, kein Ursprung, keine ursprüngliche Beheimatung bzw.: „Der Ursprung ist also kein Ort, an den man zurückgehen könnte. Der Ursprung ist Arbeit, dank der die Vergangenheit ständig neu und immer wieder etwas anders anfängt, als beständig wiederkehrender Loop […].“106
Die Frage nach der ‚eigenen Sache‘ aber überhaupt mit der Frage nach Nationalliteratur zu verbinden, ist immer auch heikel – muss man sich doch fragen, ob man nicht willentlich oder unwillentlich, den Diskurs von der Schweizer Literatur mit weiterschreibt, nicht ausreichend komparatistisch und international kontextualisiert.107 Aber wie dann heute über Tell-Dichtungen schreiben? Ich habe vorgeschlagen, im Zeichen des Essayismus den Blick auf die selbst-dekonstruktiven Um-schreibungen des Mythos in der Literatur zu lenken und möchte mit einem letzten Blick auf eine solche schließen.
Die oben genannte Passage aus Hugs Tell zum Untergrund bezieht sich direkt auf Schiller. Rizal, so der Erzähler, sei nämlich nicht sicher, „ob es rein metaphorisch zu verstehen ist, wenn Schiller einen Schwyzer sagen lässt: ‚Es wankt der Grund auf den wir bauten‘“.108 Bei Schiller referiert diese Rede Stauffachers – glaubt man an deren Metaphorik – auf die geltende Reichsunmittelbarkeit, die die Länder Uri und Schwyz ohne andere Landesherren direkt dem Hl. Römischen Reich unterstellte; sie dient letztlich dramaturgisch der Verteidigung dieses Freiheitsrechts gegenüber etwaigen Umbrüchen oder Machtverschiebungen, d.h. einer erneuten Versicherung des Grunds – denn im Folgenden der Szene wird Stauffachers Frau Gertrud den „Rat“ erteilen, der bei Schiller zur Versammlung und zum Schwur auf dem Rütli führt.109 Schillers Text verbleibt in der Metaphorik der Naturgewalten, wenn Stauffacher antwortet: „Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken/ Weckst du mir in der stillen Brust!“110 Liest man nun aber diese Passage mit Rizals beschriebener Verunsicherung, fällt auf, dass ‚Natur‘ in Schillers Text nicht zweifelsfrei nur dem Bereich des Metaphorischen zuzuschlagen ist (wie etwa in der Ideologie der Idylle). Das lässt sich vor allem im Unterschied zu einem Exempel lyrischer Romantik-Dichtung ersehen, Ludwig Uhlands Tells Platte (1815). Dort wird das Szenario am Vierwaldstättersee zum imaginär-geistigen Bild: „Sieh! ein ewiges Mal hebet dem Kühnen sich hier:/ […] Nicht aus Stein ist das Bild noch von Erz, nicht Arbeit der Hände,/ Nur dem geistigen Blick Freier erscheinet es klar“.111 ‚Natur‘ als metaphorischer Hintergrund bzw. geistiges Bild, imaginiert die Heldengestalt als ewige und, so die Behauptung, je ‚naturgewaltiger‘ sie evoziert wird, umso geistiger und ewiger erscheint das Bild: „Und je wilder der Sturm, je höher brauset die Brandung,/ Um so mächtiger nur hebt sich die Heldengestalt.“112 Bei Schiller werden demgegenüber die Naturgewalten als Akteure der Wechselhaftigkeit und des unaufhaltsamen Zeitenflusses in Szene gesetzt; zu denken ist hier vor allem an den aufziehenden Sturm in der ersten Szene des Stücks, wodurch die Dramenfiguren materiell ausgesetzt erscheinen, weit entfernt von jener rein geistigen Evokation des Ewigen bei Uhland.
