Sammeln, Verwahren und Verstecken der Dinge in Kellers Novelle „Die drei gerechten Kammmacher“

Edita Jurčáková
Matej-Bel-Universität Banská Bystrica

Die Dinge sind ein untrennbarer Bestandteil der literarischen Texte. Sie können auf manche Art und Weise gestaltet werden, verschiedene Funktionen und Bedeutungen für die literarischen Protagonisten haben, die zu diesen oft enge Beziehungen herausbilden. In diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit den Dingen in der Novelle Die drei gerechten Kammmacher aus der Sammlung Die Leute von Seldwyla (1856) von Gottfried Keller, die eine erstaunliche Dingvielfalt enthält. Durch umfangreiche Schilderungen von Dingen werden im Text nicht nur die Herkunft der Dinge, sondern auch der Charakter und die Vergangenheit der Figur dargestellt. Wir fokussieren uns darauf, welche spezifischen Verfahren Keller bei der Darstellung von Dingen verwendet, wie sich die Hauptheldin emotional mit ihren Dingen auseinandersetzt und warum sie sich mit den Dingen umgibt, diese sammelt, verwahrt oder versteckt. Der Blick auf die kuriose Sammlung von Dingen in ihrer Wohnung ist zugleich ein Blick in das Innenleben der Hauptheldin und ihre Beziehung zu den Menschen.
Schlüsselwörter: Gottfried Keller, Die drei gerechten Kammmacher, Dinge, Sammeln, Verwahren, Verstecken

Collecting, keeping, and hiding ‘things’ in Keller’s novella “The three righteous comb makers”

‘Things’ are essential components of literary texts. Objects can be depicted in several ways and they can have different functions and meanings for literary protagonists – who may form close relationship with such items. This paper explores items/things in Gottfried Keller’s 1856 novella “The three righteous comb makers”, one of the texts from his “The People of Seldwyla” collection. Rich narration is used by the author to explore the personality and personal history of the protagonist and also to probe the origin of ‘things’ within the text. This paper spotlights techniques used by Keller to render ‘things’ in his work, focusing on how the main character deals emotionally with her possessions and discussing why she surrounds herself with things which she has collected, kept, or hidden. By directing attention to the curious collection of things in the protagonist’s house, the paper also affords insight into her inner workings and her relationship to other characters in the text.
Keywords: Gottfried Keller, The three righteous comb makers, things, collecting, keeping, hiding

Dinge, Gegenstände und Objekte bilden einen untrennbaren Bestandteil des menschlichen Lebens. Der Mensch geht mit ihnen auf verschiedene Art und Weise um. Er erzeugt, benutzt, verkauft, tauscht, zeigt, erbt, schenkt, sammelt, verwahrt oder versteckt sie. Die Unterscheidung in „Ding“, „Gegenstand, und „Objekt“ ist im Deutschen nicht einheitlich, oft werden die Begriffe synonym verwendet oder die Bezeichnung „Ding“ steht als Oberbegriff für Gegenstände, Sachen, Artefakte oder Objekte. Obwohl Dinge leblose Objekte sind, steht der Mensch zu ihnen in bestimmten Beziehungen. Wie ist die Beziehung zwischen dem Menschen und einem Ding – einem leblosen Objekt? Georg Simmel charakterisierte die Beziehung zwischen den Menschen und den Dingen, mit welchen er umgeht, als ein Wechselverhältnis: „Indem der Mensch die Objekte kultiviert, schafft er sie sich zum Bilde.“1 Die Einheit des Objekts entsteht so, „dass wir die Art, wie wir unser ´Ich´ fühlen, in das Objekt hineintragen, es nach unserem Bilde formen, in welchem die Vielheit der Bestimmungen zu der Einheit des ´Ich` zusammenwächst.“2 Nach Simmel wirkt die Einheit des vom Menschen erschaffenden Objekts und ihr Mangel auf die Formung menschlicher Persönlichkeit.

Die Mensch-Ding-Beziehungen, also Subjekt-Objekt-Beziehungen wurden auch zum Forschungsbestandteil mehrerer Disziplinen – Psychologie, Philosophie, Soziologie sowie der Literaturwissenschaft. In den literarischen Texten wird das Ding zum poetischen Artefakt, mit dem bestimmte Gefühle assoziiert werden und das den sozialen Status seines Besitzers bestimmt und durch dessen literarische Darstellung ein Teil der Welt erfasst wird.3

Die Dinge, lebendig oder leblos, real oder auch phantastisch, haben in der Literatur eine spezifische Position. „Sie sind gewissermaßen ´Phantasiegebilde´, und zwar auch dann, wenn sie keineswegs ´phantastisch´ sind. Sie sind Produkte der literarischen Imagination und nicht etwa in dem Sinn ´real´, wie jene Dinge, die wir in den empirischen Kultur- und Sozialwissenschaften als ´materielle Kultur´ bezeichnen – sie haben gleichsam, um mit Heidegger zu sprechen, einen anderen ontischen Status.“4 Obwohl den Dingen in literarischen Texten die Materialität, die Dinglichkeit fehlt, sind sie im Text doch präsent und für die Leser als „real vorstellbare Objekte“ mit bestimmten Funktionen wahrnehmbar, wobei diese Funktionen und das Verhältnis zu den Dingen von der literarischen Gattung sowie der Epoche abhängen. Im 19. Jahrhundert nimmt die Anzahl der verfügbaren Dinge enorm zu. Böhme charakterisiert das 19. Jahrhundert als „Saeculum der Dinge“5, in dem die Dinge wesentlichen Veränderungen unterliegen. Diese Tatsache wurde durch quantitative als auch qualitative Faktoren beeinflusst: „zum einen durch die bis dahin ungekannte Vermehrung der Dinge im kulturellen Sektor, ihre neuartige industrielle Produktionsweise, ihre Warenform, ihre soziale Signifikanz und affektive Besetzung, zum anderen durch die Mutation der Dinge der Natur zu empirisch und ´objektiv´ beobachteten Gegenständen der Wissenschaft, denen keine Spur ihres Betrachtens mehr anhaften soll; und schließlich durch Musealisierungstendenzen, die sowohl Ursache wie Folge einer neuen Sicht auf die historische und ästhetische Dimension von Dingen sind.“6 Im 19. Jahrhundert kam es auch zur Ablösung der philosophischen Erkenntnistheorie durch die naturwissenschaftliche Erforschung der sinnlichen Wahrnehmung. Diese Tatsache beeinflusste zugleich die Darstellung von Dingen in den Texten, weil sie immer an den Kontext der jeweiligen Wissensgeschichte gebunden ist.7 Vor allem in der Literatur des Realismus rückten die Dinge in den Vordergrund des literarischen Interesses, was eine große Anzahl von Texten mit Dingbezug mitgebracht hat.

