Jean-Jacques Rousseau: ENTFREMDUNG, Das POLITISCHE IM KLEINSTAAT UND DER ANSPRUCH DER MENSCHHEIT

Ausgabe 1 /2017

Thomas Fries; Universität Zürich

Der Begriff der Entfremdung (aliénation) erfährt bei Rousseau eine bedeutende philosophische Erweiterung: Er meint einen allgemeinen Gesellschaftsprozess (Denaturierung), den Rousseau in seinen kritischen Schriften nach 1749 noch ohne den Begriff selbst in seiner ganzen Fatalität beschreibt. Die großen Werke von 1758 bis 1762 entwickeln dagegen auf ganz verschiedenen Gebieten (Ökonomie, Politik, Liebe, Familie, Erziehung, Religion) regulative Modelle, mit denen die jetzt so benannte Entfremdung geprüft und wenn möglich kontrolliert oder retardiert werden kann. Ein solches politisches Modell ist der „Contrat social“. Der Sozialvertrag ist für den Kleinstaat gedacht und orientiert sich an den Vorstellungen von Bürger und Heimat, die einen Ausschluss des Fremden implizieren. Doch in anderen Werken, insbesondere im Roman „Emile ou De l’éducation“, geht Rousseau einen völlig anderen Weg: Die Öffnung zu einer Welt in der Krise und der Blick in die Weite erscheinen geradezu als Bedingung dafür, dass das Eigene und das allgemein Menschliche richtig eingeschätzt werden können. Mein Text versucht, auf die Dynamik dieser Gegenkräfte, die in der aktuellen Schweiz überdeutlich sind, in Rousseaus Texten einzugehen und diese zugleich auf dem Hintergrund seines eigenen Verhältnisses zu Genf und zur damaligen Schweiz (Herkunft, Bewunderung, Kritik und Ausstoßung) zu verstehen.

Schlüsselwörter:
Jean-Jacques Rousseau, Entfremdung, das Fremde, das Eigene

Jean-Jacques Rousseau: Alienation, the Political in a Small State and the Claim of Mankind
The concept of Entfremdung (alienation) was considerably enlarged by Rousseau: It refers to a general social process of fatal denaturation which Rousseau describes in his critical writings after 1749, yet without using the word itself. His main works between 1758 and 1762 focus, in different social areas (economy, political theory, love, family, education, religion), on the question of how this fatal development (called aliénation by now) could be regulated or at least retarded. The “Contrat social” is a political model for such a regulation. It applies especially to small countries and is based on the ideas of patriotism and citizenship, implying the confinement of migration and assimilation. However, in other texts, especially in “Emile ou De l’éducation”, Rousseau seems to argue in a contrary way for a global view and a general concept of humanity. My text tries to show the dynamics of these opposite forces (very present in today’s Switzerland) not only in Rousseaus texts but also with regard to his personal relationship with Geneva and 18th-century Switzerland (patrie, ideal, criticism, and expulsion).

Keywords:
Jean-Jacques Rousseau, alienation, the foreign, the own


Quand on veut étudier les hommes il faut regarder près de soi; mais pour étudier l’homme il faut apprendre à porter sa vue au loin; il faut d’abord observer les différences pour découvrir les propriétés. (Essai sur l’origine des langues)1


Wenn man die Menschen erforschen will, muss man sich in der Nähe umsehen; aber um den Menschen zu erforschen, muss man lernen, seinen Blick in die Ferne lenken; man muss zuerst die Differenzen beobachten, um das Eigentliche des Menschen zu entdecken.


Toute société partielle, quand elle est étroite et bien unie, s’aliène de la grande. Tout patriote est dur aux étrangers; ils ne sont qu’hommes, ils ne sont rien à ses yeux. Cet inconvénient est inévitable, mais il est faible. L’essentiel est d’être bon aux gens avec qui l’on vit. […] Défiez-vous de ces cosmopolites qui vont chercher au loin dans leurs livres des devoirs qu’ils dédaignent de remplir autour d’eux. Tel philosophe aime les Tartares pour être dispensé d’aimer ses voisins.“ (Emile ou de l’éducation)2


Jede Teilgemeinschaft, wenn sie eng und geeint sein soll, entfremdet sich der großen Gesellschaft. Jeder Patriot ist hart zu den Fremden; sie sind nur Menschen, sie sind nichts in seinen Augen. Dieser Nachteil ist unvermeidlich, aber er fällt nicht ins Gewicht. Das Wesentliche ist es, gut zu sein mit den Menschen, mit denen man lebt. […] Hütet Euch von jenen Kosmopoliten, die mit ihren Büchern in der Ferne Aufgaben suchen, zu welchen sie sich in ihrer direkten Umgebung nicht herablassen würden. Mancher Philosoph liebt die Tataren, um davon entbunden zu sein, seine Nachbarn zu lieben.

Mit diesen beiden Eingangszitaten scheint Rousseau in kurzem zeitlichen Abstand3 zu der heute nicht nur in der Schweiz heftig umstrittenen Frage, ob sich Politik und Humanität national oder europäisch bzw. global ausrichten sollen, zwei ganz widersprüchliche Antworten zu geben. Ist das die paradoxe Widersprüchlichkeit, die man Rousseau immer wieder unterstellt hat? Ich möchte mit dem nachfolgenden Text zeigen, wie und warum in Rousseaus grundlegendem Denken des Politischen und der „Weltgesellschaft“ (société générale) beide Positionen ihren notwendigen Platz haben. Die Entfremdung (aliénation) als Fremd-Werden des Eigenen (der Natur) wird sich dabei als Schlüsselbegriff erweisen; Rousseau hat ihn selbst auf entscheidende Weise geprägt.

Das erste Zitat lädt uns ein, die (bestimmten) Menschen in unserer direkten Umgebung zu prüfen, aber für die Kenntnis des (allgemeinen) Menschen es zu lernen, unseren Blick „in die Ferne zu lenken“, um das anthropologische Wesen des Menschen aus seiner weltweiten Differenziertheit zu verstehen. Claude Lévi-Strauss, der die breite Basis von Rousseaus Hauptwerk zwischen 1749 und 1762 im Auge hat (Anthropologie, Kulturkritik, Zivilisationskritik, Musik, Linguistik, Medien, politische Ökonomie, Liebesroman, Politik, Religion, Erziehung), sieht in diesem Satz den Gründungsakt nicht nur der Ethnologie, sondern der ‚Humanwissenschaften’ (Geistes- und Sozialwissenschaften) überhaupt:

Rousseau ne s’est pas borné à prévoir l’ethnologie: il l’a fondée. D’abord de façon pratique, en écrivant ce Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes qui pose le problème des rapports entre la nature et la culture, et où l’on peut voir le premier traité d’ethnologie générale; et ensuite, sur le plan théorique, en distinguant, avec une clarté et une concision admirables, l’objet propre de l’ethnologue de celui du moraliste et de l’historien: ‚Quand on veut étudier les hommes … [vgl. oben].’4

Rousseau ist für Lévi-Strauss der erste Ethnologe und moderne Humanwissenschaftler vor allem auch dadurch, dass der Versuch der Identifikation mit dem Anderen, mit dem Fremden, auf den Menschen und die ganze Menschheit bezogen, das Fremd-Werden des Eigenen, den Konflikt mit sich selbst, notwendigerweise mit sich zieht, ja aus dieser Selbstentfremdung hervorgeht:

„La pensée de Rousseau s’épanouit donc à partir d’un double principe: celui de l’identification à autrui, et même au plus ‚autrui’ de tous les autrui, fût-ce un animal; et celui de l’identification à soi-même, c’est-à-dire le refus de tout ce qui peut rendre le moi ‚acceptable’. Ces deux attitudes se complètent, et la seconde fonde même la première: […].“5

Das zweite Eingangszitat vertritt eine entgegengesetzte Position: Hier „entfremdet sich“ die ideale nationale Teilgesellschaft von der großen Gesellschaft der Menschheit, für den Patrioten sind die Fremden, unvermeidlich, „nur Menschen“, wesentlich ist es, gut zu sein zu jenen, mit denen man lebt. Und von den Kosmopoliten, die in der Ferne die Aufgaben suchen, die sie in der Nähe nicht erfüllen wollen oder nicht erfüllen können, wird auf bissige Weise gewarnt. Mit diesen Sätzen nimmt Rousseau am Anfang des Emile im Grunde genommen die Position des kurz zuvor entstandenen Contrat social auf, der idealerweise für den demokratisch verfassten, nationalen Kleinstaat bestimmt ist und gerade nicht anwendbar ist für nicht demokratisch verfasste größere Gebilde wie ‚Europa’ oder ‚die Welt’. Das bedeutet nicht, dass für Rousseau die Beziehungen zwischen den Staaten prinzipiell nicht geregelt werden können (etwa mit Verträgen oder föderativen Strukturen), und man muss berücksichtigen, dass der Contrat social nur einen kleinen, ausgeführten Teil der groß angelegten Institutions politiques ausmacht.6 Doch zweifellos begegnet der vorher auf die ganze Menschheit ausgerichtete Blick in Wissenschaft und Bildung hier großem Misstrauen, der Gegensatz scheint massiv. Doch auf den folgenden Seiten des Emile wird genau diese Position sogleich zurückgenommen, die Kernbegriffe des Contrat social (Heimat und Bürger) werden ausgestrichen, damit der Erziehungsroman, der auf der für Rousseau modernen, privaten Erziehung basieren soll, überhaupt entstehen kann:

De ces objets nécessairement opposés [Bürger und Mensch], viennent deux formes d’institution contraires; l’une publique et commune, l’autre particulière et domestique. […]
L’institution publique [bei den Griechen und Römern] n’existe plus, et ne peut plus exister; parce qu’où il n’y a plus de patrie, il ne peut plus y avoir de citoyens. Ces deux mots doivent être effacés des langues modernes.7

Die Prämissen des Contrat social müssen wie in einem Experiment außer Kraft gesetzt werden, damit der Roman der privaten Erziehung sich entwickeln kann. Erst am Schluss des Romans, nachdem Emile seine eigene, nur auf ihn zugeschnittene Erziehung durchlaufen und auf seinen weiten Reisen (mit temporärer Emigration) gesehen hat, dass es nirgendwo in der Welt eine gute politische Ordnung gibt, kann er, trotz allem, Staatsbürger werden, können die Wörter citoyen und patrie wieder eingeführt werden. Doch diese letzte patrie nach der Reise durch die Welt und der Wahrnehmung des politischen Elends überall ist – ein Asyl:

S’il y a du bonheur sur la terre, c’est dans l’asile où nous vivons qu’il faut le chercher.8

Die verschiedenen Perspektiven verdeutlichen sich: Der Contrat social ist kein Modell für die ganze Menschheit, er basiert vielmehr auf der Einsicht, dass es nirgendwo eine ideale soziale Ordnung geben kann, und ist somit eine notwendig beschränkte, regulative Lösung, mit ganz bestimmten Bedingungen, für einen beschränkten Raum. Insofern ist Rousseaus Denken des Politischen realistisch, nicht auf die Utopie einer Menschheitsgesellschaft ausgerichtet, vielmehr von deren Unmöglichkeit ausgehend. Doch sein Denken des Anthropologischen hat, wie vorher gesehen, eine ganz andere Orientierung, und ebenso das Denken des Erzieherischen, des Religiösen, der Familie und der Passion der Liebe. Alle diese verschiedenen Perspektiven gehen hervor aus Rousseaus grundsätzlicher Kritik von Kultur und Zivilisation in den beiden Discours über den Fortschritt der Wissenschaften und Künste, zugespitzt im Préface de Narcisse, im Essai sur l’origine des langues und, in Bezug auf die Medien, in der Lettre à d’Alembert. Alle darin aufgezeigten Entwicklungsschritte sind für Rousseau dadurch „fatal“, dass sie keineswegs ausschließlich negativen Charakter haben, vielmehr auf Fähigkeiten des Menschen beruhen, die, wie etwa die imagination oder das perfectionnement, seinen Lebensbereich erweitern und bereichern. Diese Entwicklung ist unumkehrbar – aber sie kann gegebenenfalls aufgehalten, retardiert, reguliert werden. Aus dieser Sicht sind die großen Werke, die zwischen 1757 und 1762 entstanden sind (Discours sur l’économie politique, Julie ou La nouvelle Héloïse, Contrat social, Emile) zu verstehen, gewissermaßen als „therapeutische“ Modelle auf ganz verschiedenen Gebieten für die Regulierung des grundsätzlichen Entfremdungsprozesses der Menschheit. Diese Werke situieren sich auf den verschiedenen Ebenen der politischen Ökonomie, der Passion der Liebe und einer größeren Familie, des Gegensatzes Stadt-Land und der Unterhaltung, des Staatspolitischen, der Erziehung und des Religiösen. Anders als zum Beispiel Nietzsche begnügt sich Rousseau nicht mit der Kulturkritik, sondern versucht, konkrete politische, soziale und kulturelle Modelle zu entwickeln (auch mit seinen Verfassungsentwürfen für Polen und Korsika) und mit seinen beiden Romanen das Schicksal einzelner Menschen in den gegebenen (nicht idealen) gesellschaftlichen Strukturen zu entwickeln. Daraus ergibt sich zugleich, dass ‚der Mensch’ für Rousseau nicht nur ethnographisch in seiner ganzen Varietät gesehen werden muss, sondern dass die Differenziertheit des Einzelnen als politisch oder als ökonomisch handelndes oder als religiös denkendes Wesen, als Liebender oder als Mitglied einer Familie, als mitleidender Mitmensch und mit seinen eigenen Interessen usw. usw. in alle Richtungen zu denken und zu erweitern ist. Dieser Vorgang soll im beschränkten Rahmen dieses Aufsatzes aufgezeigt werden.

Voraussetzung dafür ist, dass die Kritik der Entfremdung von der realistischen Regulierung deutlich getrennt wird: Wenn Rousseau im zweiten Discours die Ungleichheit unter den Menschen auf härteste Weise anprangert, so bedeutet das für sein politisches, auf die Realität ausgerichtetes Denken gerade nicht, dass der Sozialpakt diese Ungleichheit aufheben kann. Die Ungleichheit nimmt durch den Fortschritt der Menschheit unweigerlich zu (das zeigt ja auch die aktuelle Fragestellung, warum reiche Länder noch reicher werden, während die armen arm bleiben9) , sie wird durch den Sozialpakt bloß reguliert. Die Definition des Eigentums ist der fatale Schritt zur Zivilgesellschaft, die Quelle unermesslichen Unheils,10 doch der Sozialpakt, der nur von allen für alle geschlossen werden kann, muss das bereits erworbene Eigentum garantieren, dessen Aufhebung würde unweigerlich zum Bruch des Sozialpakts führen. Die Französische Revolution hat sich mit der Propagierung der égalité (die sich ja in der Realität nur auf besitzende Bürger männlichen Geschlechts bezog) ein Ideal gesetzt, dem Rousseau im Bereich des politischen Denkens nur relative Bedeutung geben kann.

Auch die Entfremdung findet auf verschiedenen Ebenen statt. Rousseau beschreibt sie, im zweiten Discours, noch ohne den Begriff der aliénation zu verwenden, der dann im Contrat social zum dialektischen Schlüsselbegriff wird. Sowohl der absolute wie der relative Ausgangszustand, von dem aus das Fremd-Werden zu denken ist, heißt Natur. Der Prozess von der Natur zur Kultur und zur Zivilisation hat also nicht nur einmal in weiter zeitlicher Ferne stattgefunden, weg vom absoluten Naturzustand, sondern wiederholt sich, relativ gesehen, ständig, im Zustand der Natur selbst und in jedem einzelnen Menschen. Auch dessen ‚Natur’ ist zuerst gut (und von da aus muss die Erziehung gedacht werden), nicht schlecht wie bei Hobbes, aber der Eintritt in die und das Mitwirken in der Zivilgesellschaft sind unvermeidlich (ohne dieses wäre alles nur noch schlimmer) und damit sein eigenes Sich-Fremd-Werden. Diese Entfremdung zeigt sich nicht zuletzt in Rousseaus eigenem Schicksal, politisch als Genfer und Schweizer, literarisch mit seinem Schreiben. Sein Bezug zu Genf und zur Schweiz hat eine ganz besondere Bedeutung, weil die Kantone der Alten Eidgenossenschaft und die Stadt Genf in ihrer idealen politischen Verfassung (nicht in der degenerierten Realität des 18. Jahrhunderts) für den Contrat social wegweisenden Charakter hatten und weil der Contrat social, entgegen manchem Urteil, kein Modell für die Französische Revolution und deren erste Verfassungen (und schon gar nicht für die Menschenrechte11) abgibt, wohl aber die Grundlage für die Schweizer Bundesverfassung von 1848. Deshalb werde ich im Folgenden zuerst auf den Begriff der Entfremdung eingehen und nachher das Verhältnis von Bürger und Mensch, von Heimat und Menschheit behandeln. Daran schließen zwei weiterführende Teile über Rousseau und die Schweiz sowie über die Fatalität des Schreibens „für die Menschen“, in denen Rousseaus eigene Entfremdung, historisch-biographisch und literarisch, die theoretische Sicht illustrieren und erweitern. Einige kurze Überlegungen zur Modernität Rousseaus sollen das Ganze beschließen.