Im Folgenden des Stücks beruft sich bekanntlich auch Schillers Tell auf „Urstand der Natur“ und „ewge[] Rechte“113 – d.h. auf eine in jeder Hinsicht sinnvolle Kongruenz von Vergangenheit und Zukunft114 – und gibt die zu legitimierende politische Ordnung als ewiges Naturrecht aus:
Denn so wie ihre Alpen fort und fort/ Dieselben Kräuter nähren, ihre Brunnen/ Gleichförmig fliessen, Wolken selbst und Winde/ Den gleichen Strich unwandelbar befolgen,/ So hat die alte Sitte hier vom Ahn/ Zum Enkel unverändert fortbestanden,/ Nicht tragen sie verwegne Neuerung/ Im altgewohnten gleichen Gang des Lebens. 115
Im Unterschied aber zu Uhlands Evokation des Ewig-Geistigen hält Schillers Text lesbar, wieso diese – sprachlich evozierte – ‚Gleichförmigkeit‘ von solcher Relevanz ist, und zwar – eher im Anschluss an seine frühen Schriften als an den späteren Idealismus – nicht als Argument der Freiheit, sondern als anthropologische Einsicht in die kreatürliche Hinfälligkeit des Menschlichen.116 Erst in deren Angesichts braucht es das Ewige – als mythische Verheißung – überhaupt: Wenn nämlich der vormals abtrünnige Rudenz die gewichtige Entscheidung trifft, ‚ein Schweizer zu sein‘ und für den Freiheitskampf und sein Land einzustehen (Rudenz’ „Und frei erklär ich alle meine Knechte“, beschließt Schillers Schauspiel117), dann tut er dies im Angesicht des Todes – und letztlich als dessen Kompensation:
Ja heil’ge Reste eines teuren Mannes!/ Entseelter Leichnam! Hier gelob ich dir’s/ In deine kalte Totenhand – Zerrissen/ Hab ich auf ewig alle fremden Bande,/ Zurückgegeben bin ich meinem Volk,/ Ein Schweizer bin ich und ich will es sein/ Von ganzer Seele – (Aufstehend.) Trauert um den Freund,/ Den Vater aller, doch verzaget nicht!/ Nicht bloß sein Erbe ist mir zugefallen,/ Es steigt sein Herz, sein Geist auf mich herab,/ Und leisten soll euch meine frische Jugend,/ Was euch sein greises Alter schuldig blieb./ – Ehrwürd’ger Vater, gebt mir Eure Hand!/ Gebt mir die Eurige! Melchtal auch Ihr!/ Bedenkt Euch nicht! O wendet Euch nicht weg!/ Empfanget meinen Schwur und mein Gelübde.118
Der hier angesprochene Oheim Attinghausen wird plötzlich zum „Vater aller“ – was nur halbwegs verdeckt, dass in erster Linie dessen „entseelte[r] Leichnam“ bleibt, auf den nicht zwingend ein jenseitiges ewiges Leben zu warten scheint. Nur vor diesem Hintergrund wird das diesseitige Erbe so wichtig („sein Geist [steigt] […] herab“), für das kurzerhand der Neffe einspringt. Der ganze bevorstehende Prozess der schweizerischen Nationenbildung und Identitätsstiftung wird hier als Übersetzung transzendenter Sinnstiftung in die Immanenz ausgewiesen – die Idee der ‚Seele eines Volkes‘ als Prinzip des Zusammenhalts, der Zusammengehörigkeit, der vitalen Ewigkeit usw. wird durch die Einsicht in die leibliche Endlichkeit zugleich motiviert und dekonstruiert.119
Die für die in diesem Aufsatz diskutierten Texte konstatierte Affinität von Essayismus und Tell-Diskurs lässt sich so als Konstruktion eines Identitätsdiskurses und dessen gleichzeitiger paradox grenzüberschreitender Dynamik pointieren; da daraus per definitionem weder der Begriff des Essays/Essayismus noch eine Theorie aller Literatur zu Tell erfolgen kann, ist dieser Dynamik wohl bestenfalls wiederum in der Form des Essays nahezukommen, natürlich jedoch nicht ohne Adornos „Riskanz“, sowie durch fortgesetzte Lektüre; denn die Rede ‚in eigener Sache‘ bleibt immer auch notwendigerweise singulär und schreckt, zum guten Glück und ganz im Sinne des Essays, vor „dem Gewaltsamen des Dogmas“ zurück.