In den Werken des berühmten Schweizer Realisten Gottfried Keller spielen Dinge auf eine spezielle Weise eine bedeutende Rolle und häufig werden sie sogar zum Dingsymbol. Das Dingliche hat bei Gottfried Keller keine in sich ruhende Eigenbedeutung, sondern es ist eingegliedert in die Welt der Menschen. Gleichzeitig sind die Menschen in seinen Werken mit der Welt durch die Dinge verknüpft. Diese Vereinigung des Dinglichen und Menschlichen hat Benno von Wiese als spezielles Merkmal des Stils Kellers bezeichnet:

Der Mensch wird überall als soziales, mannigfach bedingtes Wesen gesehen, dessen harmonisches oder disharmonisches Verhältnis zur Gesellschaft an den dinglichen Zeichen sichtbar wird […] Die Dinge trennen und verbinden die Menschen, sie haben geradezu menschliche Physiognomie; sie charakterisieren die Personen, die mit ihnen umgehen. Gerade das Fluktuierende im Zwischenmenschlichen erfasst Keller vom Dinglichen aus, weil die von den Menschen gebrauchten oder auch missbrauchten Dinge den Wert oder Unwert des sozialen Verhaltens nur allzu anschaulich beleuchten.8

Eine der Novellen, in welcher die Dinge im größeren Umfang vorkommen, in bestimmten Beziehungen zu den Haupthelden stehen und diese zugleich charakterisieren, ist die satirische Novelle Die drei gerechten Kammmacher aus dem ersten Teil der Sammlung Die Leute von Seldwyla (1856). Diese märchengleich benannte Novelle gehörte zu den liebsten Seldwyler Novellen des Autors. Der Begriff „Gerechtigkeit“ wird aber nicht im herkömmlichen Sinne verstanden, wie aus den ersten Sätzen der Novelle folgt:

Es ist hier aber nicht die himmlische Gerechtigkeit gemeint oder die natürliche Gerechtigkeit des menschlichen Gewissens, sondern jene blutlose Gerechtigkeit, welche aus dem Vaterunser die Bitte gestrichen hat: Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldnern, weil sie keine Schulden macht und auch keine ausstehen hat; welche niemandem zuleid lebt, aber auch niemandem zu Gefallen, wohl arbeiten und erwerben, aber nichts ausgeben will und an der Arbeitstreue nur einen Nutzen, aber keine Freude findet.9

Das Wort „gerecht“ bedeutet im Text also nicht Lob, sondern Tadel. In der Novelle hat jeder der drei männlichen Protagonisten seinen eigenen Kamm. In den drei Buchstaben „m“ im Wort „Kammmacher“10 sind die Zähne des Kammes symbolhaft erkennbar und ihr Nebeneinander deutet die Verbundenheit der drei fleißigen, innerlich einander so ähnlichen Kammmacher an, die sich voneinander nur durch Namen, Herkunft und Alter unterscheiden. Alle streben nach Geld und Besitz. Dieses Streben führt zu einem Konkurrenzkampf und Wettbewerb, der schließlich in einem Ausscheidungsrennen keinen Gewinner hat und für alle in eine ausweglose Situation führt.

Die Novelle enthält eine Vielzahl von Dingen: die von den drei Kammmachern hergestellten Kämme, verschiedene Gegenstände in der Wohnung der weiblichen Heldin Züs Bünzlin, mit denen sie sich umgibt, oder die am Ende des Textes für eine groteske Prügelei gebrauchten Stöcke der Kammmacher. Die Schilderungen von gegenständlichen und sehr ausführlichen Einzelheiten erstrecken sich über mehrere Textpassagen und vermitteln einen Blick in den Charakter, das Innenleben und auch die Vergangenheit der Protagonisten und präsentieren ihre Beziehung zu den einzelnen Dingen.

Dinge haben für die Menschen mehrere Funktionen – ästhetische, symbolische, emotionale u. ä. Sie können Statussymbol, Ausdruck seines Geschmacks, seines ästhetischen Sinns sein oder seine Interessen oder sogar Sammelwut widerspiegeln. Wie ist es bei den Protagonisten dieser Novelle? Welche Rolle spielen Dinge für sie? Was symbolisieren diese Dinge für sie? Warum sammeln, verwahren und verstecken sie ihre Dinge? Welche Art von Dingen spielt in der Novelle eine Rolle?