Abtretung, Entfremdung, Selbstentfremdung

Das französische Nomen aliénation, aus lateinisch alienus ‚fremd, einem anderen gehörig, ausländisch’ und dem Verb aliéner ‚abtreten, schenken, enteignen’ abgeleitet‚ ist vor Rousseau und seit dem 13. Jahrhundert ein Terminus der Rechtssprache und meint den Übergang eines Eigentums an einen anderen durch Abtretung, Schenkung, Verkauf oder Enteignung.12 Die Nebenbedeutung der alienatio mentis, der ‚Geistesstörung’, existiert im Französischen seit dem 15. Jahrhundert, ist in ihrer Verwendung auf den Bereich der psychischen Krankheiten beschränkt, aber auch als ‚Selbstentfremdung’ zu verstehen. Seine politische und anthropologisch-philosophische Bedeutung gewinnt der Begriff der aliénation in Rousseaus Contrat social. Dieser beruht auf einem Gründungsvertrag, dem pacte social, mit dem alle Gesellschafter (associés) mit allen anderen alle ihre natürlichen Rechte an die Gemeinschaft (communauté) abtreten13 und sich dem Allgemeinwillen (volonté générale) unterwerfen, um von dieser Gemeinschaft sodann ihre zivilen Rechte zugewiesen zu erhalten. Die kleinste Abweichung von diesem umfassenden Prinzip macht den ganzen Contrat social obsolet und würde (wie beim Bruch eines Staatsvertrags) die Rückkehr zur verbliebenen natürlichen Freiheit implizieren:

Ces clauses bien entendues se réduisent toutes à une seule, savoir l’aliénation totale de chaque associé avec tous ses droits à toute la communauté: […].
Si donc on écarte du pacte social ce qui n’est pas de son essence, on trouvera qu’il se réduit aux termes suivants. Chacun de nous met en commun sa personne et toute sa puissance sous la suprême direction de la volonté générale; et nous recevons en corps chaque membre comme partie indivisible du tout.14

Auf die Unsicherheit des Begriffs der volonté générale, des Gemeinwillens, welchen sich der Contrat social als Basis gibt, soll hier nicht näher eingegangen werden.15 Doch im Zusammenhang wird klar, dass der Sozialpakt auf einer reflexiven Selbst-Abtretung, Selbst-Enteignung (der Rechte an der eigenen Person) beruht, welche im Gründungsakt alle Gesellschafter mit allen anderen und mit allen Rechten vollziehen müssen. Warum ist diese Selbst-Abtretung notwendig? Sie antwortet, als willentlicher Akt und als zweite, willentliche Selbst-Entfremdung, auf die erste schleichende Entfremdung des Menschen, die dazu geführt hat (wie am Anfang des Contrat social betont wird), dass „der Mensch [als anthropologisches Wesen] frei geboren ist“ und doch überall „in Ketten“ lebt.16 Der Zusammenhang verdeutlicht, dass man hier nicht an die Ketten von Sklaven denken soll, sondern an jene Ketten, die alle Menschen wechselseitig einbinden und die sich, im zweiten Discours, aus der wachsenden Abhängigkeit aller Menschen von allen (heute: Globalisierung) ergeben. Im Laufe dieses Prozesses verliert der Mensch Stück um Stück seine natürliche Freiheit, seine Unabhängigkeit. Die dialektische Wende besteht jetzt darin, mit einer willentlichen aliénation totale aller verbliebenen natürlichen Rechte durch alle Rechtsträger eine geordnete Zivilgesellschaft zu schaffen, die allen Gesellschaftern eine legitime Sicherheit gibt. Mit dem zuerst juristischen und dann politischen Terminus der aliénation als (Selbst-)Entfremdung, hat Rousseau, mit dem ganzen Gewicht des Wortfelds alienus, den Begriff gefunden, der, aus unserer Sicht, wie kein anderer den menschheitsgeschichtlichen Vorgang erfasst, den der zweite Discours beschreibt.17 Und in seinem eigenen Leben und Werk wird das eigene Fremd-Werden nach dem Contrat social immer mehr zum zentralen Thema.18


Das Verhältnis von Heimat und Menschheit, von Bürger und Mensch

Der Mensch ist für Rousseau ein grundsätzlich dualistisches Wesen: Er wird von starken Trieben und Leidenschaften (passions) geleitet, verfügt aber auch über Vernunft (raison), er ist auf der einen Seite ein physisch-sinnlich-wahrnehmendes Wesen (être sensible) und auf der anderen Seite ein denkendes (être intelligent), im Verhältnis zu sich selbst steht der notwendigen Selbstliebe (amour de soi) die egoistische Selbstsucht (amour-propre) gegenüber. Im Mitleid (pitié) erkennt Rousseau eine bereits im Naturzustand (vor jeder Reflexion) angelegte Soziabilität des Menschen, welche ihrerseits die Imagination (sich in einen anderen zu versetzen) erfordert; genau die Imagination ist es jedoch, welche erst die Möglichkeit des Fortschritts (perfectibilité) begründet und damit den Wandel vom der Naturzustand zur Gesellschaftszustand einleitet.19 Im Gesellschaftszustand ist der Mensch auch Bürger (citoyen), und da er immer ein affektives und vernünftiges Wesen ist, genügt die vernünftige Einsicht in das Staatswesen (das von ihm die Beschränkung seiner Selbstliebe, also seiner Eigeninteressen verlangt) nicht, es braucht die Liebe zur Heimat (l’amour de la patrie). Heimatsliebe braucht der Mensch als Bürger, das Staatswesen für seine eigene ethisch-erzieherische Aufgabe, sie ist jedoch unvermeidlich ambivalent, weil sie die Heimat von den Fremden (étrangers) abgrenzt:

Ce n’est pas assez de dire aux citoyens, soyez bons; il faut leur apprendre à l’être; et l’exemple même qui est à cet égard la première leçon, n’est pas le seul moyen qu’il faille employer: l’amour de la patrie est plus efficace; car comme je l’ai déjà dit, tout homme est vertueux quand sa volonté particulière est conforme en tout à la volonté générale, et nous voulons volontiers ce que veulent les gens que nous aimons. […] Voulons-nous que les peuples soient vertueux? commençons-donc par leur faire aimer la patrie: mais comment l’aimeront-ils, si la patrie n’est rien de plus pour eux que pour des étrangers, et qu’elle ne leur accorde que ce qu’elle ne refuse à personne?“20

Das Mitleid, im Naturzustand als vorreflexive Gegenkraft zur übermäßigen Selbstliebe (Selbsterhaltung) begriffen, wird jetzt zur Gegenkraft der Selbstsucht und des Patriotismus, sie zeichnet den Menschen als Menschen aus, unabhängig vom Staatswesen, in dem er lebt, in ihm rettet sich also etwas Natürliches in den Gesellschaftszustand. Doch beide, Heimatliebe und Mitleid, sind nur in der näheren bzw. weiteren Umgebung des Menschen stark und unmittelbar, in der Heimat bzw. in Europa, mit größerer Distanz nehmen sie immer mehr ab, nur eine auf engerem Raum konzentrierte Menschlichkeit bleibt wirksam:

Es scheint mir, dass das Humanitätsgefühl verdampft und sich abschwächt, wenn es sich über die ganze Erde ausdehnt, und dass wir von den Unglücken der Tartaren oder der Japaner nie so getroffen sein könnten wie von jenen eines europäischen Volkes. Es ist auf gewisse Weise notwendig, das Interesse und die Anteilnahme (commisération) zu begrenzen und zu komprimieren, um dieses Humanitätsgefühl wirksam werden zu lassen.21

Derselbe Gedanke der nachlassenden Kraft des Zusammenhalts bei wachsender Ausdehnung bestimmt im Kapitel II/9 des Contrat social die ideale Ausdehnung des Staates, „weder zu groß, damit er gut regiert werden kann, noch zu klein, damit er sich selbstständig erhalten kann“.22 Aus dem gleichen Grund wird Rousseau 10 Jahre später den Polen, in Analogie zum Schweizer Modell, die Aufteilung ihres Staatsgebiets, als Konföderation von 33 Kleinstaaten, wünschen – aber das sei wohl der schwierigste Teil seines Projekts.23

Rousseau personifiziert den Gegensatz von Menschenliebe und Heimatliebe in der Gegenüberstellung von Sokrates und Cato: Beide sind gleich bedeutsam – der eine als Lehrer der Menschen, als Weisester der Weisen, der andere als starker Verteidiger von Staat, Freiheit und Gesetz –, aber nur der Letztere eigne sich als Vorbild für das Staatswesen, denn es habe noch nie ein Volk von Weisen gegeben, doch sei es nicht unmöglich, ein Volk glücklich zu machen.24

Das 2. Kapitel der ersten Fassung des Contrat social25 präzisiert diesen Antagonismus. Grundsätzlich bedeutet die Vergesellschaftung des Menschen, dass dieser seine natürliche Freiheit und Unabhängigkeit verliert, indem die Menschen, durch die ständig steigenden Bedürfnisse, immer mehr aufeinander angewiesen sind, um diese Bedürfnisse zu erfüllen, und gleichzeitig, unter dem Gewicht der Passionen, immer mehr zu Rivalen und zu Feinden werden, von denen sie sich aber ebenso wenig lösen können: „[…] nos besoins nous rapprochent à mesure que nos passions nous divisent, et plus nous devenons ennemis de nos semblables moins nous pouvons nous passer d’eux.“26 Die allgemeine Menschengesellschaft (société générale), von der ökonomischen Globalisierung geschaffen, bietet keine Hoffnung für das Menschengeschlecht, ihre Beziehungen sind völlig ungeordnet, „ohne Maß, ohne Regel, ohne Konsistenz“, ihr Zusammenhalt ist „trügerisch“, vor allem für den Schwachen:

La société générale telle que nos besoins mutuels peuvent l’engendrer n’offre donc point une assistance efficace à l’homme devenu misérable, ou du moins elle ne donne de nouvelles forces qu’à celui qui en a déjà trop, tandis que le faible, perdu, étouffé, écrasé dans la multitude, ne trouve nul asile où se réfugier, nul support à sa faiblesse, et périt enfin victime de cette union trompeuse dont il attendait son bonheur.27