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von Matt, Peter: Kritischer Patriotismus. Die Auseinandersetzung der Schweizer Schriftsteller mit der guten und mit der bösen Schweiz. In: Ders.: Die tintenblauen Eidgenossen. Über die literarische und politische Schweiz. München 2001, S. 131-143.
von Matt, Peter: Plädoyer für die Heldensage. 1.-August-Rede auf dem Rütli. In: NZZ am Sonntag, 2.8.2009; URL: https://www.nzz.ch/pldoyer_fr_die_heldensage-1.3257346 (zuletzt gesehen: 03.05.2018).
von Matt, Peter: Das Kalb vor der Gotthardpost. Zur Literatur und Politik der Schweiz. München 2012.
von Matt, Peter: Drei Perspektiven auf Schillers Tell. In: Ders.: Das Kalb vor der Gotthardpost. Zur Literatur und Politik der Schweiz. München 2012, S. 241-258.
Walser, Robert: Wilhelm Tell [1927]. In: Ders.: Robert Walser. Europas schneeige Pelzboa. Texte zur Schweiz, hrsg. v. Bernhard Echte, Frankfurt/M. 2003, S. 28-29.
Wild, Markus: Essay. In: Borgards, Roland u.a. (Hrsg.): Literatur und Wissen. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart/Weimar 2013, S. 277-281.
Wirtz, Irmgard M.: Gertrud Leuteneggers Mythogenesen oder „Die gelöschte Erinnerung an die Zukunft“. In: Heuser, Mechthild; Wirtz, Irmgard M. (Hrsg.): Tell im Visier. Zürich 2007, S. 317-326.
Witt, Sophie: ‚Drama‘ der Endlichkeit. Genealogie und Generativität um 1800 (Goethe, Schiller, Kleist). In: Gamper, Michael; Schnyder, Peter (Hrsg.): Dramatische Eigenzeiten des Politischen um 1800. Hannover 2017, S. 93-113.
Wittwer, Héctor (Hrsg.): Der Tod. Philosophische Texte von der Antike bis zur Gegenwart. Stuttgart 2014.
Zima, Peter: Essay, Essayismus. Zum theoretischen Potenzial des Essays. Von Montaigne bis zur Postmoderne. Würzburg 2012.
- Walser, Robert: Wilhelm Tell [1927]. In: Ders.: Robert Walser. Europas schneeige Pelzboa. Texte zur Schweiz, hrsg. v. Bernhard Echte. Frankfurt/M. 2003, S. 28-29, hier S. 28. Der folgende Text ist aus einem von mir im Herbstsemester 2017 unterrichteten Seminar zu „Mythos Tell“ an der Queen Mary University of London hervorgegangen; allen Studierenden und den Mitarbeiter*innen des German Department, besonders Rüdiger Görner, sei sehr herzlich gedankt! ↩
- Walser, wie Anm. 1, S. 28; vgl. zum Stellenwert Walsers Fattori, Anna: „Nie ass ich einen Apfel seit jenem Tag!“. Tell-Dichtungen und Tell-Diskurse vor und nach 1991. In: Sośnicka, Dorota; Pender, Malcom (Hrsg.): Ein neuer Aufbruch? 1991-2011. Die Deutschschweizer Literatur nach der 700-Jahr-Feier. Würzburg 2012, S. 37-58, hier bes. S. 37-41. ↩
- Vgl. von Matt, Peter: Die tintenblauen Eidgenossen. Über die literarische und politische Schweiz. München 2001; Ders.: Das Kalb vor der Gotthardpost. Zur Literatur und Politik der Schweiz. München 2012. ↩
- Caduff, Corina; Sorg, Reto: Zur Einführung. In: Dies. (Hrsg.): Nationale Literaturen heute – ein Fantom? Die Imagination und Tradition des Schweizerischen als Problem. München 2004, S. 9-19, hier S. 11. ↩
- von Matt, Peter: Kritischer Patriotismus. Die Auseinandersetzung der Schweizer Schriftsteller mit der guten und mit der bösen Schweiz. In: Ders.: Die tintenblauen Eidgenossen. Über die literarische und politische Schweiz. München 2001, S. 131-143, hier S. 131. ↩