Zwei Kammmacher verstecken ihre Dinge – ihr Vermögen, um sie vor anderen Gesellen zu verheimlichen und sich später ein Geschäft zu kaufen und Meister zu werden. Jobst hielt sein verdientes und gespartes Geld – „seinen heimlichen Schatz […] unter einer Fliese seines Kammerbodens vergraben“11. Als später der zweite Geselle Fridolin ankommt, durchsucht Jobst sein Versteck:

Er entdeckte aber nichts weiter als fast die gleichen Siebensächelchen, die er selbst besaß, bis auf die hölzerne Nadelbüchse, welche aber hier einen Fisch vorstellte, während Jobst scherzhafterweise ein kleines Wickelkindchen besaß, und statt einer zerrissenen französischen Sprachlehre für das Volk, welche Jobst bisweilen durchblätterte, war bei dem Bayer ein gut gebundenes Büchlein zu finden, betitelt »Die kalte und warme Küpe, ein unentbehrliches Handbuch für Blaufärber.«12

Auch Fridolin verwahrte unter einer Fliese seinen „Schatz in ein altes halbes Schnupftuch und mit Zwirn umwickelt“13, welcher „in einem zugebundenen Socken steckte.“14 Der dritte Geselle, der noch keine Ersparnisse hatte, entscheidet sich zu verlieben und um die Hand von Züs Bünzlin zu werben.

Die „Hauptsammlerin“ und „Ding-Verwahrerin“ in dieser Geschichte ist die Frauenfigur – Züs Bünzlin, die eine Wäscherei betreibt und diese zum blühenden Geschäft entwickelt. Sie lebt nur mit ihrer Mutter und führt ein isoliertes Leben. „Sie ist rechtsschaffen, sittlich und strebsam, nicht übermutig aufgrund des erlangten Erbes, sondern besitzstolz und misstrauisch auf ihre Unabhängigkeit bedacht.“15 Ihr Selbstbewusstsein ist auch mit Arbeitsfleiß verbunden. Sie ist in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Sparen und Vermehren von Geld und Kapital einen großen Wert hatte und ihre Geschäftsfertigkeit und auch Organisationsfähigkeit gewannen. Sie weiß, wie man Geld verdienen kann. Ihr ganzes Leben dreht sich um das Sparen und den Verzicht auf die Freuden des Lebens. „Die Lebensfeindlichkeit, die daraus hervorgeht, hüllt ihren ganzen Lebensraum in eine Atmosphäre musealer Steifheit: die tadellos aufgeräumte Wohnung, die reinlichen, aber alten Kleider, die durch penible Pflege konserviert bleiben.“16 Sie verwahrt ihre Kleider wie museale Antiquitäten und zieht nur einige davon an: „sie besaß eine große Menge Kleider, von denen sie nur wenige und stets die ältesten trug, aber immer war sie sorgsam und reinlich angezogen, und ebenso sauber und aufgeräumt sah es in der Stube aus.“17

Keller beschreibt das Interieur ihres mit verschiedenen kunstgewerblichen, manchmal noch vollgepackten Gegenständen, Erinnerungsstücken und Dingen ausgestatteten Hauses sehr detailliert. Eines der wertvollsten Dinge – die Vermögensurkunde (Gültbrief von siebenhundert Gulden), die Züs vom Vater erbte, verwahrt sie demonstrativ zusammen mit anderen Kostbarkeiten und Schätzen – weggeschlossen in einer kleinen lackierten Lade:

Sie hatte den Brief in einer kleinen lackierten Lade liegen, wo sie auch die Zinsen davon, ihren Taufzettel, ihren Konfirmationsschein und ein bemaltes und vergoldetes Osterei bewahrte; ferner ein halbes Dutzend silberne Teelöffel, ein Vaterunser mit Gold auf einen roten durchsichtigen Glasstoff gedruckt […], einen Kirschkern, in welchen das Leiden Christi geschnitten war, und eine Büchse aus durchbrochenem und mit rotem Taft unterlegten Elfenbein, in welcher ein Spiegelchen war und ein silberner Fingerhut; ferner war darin ein anderer Kirschkern, in welchem ein winziges Kegelspiel klapperte, eine Nuß, worin eine kleine Muttergottes hinter Glas lag […], ein silbernes Herz, worin ein Riechschwämmchen steckte, und eine Bonbonbüchse aus Zitronenschale, auf deren Deckel eine Erdbeere gemalt war und in welcher eine goldene Stecknadel auf Baumwolle lag, die ein Vergißmeinnicht vorstellte, und ein Medaillon mit einem Monument von Haaren; ferner ein Bündel vergilbter Papiere mit Rezepten und Geheimnissen, ein Fläschchen mit Hoffmannstropfen, ein anderes mit Kölnischem Wasser und eine Büchse mit Moschus; eine andere, worin ein Endchen Marderdreck lag, und ein Körbchen, aus wohlriechenden Halmen geflochten, sowie eines aus Glasperlen und Gewürznägelein zusammengesetzt; endlich ein kleines Buch, in himmelblaues geripptes Papier gebunden, mit silbernem Schnitt […], und ein Traumbüchlein, ein Briefsteller, fünf oder sechs Liebesbriefe und ein Schnepper zum Aderlassen, denn einst hatte sie ein Verhältnis mit einem Barbiergesellen oder Chirurgiegehilfen gepflogen […]18