Die allgemeine Menschengesellschaft, die es nur in den „Systemen der Philosophen“ gibt, müsste, als effektive Institution, ein eigenes moralisches Wesen sein, nicht nur eine „Aggregation“ des Verschiedenen, sondern eine wirkliche Union, mit differenzierten Eigenschaften, abgehoben von den Eigenschaften der sie konstituierenden Individuen (das Ganze also etwas anderes als die Summe der Teile). Es gäbe von Natur aus eine „universelle Sprache“ ebenso wie einen Sinn für das Gemeinsame (sensorium commun), das Glück des Einzelnen würde sich nicht zum Glück des Ganzen summieren, sondern sich selbst aus diesem ableiten. Tatsächlich aber stehen das Interesse des Einzelnen und das Allgemeinwohl in einem Widerspruch.28 Der Appell an diese allgemeine Menschengesellschaft bleibt fruchtlos, ja er könnte dazu dienen, das unmittelbar Notwendige in der eigenen Umgebung zu verdrängen. Der „Mangel der allgemeinen Gesellschaft“ wird auf dialektische Weise korrigiert, indem die unwillkürliche Assoziierung durch willentliche „neue Assoziationen“ korrigiert wird: „[…] efforçons-nous de tirer du mal même le remède qui doit le guérir. Par de nouvelles associations, corrigeons, s’il se peut, le défaut de l’association générale.“29 Der Mensch muss zuerst Bürger eines demokratischen Staatswesens werden, bevor er eigentlich Mensch (oder allenfalls Weltbürger) werden kann:

Nous concevons la société générale d’après nos sociétés particulières, l’établissement des petites républiques nous fait songer à la grande, et nous ne commençons proprement à devenir hommes qu’après avoir été citoyens. Par où l’on voit ce qu’il faut penser de ces prétendus cosmopolites, qui justifiant leur amour pour la patrie par leur amour pour le genre humain, se vantent d’aimer tout le monde pour avoir le droit de n’aimer personne.30

Heimatliebe und allgemeine Menschenliebe treten hier in einen notwendigen Gegensatz, den Rousseau hier, im Bereich der politischen Ordnung, zugunsten der Heimatliebe entscheidet. Der Konsequenz, dass diese Heimatliebe tendenziell eine Abstoßung des Fremden, das nicht zur Heimat gehört, bedeutet, ist sich Rousseau bewusst, er weist darauf hin, dass die Wörter für „ausländisch“ und „feindlich“ bei älteren Völkern lange Zeit synonym waren.31 Das Primat der Heimatliebe ist also nicht zwingend, es hängt alles vom Feld, in dem argumentiert wird (Politik, Ökonomie, Erziehung, Humanwissenschaften …), und von der Betrachtungsweise ab, wie bei der Gegenüberstellung von Sokrates und Cato (oder Jesus und Cato).

Das Fragment [Du bonheur public] vom Frühjahr 1762,32 das Rousseau zur Beantwortung eines Fragebogens der Ökonomischen Gesellschaft Bern entwarf, situiert sich zwischen Contrat social und Emile und verdeutlicht diesen Konflikt. Es handelt sich, wie es mir scheint, um einen hypothetischen Text, der die Unmöglichkeit demonstriert, der Vorstellung des Glücks des Ganzen eine inhaltliche Füllung zu geben. Rousseau versucht sich vorzustellen, was ein glückliches Volk sein könnte und nach welchen Prinzipien es als solches erkannt werden könnte. Erster Widerspruch: Das Glück des Ganzen muss etwas anderes sein als das Glück der Einzelnen, es resultiert aus der Beziehung der Teile, aber ohne das Glück der Einzelnen (z.B. ohne einen gewissen Wohlstand) kann es letztlich auch kein Glück des Ganzen geben. Zweiter Widerspruch: Nach verschiedenen Ansätzen trifft Rousseau eine Unterscheidung zwischen einer glücklichen (heureuse) und einer prosperierenden (florissante) Nation: Jene sei die glücklichste, welche am leichtesten auf alle anderen verzichten könne, und jene die prosperierendste, auf welche alle anderen am wenigsten verzichten könnten.33 Der Begriff des öffentlichen Glücks wird nicht etwa aus sich selbst gewonnen (wie es das Ideal des Contrat social erwarten ließe), sondern aus dem Vergleich des eigenen Staats mit anderen, fremden Staaten: Ein Unglück ist es, von fremden Staatswesen abhängig zu sein, profitabel jedoch, wenn eben diese fremden Staatswesen vom eigenen abhängig werden.34 Damit hebt aber der für die eigene Konstitution notwendige Vergleich mit dem Fremden den Contrat social selbst aus den Angeln, indem dieser Vergleich, der das Profitieren auf Kosten der anderen impliziert, die Unabhängigkeit im eigenen Land untergräbt, „denn wenn das Geld die Reichen glücklich macht, so ist das weniger wegen dem unmittelbaren Besitz, den es ihnen verschafft, als weil es ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Bedürfnisse und ihren Willen in allem zu erfüllen, ohne je von jemandem abhängig zu sein, um dann den anderen (im Staat) zu befehlen und sie in Abhängigkeit zu halten. Und genau das sind die Ideen, aus denen ich jene Vorstellung einer glücklichen und prosperierenden Nation entwickelt habe!“35 Die Paradoxie ist offensichtlich. Wie zu Beginn des Emile ist sich Rousseau des tiefen Widerspruchs bewusst, er exponiert ihn geradezu, er beruht nicht auf einem Mangel des Denkens, sondern liegt in der Konstitution der Sache.


Rousseau und die Schweiz: Heimat und Exil, sein Brief über die Schweiz

Autor war Rousseau nach seinem eigenen Verständnis lediglich in der Zeit von 1749 bis 1762, als er für das „Gemeinwohl“, das heißt für die Menschen von den Menschen schrieb und als, abgesehen von den späteren autobiographischen Texten, jene entscheidenden Werke entstanden, die ihn weltberühmt machten. Doch für die Menschen von den Menschen schrieb Rousseau nicht von außerhalb, nicht als Entwurzelter, sondern als citoyen de Genève, als Bürger von Genf.36 Er verwendete diesen „Ehrentitel“37 erstmals im zweiten Discours von 1755 und letztmals für den Contrat social 1762. Den Anspruch, citoyen de Genève zu sein, hatte er 1728 verwirkt durch seinen spontanen Abgang aus Genf und die nachfolgende Konversion zum Katholizismus in Turin. 26 Jahre später konvertierte er zurück zum Protestantismus (Voraussetzung für das Bürgerrecht in Genf) und wurde wieder als citoyen anerkannt. Doch verbrachte er, abgesehen von seinen ersten knapp 16 Lebensjahren und kurzfristigen Besuchen, nur die Sommermonate 1754 in Genf.

Allerdings beruhte die Berufung auf Genf gleich auf zwei Illusionen: Rousseau idealisierte, wohl auf Grund seiner langen Abwesenheit, die politischen Verhältnisse in seiner Vaterstadt (wo die bestehende demokratische Ordnung de facto von einer Art Oligarchie ausgehebelt worden war38), und diese reagierte ganz anders auf seine Schriften, als es seine emphatische Widmung hätte erwarten lassen, nämlich mit großer Skepsis. Dass dann im Juni 1762 das Verdammungsurteil in Paris gegen Emile (wegen des Glaubensbekenntnisses des „Vicaire Savoyard“ für eine natürliche Religion) in Genf innerhalb von 10 Tagen nachvollzogen und der Contrat social gleich mitverdammt und mitverbrannt wurde, war nicht nur ein Zugeständnis an die Schutzmacht Frankreich, sondern Ausdruck eines eigenen Malaise. Die Ironie der Genfer (und Schweizer) politischen Verhältnisse liegt, nicht nur im 18. Jahrhundert, darin, dass jener Autor, der die demokratische Ordnung seiner Vaterstadt als Folie für das zukunftsträchtige Modell des Sozialvertrags und die Konföderation der Dreizehn (XIII) Orte als Muster für die Zusammenarbeit von Staaten verwendete, von diesen Körperschaften ausgeschlossen wurde. Man muss die Landesverweisung wohl verstehen als Akt politischer Pragmatik und als Ablehnung jener Theorien, welche die bestehenden demokratischen Ansprüche allzu konsequent herauszustellen wagten. Für Rousseau bedeutete sie auch den Verlust der Autorschaft: als politischer Autor, der für die Menschen schrieb und publizierte, konnte er nur tätig sein als Bürger von Genf, mit der Schweizer Nationalität als Basis.39