- Ebd. ↩
- Von Matts Text geht ursprünglich auf einen Vortrag von 1982 zurück und wurde als erweiterte Fassung 1991 gedruckt; vgl. v. Matt, wie Anm. 3, S. 312. ↩
- von Matt, wie Anm. 5, S. 133. ↩
- Bichsel, Peter: An die Schweiz erinnern. In: Lüdke, Martin (Hrsg.): Der Ort einer verlorenen Utopie. Essays zum Werk von Otto F. Walter. Reinbek bei Hamburg 1993. S, 16; zitiert nach Caduff, Corina: Zum Diskurs ‚Schweizer Literatur‘ in der Gegenwart. In: Braun, Michael; Lermen, Birgit (Hrsg.): Begegnung mit dem Nachbarn (IV.): Schweizer Gegenwartsliteratur. Sankt Augustin 2005, S. 65-96, hier S. 81. ↩
- Caduff; Sorg, wie Anm. 4, S. 11. ↩
- Vgl. ebd.; der u.a. von Friedrich Dürrenmatt entlehnte „Fantom“-Begriff bezeichne „den schillernden Status von etwas, das weder da noch fort, weder vergangen noch gegenwärtig ist und gerade dadurch fasziniert.“ (S. 12) ↩
- Nach der Aufwertung des Essays in der deutschen Literaturwissenschaft ab den 1950er Jahren steht zuerst die Gattungsfrage im Vordergrund, bis sich in den 1990er Jahren das Interesse hin zum „Essayismus“ (ein Begriff Robert Musils) verschiebt, womit ein die Moderne grundlegend kennzeichnender Reflexionstypus bezeichnet ist: „Korrektiv zum Szientismus, Experimentierfeld ohne normatives Weltbild, Ausdruck modernen Krisenbewusstsein“: Wild, Markus: Essay. In: Borgards, Roland u.a. (Hrsg.): Literatur und Wissen. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart/Weimar 2013, S. 277-281, hier S. 277; Wild beruft sich hier auf Müller-Funk, Wolfgang: Erfahrung und Experiment. Berlin 1995; Schärf, Christian: Geschichte des Essays. Göttingen 1999; Nübel, Birgit: Robert Musil. Essayismus als Reflexion der Moderne. Berlin 2006. ↩
- Vgl. Wild, wie Anm. 12, bes. S. 279. ↩
- von Matt, Peter: Drei Perspektiven auf Schillers Tell. In: Ders.: Das Kalb vor der Gotthardpost. Zur Literatur und Politik der Schweiz. München 2012, S. 241-258, hier S. 255 bzw. 257 bzw. 243. ↩
- Ebd., S. 241. ↩
- Vgl. Wild, wie Anm. 12, S. 277f. ↩
- Blatter, Michael; Groebner, Valentin: Wilhelm Tell. Import – Export. Ein Held unterwegs. Baden 2016, S. 14 bzw. 16. Die Autoren beziehen sich hier auf Koschorke, Albrecht: Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer allgemeinen Erzähltheorie. Frankfurt/M. 2012. ↩
- Bergier, Jean-François: Wilhelm Tell – Realität und Mythos. Neuedition, Zürich 2012, S. 10. ↩
- Köppel, Roger: Wilhelm Tell für die Gegenwart. In: Die Weltwoche, 09.04.2015; URL: https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2015-15/artikel/wilhelm-tell-fuer-die-gegenwart-die-weltwoche-ausgabe-152015.html (zuletzt gesehen: 03.05.2018) ↩
- Vgl. Maissen, Thomas: Schweizer Heldengeschichten – und was dahintersteckt. Baden 2015; vgl. zu der Debatte auch die Pressestimmen unter: http://www.hierundjetzt.ch/de/catalogue/schweizer-heldengeschichten-und-was-dahintersteckt_15000004/ (zuletzt gesehen: 03.05.2018). ↩
- von Matt, Peter: Plädoyer für die Heldensage. 1.-August-Rede auf dem Rütli. In: NZZ am Sonntag, 2.8.2009; URL: https://www.nzz.ch/pldoyer_fr_die_heldensage-1.3257346 (zuletzt gesehen: 03.05.2018). ↩