In diesem langen Textbeispiel ist die Aufzählung von Dingen auffällig. Es handelt sich aber zum größten Teil um keine Alltagsdinge, die man jeden Tag gebraucht und die nützlich sind, sondern um ausgefallene Raritäten, scheinbar unwichtige Kleinigkeiten der Hauptheldin. Züs verwendet diese Dinge nicht (ausgenommen Schnepper), sie sind nur geschmacklose Schmuckstücke in ihrem Haus. Das „Verzeichnis“ von Züs´ Dingen in ihrem Haushalt wird durch Kommentare über Herkunft und Gebrauch einiger Gegenstände ergänzt. Das lässt erkennen, welche Assoziationen diese Dinge bei der Hauptheldin hervorrufen, welchen Wert sie diesen leblosen Gegenständen gibt und welche Beziehung sie zu diesen hat:

und da sie eine geschickte und überaus verständige Person war, so hatte sie von ihrem Liebhaber gelernt, die Ader zu schlagen, Blutegel und Schröpfköpfe anzusetzen und dergleichen mehr, und konnte ihn selbst sogar schon rasieren. Allein er hatte sich als ein unwürdiger Mensch gezeigt, bei welchem leichtlich ihr ganzes Lebensglück aufs Spiel gesetzt war, und so hatte sie mit trauriger, aber weiser Entschlossenheit das Verhältnis gelöst. Die Geschenke wurden von beiden Seiten zurückgegeben mit Ausnahme des Schneppers; diesen vorenthielt sie als ein Unterpfand für einen Gulden und achtundvierzig Kreuzer, welche sie ihm einst bar geliehen; der Unwürdige behauptete aber, solche nicht schuldig zu sein, da sie das Geld ihm bei Gelegenheit eines Balles in die Hand gegeben, um die Auslagen zu bestreiten, und sie hätte zweimal soviel verzehrt als er. So behielt er den Gulden und die achtundvierzig Kreuzer und sie den Schnepper, mit welchem sie unter der Hand allen Frauen ihrer Bekanntschaft Ader ließ und manchen schönen Batzen verdiente. Aber jedesmal, wenn sie das Instrument gebrauchte, mußte sie mit Schmerzen der niedrigen Gesinnungsart dessen gedenken, der ihr so nahegestanden und beinahe ihr Gemahl geworden wäre!19

Präzise Schilderung von Züs´ seltsamen und nutzlosen Dingen, verbunden mit schmerzlichen Erinnerungen ihrer Besitzerin an deren Herkunft wirkt auch humorvoll und komisch. Die Vorstellung der Sammlung von wahllos angehäuften Kuriositäten ruft beim Leser ein Lächeln hervor. Diese Wiedergabe der gesammelten Dinge nennt Fehr „ein Meisterstück humoristischer Darstellung.“20 Die ausführliche Beschreibung des Dinglichen und der Dingumgang der Hauptheldin verweist auch auf das Wesen ihrer Besitzerin und dient zu deren Charakterbeschreibung, ohne ihre Eigenschaften zu nennen. Die Dinge stellen hier einen unverzichtbaren Teil der Lebenswelt der Protagonistin dar. Die Kleinheit der Gegenstände unterstreicht Keller mit den Verkleinerungsformen („Spiegelchen“, „Riechschwämmchen“, „Fläschchen“, „Endchen“, „Körbchen“, „Gewürznägelein“, „Traumbüchlein), die er oft zur ironischen Darstellung verwendet. Als „Hauptzierde der Wohnung“21 wird eine Sammlung von viereckigen, sorgsam auf das Gesimse nebeneinander zum Trocknen und Hartwerden aufgelegten Seifenstücken genannt. Durch die Darstellung der vorwiegend kleinen Dinge bildet Keller auf humorvolle Weise eine enge Beziehung zwischen Züs und ihren kuriosen „Schätzen“ aus.

Die Anhäufung vom Dinglichen gebrauchte Keller auch bei der lächerlich wirkenden Schilderung Züs am Tage des Wettlaufs der drei Kammmacher. Züs nimmt alle ihre wertvollen Dinge aus der Lade heraus und legt sie ohne Geschmack an sich an, wobei auch hier ein Durcheinander von Kleidungsstücken und Farben zu sehen ist:

Sie hatte ihnen zu Ehren einen ungewöhnlichen Staat angelegt, trug einen großen Hut mit mächtigen gelben Bändern, ein rosafarbenes Indiennekleid mit verschollenen Ausladungen und Verzierungen, eine schwarze Sammetschärpe mit einer Tombakschnalle und rote Saffianschuhe mit Fransen besetzt. Dazu trug sie einen grünseidenen großen Ritikül, welchen sie mit gedörrten Birnen und Pflaumen gefüllt hatte, und hielt ein Sonnenschirmchen ausgespannt, auf welchem oben eine große Lyra aus Elfenbein stand. Sie hatte auch ihr Medaillon mit dem blonden Haardenkmal umgehängt und das goldene Vergißmeinnicht vorgesteckt und trug weiße gestrickte Handschuhe. 22

Einige Dinge sind mit konkreten Personen in ihrem Leben verbunden. Es sind die Erinnerungsstücke, „Trophäen“ von ihren früheren Verehrern. Jeder Verehrer hinterließ eine „dingliche“ Spur in Züs´ Leben, besser gesagt, in ihrem Haus. Von ihren Verehrern bleibt ihr „ein gewisser Kult, den sie um die erhaltenen Gaben und Erinnerungstücke treibt“23. Einen Schnepper zum Aderlassen bekam sie von einem Barbiergesellen oder Chirurgiegehilfen. Als sich aber gezeigt hatte, dass dieser für sie ein unwürdiger Mensch ist, gaben sich die beiden die Geschenke zurück, mit Ausnahme des Schneppers zum Aderlassen, den Züs als ein Unterpfand für das ihm einmal geliehene Geld vorenthielt und später mit ihm auch Geld verdiente, wenn sie manche Frauen unter der Hand zur Ader ließ. Aber immer, wenn sie dieses Instrument verwendete, erinnerte sie sich mit Schmerzen im Herzen an ihren Verehrer, der fast ihr Ehemann wurde.