Doch wie steht es mit dieser Schweizer Nationalität im 18. Jahrhundert? Es gibt die Dreizehn Orte, mit assoziierten Orten (wie Genf, mit Bern und Zürich verbunden) und Untertanengebieten (wie Waadt und die italienische Schweiz), doch die „Nation suisse“ ist kein Staat. Rousseau bekennt sich zur Schweizer Nationalität zum Beispiel 1742 bei der Einreichung seines Projekts für neue Musikzeichen (Zahlen statt Noten) bei der Académie des Sciences in Paris: „Mr. Rousseau (Suisse de Nation) vient lire à l’Académie un Projet concernant de nouveaux signes pour la Musique […].“40 Und er hebt zur gleichen Zeit (als seine sprachlichen Helvetismen beanstandet worden waren) hervor, er sei als Ausländer (étranger) in Frankreich, seine Heimat (patrie) sei die Schweiz.41 Am besten erkennt man das, was die Schweiz für Rousseau bedeutet, im Roman La nouvelle Héloïse, bei der Rückkehr von St-Preux nach sechsjähriger Weltreise:42 Je mehr er sich der Schweiz nähert, desto bewegter ist er. Der Blick von den Jurahöhen aus auf den Genfer See versetzt ihn in Begeisterung, gewiss auch wegen Julie, doch es ist „die Sicht auf meine Heimat“. Die frische Luft der Alpen, der reiche und fruchtbare Boden, die einzigartige Landschaft, der „Anblick eines glücklichen, freien Volkes“ – alles begeistert ihn. Aus der Welt und von Frankreich kehrt St-Preux in die Schweiz zurück, die Nation Schweiz wird definiert durch die geographische Lage, mit Mittelland und Seen zwischen Jura und Alpen, durch eine gesunde Ökonomie, basierend auf der Landwirtschaft, vor allem aber durch die den Dreizehn Orten und ihren Verbündeten gemeinsame demokratische Ordnung. Dass diese Darstellung der Verhältnisse idealisiert ist, versteht sich aus dem Zusammenhang, St-Preux’ frühere Darstellung des Wallis43 ist kritischer. Doch im emphatischen Ton von St-Preux’ Brief zeigt sich ein übergreifendes Motiv der Schweizer Literatur (und ein Wesenszug der Schweizer): Auszug in die Fremde und emphatische Rückkehr in die Heimat. Zusammengefasst wird die ‚Nation’ also geographisch (besondere Lage), ökonomisch und vor allem politisch (als heterogenes Gebilde von demokratisch konstituierten Einzelstaaten) aufgefasst, nicht aber im Sinne einer homogenen ethnischen Einheit (Kultur, Sprache, Religion).

Sowohl der Kleinstaat Genf wie die Nation Schweiz können somit ‚Heimat’ sein. Die Heimat wird nicht inhaltlich, durch Grenzen oder durch die Art der Menschen, die sie bewohnen, definiert, sondern durch die formalen Relationen ihrer Glieder zum Ganzen: „Es sind weder die Grenzen (murs) noch die Menschen, welche die Heimat ausmachen, es sind die Gesetze, die Sitten, die Gewohnheiten, die Regierung, die Verfassung, die Existenzweise (manière d’être), die daraus resultiert. Die Heimat ist in den Beziehungen des Staates zu seinen Gliedern; […].“44 Im Fragment [de la patrie]45 wird dieser Gedanke näher ausgeführt. Rousseau geht davon aus, dass die Erde zwar die Erde zwar die „Mutter und Amme“ und damit die Heimat aller Menschen sei, dass es aber kein bestimmtes Gefühl für sie gebe; wenn wir auf einem anderen Planeten angenehmer leben könnten, würden wir es gewiss tun. Zur eigentlichen Heimat (pays natal) unterhielten die Menschen jedoch sehr verschiedene Beziehungen, für die einen sei die Heimat jedes Land, in denen es ihnen gut gehe, während es den anderen nur in der eigentlichen Heimat gut gehen könne. Erklären könne man diesen Gegensatz nicht. ‚Heimat’ bedeute nicht für alle dasselbe, der Begriff könne nicht vom Ort, einer Gemeinsamkeit seiner Bewohner usw. abgeleitet werden, sondern von „dem Preis“, den das Gemeinwesen ihrer Existenz gebe, in erster Linie durch die demokratische Ordnung.46 Die Stadt Genf erfüllt diese Bedingung durch ihre demokratische Verfassung und die Nation Schweiz des 18. Jahrhunderts durch ihre Zusammensetzung aus 13 demokratisch verfassten Einzelstaaten und assoziierten Gebieten. Im Schweizer Bundesstaat von 1848 ist Rousseaus Konzept als Konföderation realisiert, in der Ersten französischen Republik hingegen nicht (Zentralismus, keine direkte Demokratie). Sein Vorstellungen von Patriotismus und sein Nationalismus sind politisch begründet, und beruhen primär nicht auf der Vorstellung einer gemeinsamen Herkunft, einer gemeinsamen Sprache, einer gemeinsamen Religion, sie sind also gerade nicht patriotisch bzw. nationalistisch in unserem Sinne.

1762, kurz nach der Verdammung des Emile in Paris und dem Haftbefehl gegen Rousseau, verdammte und verbrannte die ‚République de Genève‘ neben dem Emile auch den Contrat social. 1763 verzichtete Rousseau, als Konsequenz der Verdammung seiner Schriften in Genf, von Môtiers (Val-de-Travers) aus öffentlich und für immer auf sein Genfer Bürgerrecht. Seine Einschätzung der politischen Verhältnisse in Genf brachte er, als Reaktion auf die Lettres écrites de la campagne des Staatsanwalts Jean-Robert Tronchin, in den Lettres écrites de la montagne von 1764 zum Ausdruck. Das gab der Kampagne gegen ihn in Genf, Neuenburg, Bern und anderswo noch mehr Nahrung. 1765, nach dreijährigem Asyl im Val-de-Travers (ermöglicht durch die preußische Oberherrschaft), stieß ihn die ‚Principauté de Neuchâtel‘ aus, schließlich, nach Rousseaus Flucht auf die Petersinsel, auch die ‚Stadt und Republik Bern‘.47 Fortan lebte Rousseau in einem äußeren und inneren Asyl, die Rückkehr nach Frankreich 1767 und nach Paris 1770 war nur anonym bzw. unter Einhaltung eines strikten Publikationsverbots möglich.

Rousseaus großer Brief über die Schweiz vom 20.1.176348 an den Maréchal-Duc de Luxembourg, der ihn um eine Beschreibung seines neuen Lebensbereichs gebeten hatte, beginnt mit der Darstellung seiner großen Enttäuschung über seine Heimat (patrie), die er so sehr geliebt habe, die Schweiz sei jetzt karg und kalt für ihn, alles sei jetzt anders, weil sich alles für ihn geändert habe. Auf die politischen Verhältnisse geht Rousseau dann nicht ein, er vermittelt dem Maréchal-Duc jedoch ein ethnographisch-ökonomisches Porträt nicht nur der unmittelbaren Umgebung: Um Môtiers (wo sich Rousseau aufhielt) zu kennen, müsse man die Grafschaft Neuenburg verstehen, und um Neuenburg zu kennen, müsse man eine Vorstellung von „der ganzen Schweiz“ haben. Diese ganze Schweiz, die Nation, stellt sich Rousseau als „eine Stadt“ vor: Die Städte und Dörfer seien kleiner als in Frankreich, dafür seien die Häuser auf asymmetrische Weise überall verteilt, das Gemisch wirke bizarr, lebendig und strahle Freiheit und Wohlstand aus: „Die ganze Schweiz ist wie eine große Stadt, aufgeteilt in dreizehn Quartiere [die XIII Orte], die einen in den Tälern, die anderen auf den Hügelzügen, die dritten in den Alpen. Genf, St. Gallen, Neuenburg sind wie die Vorstädte, es gibt mehr oder weniger bevölkerte Quartiere, aber alle immer so, dass man sich immer in der Stadt fühlt.“49 Doch dieser glücklichen Disposition der Schweiz stellt sich eine Entfremdung (aliénation) entgegen, die Rousseau vor allem auf das Söldnerwesen und den Handel zurückführt, durch welche die vormals autarken Gebiete in einen Austausch mit anderen Ländern getreten seien. Dieser Austausch ergibt sich primär durch die Schweizer selbst, welche es, wie vorher beschrieben, aus wirtschaftlichen Gründen und Abenteuerlust in die Fremde drängt und welche, oft von einem übermächtigen Heimweh (hemvé) getrieben, früher oder später wieder zurückkehren. Das Migrationsproblem ist somit im 18. Jahrhundert in der Schweiz die (temporäre) Emigration der Schweizer ins Ausland, von einer bemerkenswerten Immigration spricht Rousseau hingegen nicht; allerdings hatten am Ende des 17. Jahrhunderts 60’000 Hugenotten Aufnahme in den protestantischen Gebieten der Schweiz gefunden, und die Erinnerung daran war, gerade in Genf, lebendig.

Rousseaus Denken der Entfremdung ist auch hier präsent: Der frühere Zustand der Autarkie ist der vergleichsweise natürlichere (aber keineswegs der Naturzustand, der eine Fiktion bleibt), die Entfremdung ist auf gewisse Weise unvermeidlich und unumkehrbar, weil sie aus dem Guten50 oder dem zumindest Ambivalenten entsteht: das Gute (die Autarkie mit direktem Konsum der produzierten Güter, die lockere Siedlungsweise ohne große Ballungen oder zu große Distanzen, keine Notwendigkeit für ‚Fortschritt’) wird als Beschränkung empfunden, durch Söldnerwesen und Handel entstehen neue Bedürfnisse und mit ihnen neue Abhängigkeiten, die nach weiteren Veränderungen rufen. Diese Entwicklung ist unvermeidlich, man kann sie, mit den politischen Mitteln der Demokratie, höchstens retardieren. In kultureller Hinsicht führt die Entfremdung aus Rousseaus Sicht zu einer komischen, grob-feinen Mischkultur der Schweizer (indem sie etwa mit eleganten Kleidern unbeholfen sprächen oder die Felder mit Jauche begössen, um dann in deren Gestank fein essen zu wollen). Eine solche Mischung zeichne auch den Charakter der Schweizer aus, ihre besondere Stärke sei der Handel, gleichzeitig aber auch das Heimweh (für das Rousseau kein französisches Wort hat), erstaunlich für ein raues Land, dessen Bewohner so gerne weggingen.