- Bergier, wie Anm. 18, S. 11. ↩
- Vgl. ebd., S. 409-466. ↩
- Blatter; Groebner, wie Anm. 17, S. 126. ↩
- Bergier, wie Anm. 18, S. 461 bzw. 463. ↩
- Barkhoff, Jürgen; Heffernan, Valerie: Einleitung: „Mythos Schweiz“. Zur Konstruktion und Dekonstruktion des Schweizerischen in de Literatur. In: Dies. (Hrsg.): Schweiz schreiben. Zu Konstruktion und Dekonstruktion des Mythos Schweiz in der Gegenwartsliteratur. Berlin 2010, S. 7-27, hier S. 8. ↩
- Ebd. ↩
- Vgl. zur Diskussion des Verhältnisses von Essay und Essayismus Schärf, wie Anm. 12, bes. S. 13-37; Schärf schreibt: „Die Gattungsfrage muß also dahingehend modifiziert werden, daß Essay und Essayismus als die eigentlichen, die sogenannten Hauptgattungen untergründig durchziehenden Faktoren anzusehen wären, durch die die Gattungspoetiken aufgebrochen worden sind“ (S. 37); „[i]m Essay stecken ursächlich die Keime zur Aufsprengung von Gattungsgrenzen“ (S. 32), weswegen es Schärf in seiner „Darstellung um eine Gattung ebenso wie um ein Syndrom [geht], und zwar deshalb, weil die Gattung oft nur als Syndrom in Erscheinung tritt.“ (S. 11). Vgl. zur Schreibweise/ecriture Barthes, Roland: Le Degré zéro de l’écriture. Paris 1953. ↩
- Fattori, wie Anm. 2, S. 39 ↩
- Walser, wie Anm. 1, S. 29. ↩
- Ebd., S. 28. ↩
- Vgl. zu Walser und Frisch Fattori, wie Anm. 2; vgl. außerdem Evans, Tamara: Robert Walsers Moderne. Bern; Stuttgart 1989, S. 185-192; Pelletier, Nicole: ‚Haben Sie auch das Glarner Birnbrot so gerne?‘ A propos de Max Frisch et Robert Walser. In: Wellnitz, Philippe (Hrsg.): Max Frisch. La Suisse en question? Strasbourg 1997, S. 73-91; Fattori, Anna: Monologhi telliani. Friedrich Schiller, Robert Walser, Max Frisch. In: LINKS. Revista di letteratura e cultura tedesca/ LINKS. Zeitschrift für deutsche Literatur- und Kulturwissenschaft 4 (2004), S. 109-129. ↩
- Frisch, Max: Wilhelm Tell für die Schule [1970]. Frankfurt/M. 1971, S. 7. ↩
- Vgl. von Haller, Albrecht: Die Alpen [1729]. In: Ders.: Die Alpen und andere Gedichte. Stuttgart 2004, S. 3-22; vgl. zur Idylle Ecker, Hans-Peter.: Idylle. In: Ueding, Gert (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 4, S. 183-202; Böschenstein, Renate: Idyllisch/Idylle. In: Barck, Karlheinz (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 3, S. 119-138. ↩
- Frisch, wie Anm. 33, S. 7. ↩
- v. Matt, wie Anm. 5, S. 137. ↩
- Frisch, wie Anm. 33, S. 40. ↩
- Muschg, Adolf: „Apfelschuß war nicht verlangt“. Über Max Frischs „Wilhelm Teil für die Schule“. In: Der Spiegel 33 (1971). URL http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43144412.html (zuletzt gesehen: 03.05.2018). ↩
- Frisch, wie Anm. 33, S. 20. ↩
- Frisch, wie Anm. 33, S. 49. ↩
- Vgl. v. Matt, wie Anm. 5; vgl. auch Fattori, wie Anm. 2, S. 38ff. sowie Martí-Peña, Ofelia: Max Frischs „Wilhelm Tell für die Schule“. Kritische Darstellung eines alten und gegenwärtigen Mythos. In: Burns, Barbara; Pender, Malcom (Hrsg.): Konstruktionen der Vergangenheit in der Deutschschweizer Literatur. Würzburg 2015, S. 129-139, bes. S. 130. ↩
- Fattori, wie Anm. 2, S. 40. ↩
- Walser, wie Anm. 1, S. 28. ↩