Weitere Dinge – ein Zirkel zum Einteilen der Seifenstücke und ein blanker kleiner Gewürzmörser, „welcher das Gesimse ihres Schrankes zierte zwischen der blauen Teekanne und dem bemalten Blumenglas“24, stammen vom Verhältnis mit einem Zeugschmiedgesellen, der sich später auch als falscher Mensch herausstellte. Der Mörser brachte aber immer ein schönes glockenähnliches Geläute hervor, wenn man ihn mit einem Stößel schlug, so dass es ein „fröhlicher Morgen“25 für Züs wurde. Als später der Zeugschmiedgeselle plötzlich verschwindet, fordert sein Meister den Mörser zurück, da der Entflohene ihn seinem Laden ohne Bezahlung entnommen habe. Davon dass auch dieser Mörser ein wichtiges Ding in Züs´ Sammlung darstellt, zeugt die Tatsache, dass sie sich seinetwegen zu einem Rechtsstreit einlässt, den sie schließlich auch gewinnt.

Auch der dritte Verehrer – ein Buchbinder, hinterließ ihr ein Ding, das Keller so präzis wie auch andere Dinge im Text umschreibt, dass man sich ihre Form und das Aussehen genau vorstellen kann:

Es war ein großer chinesischer Tempel aus Papparbeit mit unzähligen Behältern und geheimen Fächern, den man in vielen Stücken auseinandernehmen konnte. Mit den feinsten farbigen und gepreßten Papieren war er beklebt und überall mit Goldbörsen geziert. Spiegelwände und Säulen wechselten ab, und hob man ein Stück ab oder öffnete ein Gelaß, so erblickte man neue Spiegel und verborgene Bilderchen, Blumenbouquets und liebende Pärchen; an den ausgeschweiften Spitzen der Dächer hingen allwärts kleine Glöcklein. Auch ein Uhrgehäuse für eine Damenuhr war angebracht mit schönen Häkchen an den Säulen, um die goldene Kette daran zu henken und an dem Gebäude hin und her zu schlängeln; aber bis jetzt hatte sich noch kein Uhrenmacher genähert, welcher eine Uhr, und kein Goldschmied, welcher eine Kette auf diesen Altar gelegt hätte.26

Es scheint, dass gerade dieses Ding, gelegt auf die altväterliche Kommode, bedeckt mit einem meergrünen Schleier und vor Blicken anderer Menschen versteckt, für Züs nebst ihres Gültscheins das wertvollste ist: „Sie hielt es so heilig, dass sie es ungebraucht und neu erhielt und gar nichts in die Behältnisse steckte.“27 Vom großen Wert dieser Dinge für sie zeugt die Tatsache, dass sie den Schlüssel zu der Lade immer bei sich trägt. Züs verdinglichte die Liebe in ihren früheren Beziehungen. In den Berichten über zwei ihrer Liebesgeschichten stehen die Erinnerungsstücke und nicht die Männer im Mittelpunkt.28 Die gesammelten Objekte, von denen viele keinen materiellen Wert aufweisen oder sogar nutzlos sind, füllen die Leere in ihrem Leben aus. Es scheint, dass sie die Menschen ersetzen, zu denen Züs früher eine Beziehung hatte und die sie später verlor. Dinge in ihrem Haushalt und Geschenke von den Männern bedeuten für sie auch „materiellen Beistand.“29

Eine weitere Gruppe von Dingen, die Züs mit Leidenschaft sammelte, stellt „ein Häufchen unterschiedlicher Bücher, welches am Fenster ordentlich aufgeschichtet lag und in denen sie des Sonntags fleißig las“30 dar, wobei sie manche Bücher sogar auswendig konnte. Nebst all ihren Schulbüchern (Deklinierbuch, Rechenbuch, Geografiebuch) besaß sie eine Bibel und weltliche Lesebücher. In ihre Lektüresammlung gehörten auch: „verschiedene Schatzkästlein und Rosengärten zum Aufschlagen, eine Sammlung Kalender voll bewährter mannigfacher Erfahrung und Weisheit, einige merkwürdige Prophezeiungen, eine Anleitung zum Kartenschlagen, ein Erbauungsbuch auf alle Tage des Jahres für denkende Jungfrauen.“31

Nebst diesen Büchern, die eine Mischung von verschiedenen Lektüretypen darstellen und deren ästhetischer Wert fraglich ist, bewahrte sie auch einige literarische Werke auf, „welche für ihre ´orthopraktische´ Lebenshaltung als Stütze und Halt dienen können.“32 Eines der Bücher ist ein altes Exemplar von Schillers Drama Die Räuber, „welches sie so oft las, als sie glaubte es genugsam vergessen zu haben, und jedesmal wurde sie von neuem gerührt, hielt aber sehr verständige und sichtende Reden darüber.“33 Den Bestandteil ihrer literarischen Sammlung bildeten auch „einige der hübschen Geschichten von Christoph Schmid“34, die Gottfried Keller wenig schätzte und die ihm in einigen seiner Novellen als parodiertes Vorbild dienten.35

Wie aus dem Inhalt der Büchersammlung dieser „repetitiven Leserin“36 folgt, überwiegen hier die Erbauungsbücher, Textsammlungen zur moralischen Nutzanwendung, sogenannte Chrestomatien,37 also vorwiegend Gebrauchsliteratur und didaktische Literatur, die der Natur ihrer Besitzerin entsprechen und aus denen sie ihre „Weisheiten“ schöpft. Züs ist von der Wahrheit und Richtigkeit ihrer Meinung und ihres Urteils überzeugt:

Wenn sie zufrieden und nicht zu sehr beschäftigt war, so ertönten unaufhörliche Reden aus ihrem Munde, und alle Dinge wußte sie heimzuweisen und zu beurteilen, und jung und alt, hoch und niedrig, gelehrt und ungelehrt mußte von ihr lernen und sich ihrem Urteile unterziehen, wenn sie lächelnd oder sinnig erst ein Weilchen aufgemerkt hatte, worum es sich handle; sie sprach zuweilen so viel und so salbungsvoll.38

In ihrer Büchersammlung ohne inhaltlichen Zusammenhang liegt alles chaotisch nebeneinander. Dies spiegelt sich in inhalts- und zusammenhanglosen Reden von Züs wider. „Es gibt keine geistige Rangordnung und keinen Stufengang des Geistes. Ein kindliches und äußerliches Memorierwissen ist verhärtet zu einem kindisch-aggressiven Schematismus des Einteilens und Urteilens, der nichts vom lebendigen Leben fasst.“ 39 Keller bezeichnete sie als „eine gelehrte Blinde, die nichts von der Welt sieht und deren einziger Genuß ist, sich selbst reden zu hören.“40

Die Besitz- und Sammelleidenschaft dieser Figur erklärt Sautermeister als eine materielle Psychoanalyse des Privateigentums.41 Walter Benjamin nennt die Sammler als „Physiognomiker der Dingwelt.“42 Nach seiner Meinung ist das Dasein eines Sammlers dialektisch gespannt zwischen den Polen der Unordnung und der Ordnung und zugleich gebunden an ein „rätselhaftes Verhältnis zum Besitz […], ein Verhältnis zu den Dingen, das in ihnen nicht den Funktionswert, also ihren Nutzen, ihre Brauchbarkeit in den Vordergrund rückt, sondern sie als den Schauplatz, das Theater ihres Schicksals studiert und liebt.“43 Zwischen solchen Polen bewegt sich auch Züs´ Dasein und das Verhältnis zu den Dingen. Einerseits stellt sie verschiedene, nicht zueinander gehörende Dinge chaotisch und beziehungslos aus, andererseits verwahrt sie einige Dinge sorgsam versteckt in Kästchen oder Büchsen. Dass Züs zu diesen Dingen in einem sehr engen emotionalen Bezug steht, bezeugt die Tatsache, dass sie die einzelnen Gegenstände „doppelt“ – in einer lackierten Lade, die wieder in einem Nussbaumschrank hineingelegt ist – wie Kostbarkeiten aufbewahrt: „Dies alles war in der lackierten Lade enthalten, wohlverschlossen, und diese war wiederum in einem alten Nußbaumschrank aufgehoben, dessen Schlüssel die Züs Bünzlin allfort in der Tasche trug.“44

Selbmann nennt es die „Verpackungs- und Verschachtelungsmanie.“45 Züs´ Dingumgang quellt in ihrer Arbeitstätigkeit. In der Wäscherei arbeitet sie tüchtig mit und plättet auch die „feineren“ Sachen für die Damen aus Seldwyla, was eine sehr präzise Arbeit bedingt und beansprucht. Das weist darauf hin, dass sie mit den Dingen, in diesem Fall mit der Kleidung und Wäsche, selbst vorsichtig und sorgfältig umgeht, genauso wie mit ihren eigenen Gegenständen in ihrem Haushalt.

Sie behält die Kontrolle über ihr Leben: über ihr Geld, den Hausstand, als auch über alle Gegenstände in ihrer Wohnung: über die Seifen am Gesimse, die immer „schön“ nebeneinander aufgelegt werden müssen. Sie gewinnt sogar den Rechtstreit vor Gericht wegen einem Ding – dem Mörser. Ihrer Kontrolle entzieht sich auch nicht das Leben der anderen Menschen. Die Menschen, die sich ihrer Kontrolle und ihren Regeln nicht unterwerfen wollen, werden von ihr abgelehnt oder verstoßen, wie z.B. der Barbiergeselle oder der Chirurg, der sich als „unwürdiger Mensch“46 erweist.

„Neben der Angst vor Kontrollverlust ist Züs unfähig, die Liebe des Anderen richtig wahrzunehmen und diese höher zu werten als den äußeren Glanz einer gesellschaftlichen Stellung, wie sich durch materiellen Wohnstand ergibt.“47 Deshalb entdeckt sie nie das Geheimnis des Tempelchens, das sich in viele Stücke auseinandernehmen lässt: sie findet nicht den wunderschönen Liebesbrief des Buchbinders – „von Tränen benetzt, worin er eine unsägliche Betrübnis, Liebe, Verehrung und ewige Treue aussprach“48, den er in einem doppelten Boden auf dem innersten Grunde des von ihm angefertigten Tempels versteckte. Weil sie die Gefühle des verliebten Buchhändlers nicht beachtet und „ihr das Reich der Liebe unzugänglich ist“49, sieht sie das geschenkte Ding nicht ordentlich durch und enthüllt nicht seine Botschaft. Sie konserviert ihre Kunstwerke, genauso wie ihre Gefühle. Da sie nur die Oberfläche der Erscheinungen und Dingen bewundert, erkennt sie nicht das, was im Inneren liegt. Deshalb kann sie nicht die inneren Werte eines Menschen wahrnehmen und schätzen. „Ihr Umgang mit der Pagode versinnbildlicht, wie sie ihr Bedürfnis nach oberflächlichem Glanz davon abhält, die Grundwerte des menschlichen Lebens zu entdecken und zu achten. Wie das Liebesgeständnis des Buchmachers, dessen Liebe wie sein Name nicht gut genug waren, bleibt die Liebe, die dem menschlichen Leben erst Gültigkeit verleiht, für Züs unerreichbar“50. Sie ist nicht fähig, Liebe zu empfinden und den wirklichen Wert der Liebe zu erkennen.