Ohne jetzt auf weitere Einzelheiten einzugehen, ist klar, dass Rousseau 1763 die Schweiz als seine (bereits halbwegs verlorene) Heimat sieht und die Gegensätzlichkeit und Widersprüchlichkeit der Zuordnungen an die Stelle der früheren Begeisterung getreten ist, nicht ohne den Reiz einer bizarren Gegensätzlichkeit, die für ihn wesentlich zur Nation Schweiz gehört.51 Diesen Brief über die Schweiz schreibt Rousseau mit einer anderen, realistischeren Außenperspektive als die Widmung des zweiten Discours an die Vaterstadt Genf neun Jahre früher. Er selbst entschied sich im Val de Travers schon kurz nach seiner Flucht aus Paris definitiv für die armenische Tracht und gab sich damit als Fremder in der Schweiz zu erkennen, seine demonstrative xéniteia52 ist die Basis seines Selbstverständnisses in seinen Schriften nach 1765.

Rousseaus Verstoßung aus Genf und aus der Schweiz ist nicht nur bedeutsam für die Einschätzung der Schweiz im 18. Jahrhundert und Rousseaus Bild von Genf und von der Schweiz, sondern auch für Rousseaus Nachleben. Anders als vor 1750 war Rousseau 1762 eine für damalige Verhältnisse weltberühmte Person, auf der einen Seite zwar heftig und ad personam bekämpft, aber auf der anderen fast wie ein Heiliger verehrt (auf seiner Flucht etwa in Biel und Straßburg). Sein Schicksal, seine Person rückten in den Vordergrund (natürlich auch durch die autobiographischen Schriften), während die Werke ungenau gelesen oder auf die vagen Versprechungen reduziert wurden, die man darin zu erkennen glaubte.53 Doch Rousseaus Denken führt nicht zu eindeutigen politischen Lösungen, sondern zeigt vor allem, wie komplex und anspruchsvoll bereits das Nachdenken ist, das zu Lösungen führen könnte. Die Französische Revolution, die sich auf Rousseau berief, ignorierte entscheidende Unterschiede zum Contrat social.

Und die Schweiz, auf die das politische Denken Rousseaus zugeschnitten ist? Man muss es in aller Deutlichkeit festhalten: Der einzige Schweizer Autor, der unter Berücksichtigung aller Zuordnungskriterien zur Weltliteratur gehört, ist von seiner Heimat exiliert worden – und diese Ausstoßung ist auch heute noch spürbar im zurückhaltenden Umgang mit seiner Person und seinem Werk.54


Selbstentfremdung: Die Fatalität des Schreibens

In den nach 1772 geschriebenen Dialogen Rousseau juge de Jean-Jacques wird Rousseaus Zeit als Autor auf die Zeit von 1749 bis 1762 beschränkt. Während dieser Zeit „publizierte er Bücher“, für die Menschen über die Menschen, ohne das Publizieren mit einem materiellen Interesse zu verbinden.55 Diese Autorphase habe das Leben des Menschen Jean-Jacques entzweit, den Tod des früheren, in sich geborgenen Menschen und die Geburt des späteren, entfremdeten Menschen nach sich gezogen.56 Aus dieser Sicht hat der Entscheid, „zur Feder zu greifen“, eine unabweisbare Fatalität. Dieser Entscheid folgt der Erleuchtung auf dem Weg nach Vincennes zu Diderot im Herbst 1749 und Diderots Aufforderung, diese Erleuchtung (dass der Fortschritt der Wissenschaften und Künste die Menschen nicht besser machen) zu bringen. „Von diesem Moment an war ich verloren, der ganze Rest meines Lebens und meines Unglücks war die unausweichliche Folge“ jenes Entscheids.57

Rousseaus Leben gliedert sich in der Rückschau in drei Phasen: seine Jugend in Genf bis 1728 und seine unsteten (aber in der Rückschau als glücklich gewerteten) Wanderjahre bis 1749, die Zeit als auteur und citoyen bis 1762, schließlich die unglückliche und vom Verfolgungswahn überschattete Fluchtzeit des Fremden bis zu seinem Tod 1778. Offensichtlich sind diese Lebensphasen von verschiedenen Formen des Schreibens geprägt: Bei den Werken der ersten Phase handelt es sich um Gelegenheitsarbeiten auf ganz verschiedenen Gebieten, ohne bestimmten Plan. Die berühmten Werke der zweiten Phase, nach der Erleuchtung vom Herbst 1749, basieren auf einer Geschichtsphilosophie, die zuerst radikal kritisch, dann aber auch „therapeutisch“ zu verstehen ist und sich in ganz verschiedenen Wissensgebieten und Gattungen zu einem System entwickelt. Dagegen konzentrieren sich die Werke der dritten Phase, die zumeist erst posthum erschienen, zuerst auf die Verteidigung der eigenen Schriften und, nach deren Scheitern, auf die selbstreflexive Untersuchung der Person des Autors, in den drei großen autobiographischen Werken.

Gegen Ende seines Lebens, am Anfang seines letzten Werks, der Rêveries du promeneur solitaire (1776-1778), sieht sich Rousseau als radikal Exilierten: allein auf der Welt, ohne Bruder, ohne Nächsten, ohne Freund, in der ausschließlichen Gemeinschaft mit sich selbst; der Geselligste unter den Menschen, der sie am meisten geliebt habe, sei durch einstimmigen Beschluss von ihnen ausgeschlossen worden.58 Das totale Exil, als faktischer Ausschluss von allen Menschen, erscheint als Konsequenz („donc“), als Ende eines Weges, an dessen Anfang die Liebe zu den Menschen stand. Aber auch hier ermöglicht die vollzogene totale Entfremdung auf dialektische Weise das befreite poetische Schreiben der Rêveries. In deren Mitte, in der Cinquième Promenade, findet sich Rousseaus berühmte Meditation über das Glück. Dieses Glück findet Rousseau auf der Petersinsel im Bielersee, wohin er nach der Vertreibung aus Môtiers „floh“ und wo er im Herbst 1765 für einige Wochen sein letztes „Asyl“ in der Schweiz fand, das er sich gerne als permanentes Gefängnis gewünscht hätte59 – bevor er auch dieses letzte Asyl in seiner Heimat für immer verlassen musste.


Die Modernität Rousseaus

Rousseaus Kultur- und Zivilisationskritik nach 1749 (Wissenschaften und Künste, Ungleichheit unter den Menschen, Fortschritt, Medien) beschreibt und analysiert das, was wir heute Globalisierung nennen. Indem immer mehr Menschen zu immer mehr anderen Menschen real und virtuell in Verbindung treten, entsteht eine ständig wachsende Abhängigkeit aller von allen, und die dadurch ebenso wachsenden ökonomischen und politischen Prozesse entziehen sich allein durch ihre quantitative Größe zunehmend jeder Kontrolle, was zu Katastrophen (Wirtschaftseinbrüche, Hungersnöte, Kriege, Flüchtlingsströme) führt und die Ungleichheit zwischen Ländern und Menschen weiter vergrößert. Dieser Prozess ist unumkehrbar (weder die Restauration, die man Rousseau mit dem retour à la nature fälschlicherweise unterstellt hat, noch die Revolution, von der Rousseau mehr befürchtete als erwartete, können im Grunde etwas daran ändern). Rousseau erkennt und versteht ihn auf breiter Basis, und der einzelne Mensch ist als Individuum, Familienmensch, Staatsbürger und Mitmensch auf ganz verschiedene Weise vom Entfremdungsprozess betroffen. Doch Rousseau geht weiter als das: Jeder Mensch kommt als natürliches Wesen zur Welt und hat die Möglichkeit, sich auf den verschiedenen Ebenen der Gesellschaft gegenüber der Entfremdung relativ zu behaupten, seine „Lauterkeit zurückzugewinnen“.60 Rousseau prüft diese Möglichkeiten der Selbstbehauptung in der Globalisierung, im Entfremdungsprozess, mit seinen großen Werken von 1757-1762, die er, unter strengen Bedingungen, zum Nutzen der Menschen schreibt. Das Spektrum von Entfremdung und relativer Selbstbehauptung ist notwendig interdisziplinär angelegt, von der ökomischen Abhandlung über den Liebesroman bis zum Glaubensbekenntnis, die verschiedenen Bereiche sind wechselseitig aufeinander angewiesen.

Das Politische versteht Rousseau, gegenläufig zur Globalisierung, als formale Ordnung der Gesellschaft aus räumlicher Konzentration und Zuordnung. Mit der Gegenüberstellung von Mensch und Bürger, personifiziert im Gegensatz von Sokrates und Cato, verdeutlicht er, dass „Welt“ und „Menschheit“ notwendige Perspektiven von Wissenschaft, Philosophie, Ökonomie sind, aber keine Basis für eine politische Ordnung abgeben können. Diese entsteht von unten (Individuum) nach oben in immer größeren Zusammensetzungen, die sich alle dadurch auszeichnen, dass das Verhältnis von den Teilen zum Ganzen, zum Beispiel von Gemeinden und Kanton, demokratisch geregelt ist, das heißt mit strenger Gewaltentrennung und auf dem Einverständnis aller Bürger nicht in Bezug auf Sachfragen, aber in Bezug auf dieses formale Verhältnis (Verfassung und Gesetze) selbst beruht.61 Dieses formale Verhältnis ist es denn auch, was das verbindende Element der Schweiz des 18. Jahrhunderts (aber auch der späteren Zeit bis heute) auf drei Ebenen ausmacht; es sind gerade keine inhaltlichen Einheits-Voraussetzungen (Religion,62 Rasse, Sprache, Temperament usw.). Dieser demokratische Staat leitet sich nicht aus einer Utopie ab, sondern beruht auf einer realistischen Einschätzung dessen, was in Berücksichtigung aller divergenter Interessen jetzt möglich ist und den Bürgern eine zivile Ordnung garantiert.