- v. Matt, wie Anm. 5, S. 138. ↩
- Fattori, wie Anm. 2, S. 37 bzw. 39. ↩
- Martí-Peña, wie Anm. 41, S. 134. ↩
- So schlussfolgert Martí-Peña, der Text sei typologisch „weder eine Erzählung noch ein Essay, da sich der Gesamttext aus fiktiver Geschichte und Anmerkungen, also aus dokumentarischem Material zusammensetzt“ (Martí-Peña, wie Anm. 41, 138); eine Auflistung aller geschichtlichen Werke aus den Anmerkungen Frischs findet sich auf S. 137 (Fußnote 26). ↩
- v. Matt, wie Anm. 5, S. 138. ↩
- Vgl. Adorno, Theodor W.; Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente [1944]. 20 Aufl., Frankfurt/M. 2011. ↩
- Schärf, wie Anm. 12, S. 274. ↩
- Adorno, Theodor W.: Der Essay als Form. In: Ders.: Noten zur Literatur, hrsg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt/M. 1974, S. 9-33, hier S. 17. ↩
- Ebd., S. 28. ↩
- Ebd., S. 10. ↩
- Vgl. zur Montage Martí-Peña, wie Anm. 41: „Die Montage verschiedener Texttypen, die als solche immer erkennbar sind, ist ein beliebtes Kompositionsprinzip in Frischs Werken, das ein dialektisch-kritisches Gespräch im Text selbst ermöglicht und dem Leser ein offenes Feld zur Sinngebung und möglichen Interpretationen bietet“ (S. 138). ↩
- Walser, wie Anm. 1, S. 28. ↩
- Adorno, wie Anm. 51, S. 11. ↩
- Narratologisch wären die Fußnoten nicht als faktuale Rede einzuordnen, sondern ebenfalls der fiktionalen Rede (Wilhelm Tell für die Schule) zuzurechnen – sprich: auch das Ich in den Fußnoten müsste als Erzähler-Ich gewertet werden; in den Montagen in Der Mensch erscheint im Holozän (1979) werden dann die Einbindungen der Lexika etc. sogar direkt über die Lektüre der Hauptfigur motiviert (für diesen Hinweis danke ich Stéphane Boutin) – man könnte Tell als eine Frühform dieses Verwirrspiels über Fiktionalität und Faktualität positionieren ↩
- Vgl. dazu die Lektüre Assmanns, Frisch schreibe „nicht im Dienste […] der Beseitigung [des Mythos], sondern seiner Historisierung“: Assmann, Aleida: Die (De-)Konstruktion nationaler Mythen und die Rolle der Literatur. In: Caduff, Corina; Sorg, Reto (Hrsg.): Nationale Literaturen heute – ein Fantom? Die Imagination und Tradition des Schweizerischen als Problem. München 2004, S. 75-83, hier S. 80. ↩
- Adorno, wie Anm. 51, S. 28. ↩
- Ebd., S. 11 (Herv. S.W). ↩
- Vgl. zur Frage der Naturgesetzlichkeit der politischen Ordnung in Schillers Tell: Bloch, Peter André: Schillers Schauspiel „Wilhelm Tell“ oder Die Begründung eines natürlichen Rechtsstaats als dramaturgisches Experiment. In: Braungart, Georg; Greiner, Bernhard (Hrsg.): Schillers Natur, Leben, Denken und literarisches Schaffen. Hamburg 2005, S. 255-266; von Matt, wie Anm. 14, S. 245-255. ↩
- Vgl. zum konjunktivischen Darstellungsmodus und zur Behandlung des Möglichen Martí-Peña, wie Anm. 41, S. 136f. Auch sie schlussfolgert, „man [sollte] bei der Rezeption des Werkes [Frischs Tell] dieses nicht nur als eine kritische Zerstörung des Tell-Mythos verstehen, sondern auch als einen komplizierten literarischen Interpretationsversuch, der den Leser zur Reflexion über die vergangene und gegenwärtige Schweiz einlädt.“ (S. 139). ↩