Ironischerweise heiratet sie gerade jenen Kammmacher, der keine Ersparnisse hat und dessen Teilnahme am Wettrennen sie durch vorgetäuschte Zuneigung verhindern wollte. Aber ihr Kontrollanspruch und die Herrschsucht setzt sich auch in der Ehe mit Dietrich fort. Dietrich „muss sich ihren Wünschen beugen und muss das Abhängigkeitsverhältnis erdulden.“51 Als Besitzerin des Geschäfts glaubt Züs, alle Rechte zu haben und alles wie bisher nach ihrem Willen zu kontrollieren und zu „dirigieren“: „Dietrich der Schwabe allein blieb ein Gerechter und hielt sich oben in dem Städtchen; aber er hatte nicht viel Freude davon; denn Züs ließ ihm gar nicht den Ruhm, regierte und unterdrückte ihn und betrachtete sich selbst als die alleinige Quelle alles Guten.“52 Im übertragenen Sinne wird schließlich auch ihr Ehemann zu einem Ding und Objekt. Obwohl er in der Stadt eine bestimmte Position erreicht, verliert er in der Ehe die Freiheit, den Eigenwillen und alle Rechte. Züs behandelt ihn wie einen Gegenstand, mit dem sie alles machen kann, was sie will.

„Die Wohnungseinrichtungen, die Gegenstände, die uns zu Gebrauch und Zierde umgeben, waren noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, von den Bedürfnissen der unteren bis zu denen der Schichten der höchsten Bildung hinauf, von relativ großer Einfachheit und Dauerhaftigkeit. Hierdurch entstand jenes ´Verwachsen´ der Persönlichkeit mit Gegenständen ihrer Umgebung.“53 Dies ist auch der Fall bei der Frauenfigur in dieser Novelle. Weil sie ein Leben ohne Freundschaft, Liebe, Zuneigung und enge Beziehungen zu anderen Menschen führt, konzentriert sie ihr Leben und ihre Aufmerksamkeit auf Dinge und „verwächst“ mit ihnen. Es widerspiegelt sich hier das von Simmel54 betonte Wechselverhältnis von Menschen und Dingen und deren Einfluss auf die Formung der Menschen. Die Hauptheldin umgibt sich mit zahlreichen seltsamen Dingen und misst ihnen einen höheren Wert als den Menschen zu. Die alltägliche Anwesenheit der leblosen Dinge in ihrem Haushalt und Erinnerungen an deren Herkunft und Bedeutung formen ihre Persönlichkeit. In der großen Masse an Dingen um sie herum sieht Züs nicht das „Menschliche“. Sie sammelt die Dinge – die Geschenke von ihren Werbern, sie sieht aber nicht die Gefühle, welche sich hinter diesen Geschenken verbergen. Sie „begräbt“ die Dinge, genauso wie ihre Gefühle und das Lebensglück. Einerseits sieht man bei ihr die enge Beziehung zu den Dingen, aus der eine Art des Fetischismus wird, anderseits eine bestimmte Distanz zu den Mitmenschen, die sich im Verhältnis zu ihren früheren Werbern zeigt.

Auch Züs‘ äußere Erscheinung gleicht einem leblosen Objekt und „einem antiquierten Gemälde, das seinen Glanz verloren hat“55, sie „hatte dünne rötliche Haare und wasserblaue Augen, welche nicht ohne Reiz waren und zuweilen sanft und weise zu blicken wußten.“56 „Die Farben, mit denen Keller Züs zeichnet, sind blass, verschwommen und gedeckt, entsprechend dem Leben, das Züs führt und das alles entbehrt, was das menschliche Leben wertvoll und lebendig, und eben auch farbenfroh macht: Liebe, Wärme, Emotionen, Sinnlichkeit.“57 Züs wirkt wie eine „geschlechtslose Frau“, wie die geschlechtslosen Dinge in ihrer Lade. „Die Charakterdarstellung der weiblichen Figur kontrastiert mit dem leistungsethischen Konkurrenzgedanken der drei Gesellen in wirtschaftlicher Hinsicht durch ihre Neigung zur Akkumulation, die einen gewissen Objekt-Fetischismus mit dem übertriebenen Impuls des Verwahrens und Einschachtelns verbindet, womit tendenziell Güter und Werte dem Handelskreislauf entzogen werden.“58

Die Dinge in Kellers Novelle Die drei gerechten Kammmacher sind keine bloßen Requisiten, keine rätselhaften Objekte. Sie führen kein Eigenleben, sondern sind in den Lebensraum der Protagonistin eingebettet. Sie sind kein Gegenstand der Handlung, sondern Gegenstand der Protagonistin. Sie handeln nicht, sondern zeigen den Charakter und die Eigenschaften des Menschen und wirken auf dessen Handeln. Sie gehen keine Verhältnisse mit dem Menschen ein, sondern der Mensch knüpft hier ein enges Verhältnis zu den Dingen. Das Dingliche ist hier ein Spiegelbild der Seele der Protagonistin. Das Sammeln, Aufbewahren und auch Arrangieren von Dingen in ihrem Haushalt, die für sie etwas symbolisieren, bedeutet für die Hauptheldin einen Ersatz für fehlende Mitmenschen und die Liebe.