Allerdings sieht Rousseau eine emotionale Bindung an die kleinere oder größere Region (in seinem Fall Genf und die Schweiz) als notwendig an. Diese nimmt, ebenso wie die Kraft des Mitleids mit dem anderen, bei wachsender Distanz (z.B. Europa, Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer oder vor Australien) ab. Daraus könnte man in Bezug auf heute mit Rousseau schließen, dass die Schweiz seit 1848 dem von Rousseau vorgezeichneten formalen Weg gefolgt ist und diesen mit Verfassungsinitiative und –referendum sowie dem Gesetzesreferendum ganz in seinem Sinn ausgestaltet hat. Die Europäische Union wäre für Rousseau hingegen keine wirkliche Union, da sie keine eigene Verfassung mit konsequenter Gewaltentrennung hat und da der Zusammenschluss nicht mit dem Einverständnis zumindest von Volksmehrheiten in jedem einzelnen Land entstanden ist; doch könnte man, in Analogie zur Entwicklung der Schweiz seit 1760, schließen, dass die konsequente Regelung des formalen Verhältnisses der Teile (demokratische Nationen) und des Ganzen die emotionale Bindung an Europa stiften könnte, die jetzt nicht genügend stark ist. Sicher orientiert sich Rousseaus Verständnis des Politischen am europäischen Raum und lässt sich, auch für ihn selbst, nicht ohne Weiteres auf andere Regionen der Welt (in denen zum Beispiel die Religion eine zentrale Rolle spielt) übertragen.

Staaten verhalten sich gegenüber anderen Staaten zum Teil wie in der zivilen Ordnung (mit Verträgen), zum Teil aber auch wie die Menschen vor dem Sozialpakt (indem sie Verträge brechen, Kriege führen, Menschen vertreiben usw.). Diese Mischung erscheint Rousseau besonders fatal, vor allem für die schwächeren Länder und Menschen, doch gibt es zu den föderativen Staatsverbindungen nur Andeutungen im Rahmen der Institutions politiques, aber das Politische lässt sich in dem von ihm entwickelten Sinn zweifellos weiterdenken. Dass die „allgemeine Menschengesellschaft“ kein politisches Ziel sein kann und der Appell an ein Weltsubjekt („Die Welt schaut zu“, „wir Menschen sollten“) in politischer Sicht völlig hilflos ist, hat sich nur bestätigt.

Rousseaus Modernität zeigt sich aber auch in seinem eigenen Autor-Schicksal: einer Entfremdung, die er, zum Wohle der Menschen gemeint, vertiefend beschreibt und regulierende Lösungen aufzuzeigen versucht – und sich eben durch das Schreiben von diesen Menschen und auch von sich selbst entfremdet (sich selbst fremd wird), die Fremde erleidet und letztlich als Schicksal annimmt.