- Wild, wie Anm. 12, S. 277; vgl. Spoerhase, Carlos u.a. (Hrsg.): Unsicheres Wissen. Skeptizismus und Wahrscheinlichkeit 1550-1850. Berlin 2009. ↩
- Caduff; Sorg, wie Anm. 4, S. 12. ↩
- Wirtz, Irmgard M.: Gertrud Leuteneggers Mythogenesen oder „Die gelöschte Erinnerung an die Zukunft“. In: Heuser, Mechthild; Wirtz, Irmgard M. (Hrsg.): Tell im Visier. Zürich 2007, S. 317-326, hier S. 323. Wirtz bezieht sich auf Barthes’ Mythosbegriff, vgl. Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Frankfurt/M. 1964 [Frz. Paris: Editions du Seuil 1957]. ↩
- Leutenegger, Gertrud: Komm ins Schiff. Frankfurt/M. 1989, S. 7 bzw. 88. ↩
- Wirtz, wie Anm. 65, S. 318. ↩
- von Matt, wie Anm. 5, S. 140. ↩
- von Matt, Beatrice: <em>Bergler, Fuchs und Wasserfee. Alte Sagen in neuer Literatur.</em> Konstanz 1998, S. 17. ↩
- Leutenegger, Gertrud: Das verlorene Monument [1979]. In: Dies.: Das verlorene Monument. Frankfurt/M 1985, S. 39-52, hier S. 46 (Herv. S.W.). ↩
- von Matt, wie Anm. 5. ↩
- Vgl. Fattori, wie Anm. 2, die diesen „dritten Weg zwischen Tradition und durchrationalisierter Geschichts- und Literaturschreibung“ bis heute als ein „Desideratum“ einstuft (S. 44). ↩
- von Matt, wie Anm. 69, S. 17. ↩
- Stanitzek, Georg: Essay. In: Anz, Thomas (Hrsg.): Handbuch Literaturwissenschaft. Bd. 2. Methoden und Theorien. Stuttgart; Weimar 2007, S. 160-166, hier S. 161. ↩
- Vgl. die Tell-Figur als „kundiger Säumer, der wußte“ usw.: Leutenegger, wie Anm. 70, S. 46. ↩
- Vgl. Schärf, wie Anm. 12, S. 10ff. ↩
- Zur Frage „weibliche[r] Schreibformen“ vgl. Wirtz, wie Anm. 65, S. 324f. ↩
- Leutenegger, wie Anm. 70, S. 45. ↩
- von Matt, wie Anm. 69, S. 15. ↩
- Ebd. ↩
- Walser, wie Anm. 1, S. 28. ↩
- Leutenegger, wie Anm. 70, S. 44. ↩
- Hug, Annette: Wilhelm Tell in Manila. Heidelberg 2016, S. 5. ↩
- Ebd., S. 6. ↩
- Ebd., S. 19. ↩
- Vgl. Ashcroft, Bill; Griffiths, Gareth; Tiffin, Helen: The Empire Writes Back. Theory and Practice in Post-Colonial Literatures. London; New York 1989. ↩
- Hug, wie Anm. 83, S. 11. ↩
- So Annette Hug im Interview anlässlich des Schweizer Literaturpreises 2017; URL: http://www.literaturpreise.ch/de/archiv/schweizer-literaturpreise-2017/annette-hug/ (zuletzt gesehen: 5.5.2018). ↩
- Purtschert, Patricia u.a. (Hrsg.): Postkoloniale Schweiz. Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien. Bielefeld 2012, S. 18f. ↩
- Hug, wie Anm. 83, S. 11. ↩
- Hug, wie Anm. 83, S. 19. ↩
- Ebd., S. 23 bzw. 27. ↩
- Schärf, wie Anm. 12, S. 32; vgl. zum Erzählen in der Krise und Essayismus im Roman bei und seit Musil Nübel, wie Anm. 12, S. 32. ↩
- Hugs Text nennt in der Danksagung diejenigen (auto-)biografischen, literarischen, historischen und wissenschaftlichen Quellen, die in den Text eingeflossen sind; vgl. Hug, wie Anm. 83, S. 197f. Vgl. auch die Beschreibung auf der Verlagshomepage, der Roman verwebe „Dichtung und Dokument“ die „von Sprache zu Sprache flüssig [werden], eine Flut.“ URL: http://www.wunderhorn.de/content/buecher/pool/978_3_88423_518_8/index_ger.html (zuletzt gesehen: 5.5.2018). ↩
- Hug, wie Anm. 83, S. 11 bzw. S. 139. ↩
- Ebd., S. 179. ↩
- Ebd., S. 180. ↩
- Ebd., S. 101. ↩
- Nübel, wie Anm. 12, S. 496. ↩