LITERATURVERZEICHNIS

Primärliteratur
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Sekundärliteratur
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  1. OC, Bd. V, S. 394. Ich zitiere Rousseaus Werke jeweils mit Band- und Seitenangabe nach der Pléïade-Ausgabe: Oeuvres complètes [OC], hrsg. von Bernard Gagnebin, Marcel Raymond et al., Bd. I-V, Paris 1959-1995; die Briefe nach der Ausgabe von Ralph Alexander Leigh: Correspondance complète [CC], Bd. I-L, Genève 1965-1987. – Die Orthographie der französischen Zitate habe ich dem modernen Gebrauch angepasst, für die Übersetzungen bin ich selbst verantwortlich.
  2. OC, Bd. IV, S. 248 f.
  3. Der Essai sur l’origine des langues ist ein erst posthum (1781) veröffentlichtes Werk Rousseaus, die Datierung und der Zusammenhang mit dem zweiten Discours (1755) sind umstritten. Nach dem ausführlichen Kommentar von Jean Starobinski (OC, Bd. V, S. CXCVII-CCIV) wurde es zwischen 1755 und 1763 geschrieben.
  4. Lévi-Strauss, Claude:Jean-Jacques Rousseau, fondateur des sciences de l’homme (1962), in: Anthropologie structurale deux, Paris 1973, S. 45-56, hier S. 46 f. Lévi-Strauss geht bei Rousseau somit aus von einem induktiven Verfahren Rousseaus aus, von einer praktischen anthropologischen Erfahrung, auf welche die theoretische Bestimmung und Differenzierung dieser Erfahrung in den ganz verschiedenen Gebieten der ‚Humanwissenschaften’ folgt.
  5. Ebd., S. 51.
  6. Vgl. dazu im Besonderen seine Ausführungen zu den Schriften des Abbé de Saint-Pierre zum ewigen Frieden (Ecrits sur l’Abbé de Saint-Pierre, in: OC, Bd. III, S. 561-682). – Zur Entstehungsgeschichte der Institutions politiques und des Contrat social die Einleitung von Robert Derathé, in: OC, Bd. III, S. XCIX-CIII.
  7. OC, Bd. IV, S. 250.
  8. Ebd., S. 867.
  9. Reinert, Erik S.: Why Rich Countries Got Rich and Why Poor Countries Stay Poor (London 2007).
  10. „Le premier qui ayant enclos un terrain, s’avisa de dire, c’est à moi, fut le vrai fondateur de la société civile. Que de crimes, de guerres, de meurtres, que de misères et d’horreur […].“ (Beginn des zweiten Teils des zweiten Discours, OC, Bd. III, S. 164).
  11. Aus der politischen Perspektive wäre ein Menschenrecht nur im Rahmen der allgemeinen Menschheitsgesellschaft, mit eigener Verfassung, definierten Instanzen und Gesetzgebung Realität, andernfalls ist es nur ein politisch nicht verankerter Anspruch.
  12. Ricoeur, Paul: Art. ‚Aliénation’, in: Encyclopaedia universalis, Bd. 1 (Paris 1968), S. 660-664, hier S. 661. Ricoeur würdigt die Wende, die der Begriff bei Rousseau erfährt, ausführlich und stellt den Zusammenhang zum deutschen Idealismus, speziell zu Hegel und Marx, her.
  13. Im Gegensatz zu Hobbes, wo das einzelne Mitglied einer staatlichen Gemeinschaft seine persönlichen Rechte an eine Einzelperson oder an eine bestimmte Instanz abtritt.
  14. OC, Bd. III, S. 360 f.
  15. Wie soll der Gemeinwille politisch definiert werden? Er entspricht nicht dem einstimmig oder gar nur mehrheitlich bekundeten Willen der Bürger (volonté de tous), Rousseau denkt ihn als eine Art Schnittmenge der öffentlichen Auseinandersetzung. Die Schweizer Bundesverfassung entledigt sich dieses Problems durch die Anrufung des göttlichen Willens in der Präambel. – Vgl. dazu Paul de Man: Promises (Social Contract), in: Allegories of Reading, New Haven 1979, S. 246-277.
  16. OC, Bd. III, S. 351: „L’homme est né libre, et partout il est dans les fers. Tel se croit le maître des autres, qui ne laisse pas d’être plus esclave qu’eux. Comment ce changement s’est-il fait? Je l’ignore. Qu’est-ce qui peut le rendre légitime? Je crois pouvoir résoudre cette question.“
  17. Hans Barth zeigt überzeugend auf, dass Rousseau „die Sache“ (der ‚Selbstentfremdung’) erkannte, welcher Hegel und Marx dann „das Wort“ zuordneten: Über die Idee der Selbstentfremdung bei Rousseau, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 13: 1 (1959), S. 16-35, hier S. 35. (Rousseau selbst spricht im zweiten Discours von dénaturation, dépravation, défiguration usw., noch ohne das reflexive Moment.) – Vgl. dazu den Artikel ‚Entfremdung’ von Eberhard Dietz, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von J. Ritter et al., Bd. 2, Basel 1972, Sp. 509-525.
  18. Mit dem Verfolgungswahn auch als alienatio mentis.
  19. Vgl. dazu Jacques Derrida: De la grammatologie, Paris 1967, S. 245-272.
  20. Discours sur l’économie politique, OC, Bd. III, S. 254-255.
  21. Ebd.
  22. Contrat social, OC, Bd. III, S. 386.
  23. Considérations sur le gouvernement de Pologne et sur sa réformation projetée, OC, Bd. III, S. 1010.
  24. Discours sur l’économie politique, OC, Bd. III, S. 255.
  25. Dieses Kapitel wurde in der knapp gehaltenen Endfassung weggelassen. Zu berücksichtigen ist, dass der Contrat social nur ein Teil der geplanten Institutions politiques darstellt. In einer Fußnote (OC, Bd. III, S. 431) spricht Rousseau von seiner Absicht, in Fortführung des Contrat social auf die äußeren Beziehungen des Staates und die Schaffung von Konföderationen einzugehen. Vgl. dazu auch das letzte Kapitel (IV/9) des Contrat social (OC, Bd. III, S. 470) sowie die programmatischen Ankündigungen am Schluss des Emile (OC, Bd. IV, S. 848-853), in denen sich eine Weiterentwicklung des Contrat social abzeichnet, die Rousseau nicht ausführte.
  26. OC, Bd. III, S. 282
  27. Ebd., S. 282.
  28. Ebd., S. 284.
  29. Ebd., S. 288.
  30. Ebd., S. 287.
  31. Ebd., S. 288.
  32. OC, Bd. III, S. 509-515, zu Entstehung und Varianten S. 1526-1528. Vgl. dazu Paul de Man (wie Anm. 15), S. 250-258.
  33. OC, Bd. III, S. 512: „Je dis donc que la nation la plus heureuse est celle qui peut le plus aisément se passer de toutes les autres, et que la plus florissante est celle dont les autres peuvent le moins s’en passer.“
  34. Vgl. Paul de Man (wie Anm. 15), S. 254 f.
  35. OC, Bd. III, S. 513 f
  36. Im Genf des 18. Jahrhunderts gab es in Genf 6 Klassen von Einwohnern: (1) die citoyens: mit allen bürgerlichen Rechten und Berufsausübungen; (2) die bourgeois: mit eingeschränkten bürgerlichen Rechten, nämlich étrangers, habitants oder natifs, die unter gewissen finanziellen Bedingungen als solche aufgenommen und deren Kinder citoyens wurden; (3) die natifs: in Genf geboren, aber ohne politischen Rechte und mit eingeschränkter Berufsausübung; (4) die habitants: Fremde mit Aufenthaltsbewilligung, ihre Kinder wurden natifs; (5) die sujets: die Bewohner der ländlichen Gebiete außerhalb der Stadt; (6) die étrangers: Fremde, die sich nur kurzfristig in Genf aufhielten. Im Laufe des 18. Jahrhunderts nahm der Anteil der privilegierten citoyens und bourgeois laufend ab und betrug um 1781 nur noch ca. 25 %. Vgl. dazu die Einführung zu den Lettres écrites de la montagne, in: OC, Bd. III, S. CLX-CLXI, sowie Marcel Raymonds Aufsatz: Rousseau et Genève, in: Samuel Baud-Bovy et al., Jean-Jacques Rousseau, Neuchâtel 1962, S. 225-237.
  37. Vgl. das zweite Vorwort zu Julie ou la Nouvelle Héloïse, wo die Apposition nicht verwendet wurde, da sich Rousseau nur als Herausgeber der Briefe bezeichnete: OC, Bd. II, S. 27.
  38. „En réalité, le pouvoir est entre les mains de ce Petit Conseil, assisté du Conseil des 200, qui se renouvellent l’un l’autre par un système astucieux ‚d’emboîtement’ [Verfalzung].“ (Marcel Raymond, Rousseau et Genève, wie Anm. 36, S. 226).
  39. In einer Fußnote zur Nouvelle Héloïse (Brief VI/5 mit Claires Beschreibung von Genf; OC, Bd. II, S. 658) verwendet der Herausgeber (Rousseau) die Formulierung „nos Suisses et Genevois“, welche additiv oder inklusiv verstanden werden kann und damit sowohl den Status der Stadt Genf wie Rousseaus Selbstverständnis als „Schweizer und Genfer“ genau zum Ausdruck bringt.
  40. OC, Bd. I, S. 1378. Vgl. dazu François Jost: Rousseau et la Suisse, Neuchâtel 1962, S. 14-18.
  41. OC, Bd. V, S. 1395. – Auch in der Nouvelle Héloïse ist das Französische der Romands immer wieder ein Thema, vor allem in Rousseaus Anmerkungen, z.B. Fußnote zu Brief I/19, OC, Bd. II, S. 70: „Et avec tout cela, qu’aura-t-on gagné à faire parler un Suisse comme un Académicien?“
  42. OC, Bd. II, S. 419 (Brief IV, 6). St-Preux’ eigene Herkunft bleibt im Roman (der sonst sehr genaue Ortsangaben macht) unklar, man weiß nur, dass er ‚Schweizer’ ist, darin gleicht er Rousseau vor 1754.
  43. Ebd., S. 76-84 (Brief I, 23). Die Frage der Angehörigkeit zur Schweiz kommt dort auch zur Sprache, die Walliser bezeichnen sich dem „Schweizer“ (St-Preux) gegenüber als „Brüder“, er solle sich bei ihnen wie zu Hause fühlen (S. 81).
  44. Brief an Oberst Pictet, 1.3.1764, zitiert nach OC, Bd. III, S. 1535 (Anm. zu S. 536).
  45. OC, Bd. III, S. 534-537.
  46. „Ce qu’on aime dans son pays, ce qu’on appelle proprement la patrie […], ce n’est pas simplement le lieu, ce ne sont pas simplement les choses, l’objet de cet amour est plus près de nous. […] Si les citoyens tirent d’elle tout ce qui peut donner du prix à leur propre existence – de sages lois, des moeurs simples, le nécessaire, la paix, la liberté et l’estime des autres peuples […].“ (Ebd., S. 535 f.) .
  47. Bereits im Sommer 1762 war Rousseau zuerst von Paris nach Yverdon geflohen, das damals zum Berner Hoheitsgebiet gehörte, und lobte den Himmel, dass er auf freiheitlichem Boden sei – doch die Herren von Bern veranlassten sofort seine Entfernung.
  48. CC, Bd. XV, S. 48-69, der folgende Brief vom 28.1.1763 (CC, Bd. XV, S. 111-130) beschäftigt sich vor allem mit dem Val-de-Travers.
  49. Ebd., S. 49. Vgl. dazu die Darstellung der Aussicht auf die Schweiz vom Chasseron aus in der Septième Promenade der Rêveries (OC, Bd. I, S. 1071 f.).
  50. „Voilà le bien: voici le mal amené par ce bien même.“ (CC, Bd. XV, S. 50)
  51. Ein typisches Beispiel dafür ist ihm auf der Höhe des Chasseron (vgl. Anm. 49) das einzelne Haus, das einem Buchhändler gehöre, der dort offenbar gute Geschäfte mache. An diesem einen Beispiel könne man mehr von der Schweiz verstehen als aus vielen Reisebeschreibungen.
  52. Matossian, Chakè: „Et je ne porterai plus d’autre habit“. Rousseau l’Arménien, Genève 2014, S. 83.
  53. Darin sieht Ernst Cassirer das „Problem“, sein Werk müsse gewissermaßen der Biographie entrissen werden: Das Problem Jean-Jacques Rousseau (1932), Darmstadt 1970.
  54. Dazu nur ein Beispiel: In der Schweizer Literaturgeschichte (hrsg. von Peter Rusterholz, Andreas Solbach et al., Stuttgart 2007), widmet Doris Jakubec (Literatur der französischen Schweiz, S. 435-475) Rousseau selbst gerade einmal anderthalb Sätze (S. 440): „Jean-Jacques Rousseau ist es schließlich, der diesem Mythus der Schweiz seine europäische Dimension verleiht; in der Nouvelle Héloïse lässt er aufs Schönste die Gegend des Genfer Sees in die Weltliteratur einfließen. Neben Rousseau, auf den wir hier nicht weiter eingehen, […].“
  55. Das war die Bedingung: „Non non, j’ai toujours senti que l’état d’Auteur n’était, ne pouvait être illustre et respectable qu’autant qu’il n’était pas un métier. Il est trop difficile de penser noblement quand on ne pense que pour vivre. Pour pouvoir, pour oser dire de grandes vérités il ne faut pas dépendre de son succès. Je jetais mes livres dans le public avec la certitude d’avoir parlé pour le bien commun, sans aucun souci du reste.“ (Confessions, OC, Bd. I, S. 402 f.).
  56. „[…] sa vie est coupée en deux parties qui semblent appartenir à deux individus différents, dont l’époque qui les sépare, c’est-à-dire le temps où il a publié des livres marque la mort de l’un et la naissance de l’autre.“ (OC, Bd. I, S. 676)
  57. Deuxième Lettre à Malesherbes, 12.1.1762 (OC, Bd. I, S. 1136) und Brief an Le Riche de la Popelinière, 8.6.1762 (CC, Bd. XI, S. 44).
  58. Les Rêveries du promeneur solitaire, in: OC, Bd. I, S. 995: „Me voici donc seul sur la terre, n’ayant plus de frère, de prochain, de société que moi-même. Le plus sociable et le plus aimant des humains en a été proscrit par un accord unanime.“
  59. Ebd. (Cinquième promenade), S. 1041: „C’est dans cette île que je me réfugiai après la lapidation de Môtiers. […] j’aurais voulu qu’on m’eût fait de cet asile une prison perpétuelle [….].“
  60. „A qui vantez-vous la pureté qu’on n’a pas souillée? Eh! Parlez-nous de celle qu’on peut recouvrer; peut-être qu moins quelqu’un pourra vous entendre.“ (OC, Bd. II, S. 26).
  61. Die Residenz in einem bestimmten Gebiet impliziert die Anerkennung des ursprünglichen Paktes, und wer das nicht in Gänze anerkennt, muss als „Fremder“ gesehen werden. (Contrat social, in: OC, Bd. III, S. 440).
  62. Im Rahmen des Staates akzeptiert Rousseau nur die „zivile Religion“, welche die Trennung von Kirche und Staat und die Existenz verschiedener Kirchen anerkennt. (Ebd., S. 460-69).