- Hug, wie Anm. 83, S. 26; Wilhelm Tell in Manila bezieht sich hier auf Kants Ausführungen zum Erdbeben von Lissabon 1755. ↩
- Hug, wie Anm. 83, S. 26; Wilhelm Tell in Manila bezieht sich hier auf Kants Ausführungen zum Erdbeben von Lissabon 1755. ↩
- Schärf, wie Anm. 12, S. 37. ↩
- Ebd.: „[Der Essay] ist daher Grundbestandteil einer künstlerischen Haltung, die das Experiment nicht bloß auf die Stoffebene bezogen sieht, sondern an der Schnittstelle zwischen den Stoffen und dem arbeitenden Ich ansiedelt. Kennzeichnend für den Essay ist eben nicht die Identität mit einem Muster, das sich auf der Basis vieler Einzelfälle erarbeiten ließe […]“ ↩
- Musil, Robert: Der literarische Nachlaß. Hrsg. von Aspetsberger, Friedbert; Eibl, Karl; Frisé, Adolf. Reinbek bei Hamburg 1992; zitiert nach Nübel, wie Anm. 12, S. 496. ↩
- Barkhoff; Heffernan, wie Anm. 26, S. 12. ↩
- Blatter; Groebner, wie Anm. 18, S. 123. ↩
- Vgl. Caduff, wie Anm. 9, S. 87. ↩
- Hug, wie Anm. 83, S. 25. ↩
- Schiller, Friedrich: Wilhelm Tell. Schauspiel. In: Ders.: Sämtliche Werke in fünf Bänden, Bd. II: Dramen 2, hrsg. von Peter-André Alt. München 2004, S. 913-1029, hier S. 924 bzw. S. 926. ↩
- Ebd., S. 927. ↩
- Uhland, Ludwig: Tells Platte [1815]. In: Div.: Reise durch die Schweiz. Texte aus der Weltliteratur, hrsg. v. Heinz Weder. Zürich 1993, S. 128. ↩
- Ebd. ↩
- So in der berühmte Rede Stauffachers in der Rütli-Szene: Schiller, wie Anm. 109, S. 959. ↩
- Vgl. Mythos Schweiz: ↩
- Schiller, wie Anm. 109, S. 951; vgl. zur temporalen Logik von Gründungsmythen Barkhoff; Heffernan, wie Anm. 26, S. 9: „Mythen [sind] ‚Großerzählungen‘, aus denen nationale Identität, politische Legitimität und historische Kontinuität geschöpft werden“. Als Gründungsmythen enthalten sie „‚Sinnversprechen, durch welche die Vergangenheit mit der Gegenwart verbunden wird, und zwar so, daß die Vergangenheit über die Gegenwart hinaus in die Zukunft verweist‘“. (Zitation: Münkler, Herfried: Politische Mythen und nationale Identität. Vorüberlegungen zu einer Theorie politischer Mythen. In: Frindte, Wolfgang; Pätzolt, Harald (Hrsg.): Mythen der Deutschen. Deutsche Befindlichkeiten zwischen Geschichten und Geschichte. Wiesbaden 1994, S. 21-27). ↩
- Vgl. dazu Angehrn im Anschluss an Klaus Heinrich: „Es gehört gerade zur Eigenart des Mythos, die Bedrängnis durch existentielle Probleme nicht zu verschweigen, sondern diese als unerledigte freizulegen.“ In dieser Lesart und hinsichtlich des Fokus auf die „Unabschließbarkeit […] in der Verständigungsarbeit des Menschen“ konvergieren Essayismus und Mythos in der Abgrenzung von den rationalistischen und metaphysischen Denkweisen der Philosophie. Angehrn, Emil: Ursprungsmythos und Geschichtsdenken. In: Nagl-Docekal, Herta (Hrsg.): Der Sinn des Historischen. Geschichtsphilosophische Debatten. Frankfurt/M. 1996, S. 305-332, hier S. 316. ↩
- Schiller, wie Anm. 109, S. 1029. ↩
- Ebd., S. 1000. ↩
- Zur Endlichkeit bei Schiller vgl. Witt, Sophie: ‚Drama‘ der Endlichkeit. Genealogie und Generativität um 1800 (Goethe, Schiller, Kleist). In: Gamper, Michael; Schnyder, Peter (Hrsg.): Dramatische Eigenzeiten des Politischen um 1800. Hannover 2017, S. 93-113. ↩