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Kimmich, Dorothee: Dinge in den Texten. In: Scholz, Susanne, Vedder, Ulrike (Hrsg.): Handbuch Literatur & Materielle Kultur. Berlin 2018, S. 21–28.
Koebner, Thomas: Der Erfolglose bezahlt mit seiner Existenz. Gottfried Keller: Die drei gerechten Kammmacher. In: Ders.: Zurück zur Natur. Ideen der Aufklärung und ihre Nachwirkung. Heidelberg 1993, S. 328–339.
Loewenich, Caroline: Gottfried Keller: Frauenbild und Frauengestalten im erzählerischen Werk. Würzburg 2000.
Mainberger, Sabine: Ordnen – Aufzählen. In: In: Scholz, Susanne, Vedder, Ulrike (Hrsg.): Handbuch Literatur & Materielle Kultur. Berlin 2018, S. 91–98.
Metz, Klaus-Dieter: Gottfried Keller, Die drei gerechten Kammacher. Oldenbourg Interpretationen. München 1990.
Püschel, Gudrun: Objekte und ihre Sprache: ein narratologischer Versuch. In: Wernli, Martina, Kling, Alexander (Hrsg.): Das Verhältnis von ‚res’ und ‚verba': zu den Narrativen der Dinge. Freiburg i.Br. 2018, S. 205–223.
Richter, Hans: Gottfried Kellers frühe Novellen. Berlin 1960.
Rothenberg, Jürgen: Gottfried Keller. Symbolgehalt und Realitätserfassung seines Erzählens. Heidelberg 1976.
Sautermeister, Gert: Gottfried Keller – Kritik und Apologie des Privateigentums. Möglichkeiten und Schranken liberaler Intelligenz. In: Mattenklott, Gert; Scherpe, Klaus R. (Hrsg.): Literatur im historischen Prozess. Positionen der literarischen Intelligenz zwischen bürgerlicher Reaktion und Imperialismus. Kronberg (Ts.) 1973, S. 39–102.
Schmidt, Sarah: Sammeln – Sammlungen. In: Scholz, Susanne, Vedder, Ulrike (Hrsg.): Handbuch Literatur & Materielle Kultur. Berlin 2018, S. 82–89.
Schneider, Sabine: Vergessene Dinge. Plunder und Trödel in der Erzählliteratur des Realismus. In: Schneider, Sabine, Huhnfeld, Barbara (Hrsg.): Die Dinge und die Zeichen. Dimensionen des Realistischen in der Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts. Würzburg 2008, S. 157–174.
Selbmann, Rolf: Gottfried Keller. Romane und Erzählungen. Berlin 2001.
Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig 1900.
Wiese, Bruno: Die deutsche Novelle von Goethe bis Kafka, I. Bd. Düsseldorf 1964.


  1. Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. 1900, S. 477.
  2. Ebd., S. 475-485.
  3. Brunner, Jose (Hrsg.): Erzählte Dinge. Mensch-Objekt-Beziehungen in der deutschen Literatur. Göttingen 2015, S. 8.
  4. Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen, Konzepte, Disziplinen (Hrsg. Samida, Stefanie, Eggert, Manfred K. H., Kahn, Hans Peter). Stuttgart, Weimar 2014, S.10.
  5. Böhme, Hartmut: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. Hamburg 2006, S.17.
  6. Begemann, Christian (Hrsg.): Realismus. Das große Lesebuch. Frankfurt am Main 2012, S. 357.
  7. Vgl. Kimmich, Dorothee: Dinge in den Texten. In: Scholz, Susanne, Vedder, Ulrike (Hrsg.): Handbuch Literatur & Materielle Kultur. Berlin 2018, S. 22.
  8. Wiese, Bruno: Die deutsche Novelle von Goethe bis Kafka, Bd. I, Düsseldorf 1964, S. 241.
  9. Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Frankfurt am Main 1987, S. 203.
  10. Beim Titel erscheinen unterschiedliche Schreibweisen des Wortes. Zwar findet man ‚Kammacher‘ häufiger in der Schreibweise mit nur zwei ‚m‘, doch im Erstdruck des Novellenzyklus und in allen von Keller autorisierten Drucken wurde das Wort mit drei ‚m‘ geschrieben.
  11. Keller, wie Anm.9, S. 209.
  12. Ebd. S. 212.
  13. Ebd. S. 212.
  14. Ebd. S. 213.
  15. Honold, Alexander: Die Tugenden und Laster. Gottfried Kellers „Die Leute von Seldwyla“. Berlin 2018, S. 143.
  16. Loewenich, Caroline: Gottfried Keller: Frauenbild und Frauengestalten im erzählerischen Werk. Würzburg 2000, S. 99.
  17. Keller, wie Anm. 9, S. 217.
  18. Ebd. 215-216.
  19. Keller, wie Anm. 9, S. 216-217.
  20. Fehr, Karl: Realismus in der schweizerischen Literatur. München 1965, S. 82.
  21. Ebd. S.217.
  22. Ebd. S.233.
  23. Honold, wie Anm. 15, S. 144.
  24. Keller, wie Anm. 9, S. 218.
  25. Ebd. S. 218.
  26. Ebd. S. 220-221.
  27. Ebd. S. 221.
  28. Metz, Klaus-Dieter: Gottfried Keller, Die drei gerechten Kammacher. Oldenbourg Interpretationen. München 1990, S. 40.
  29. Honold, wie Anm. 15, S. 144.
  30. Keller, wie Anm. 9, S. 218.
  31. Ebd. S. 219.
  32. Honold, wie Anm. 15, S. 144.
  33. Keller, wie Anm. 9, S. 219.
  34. Ebd. S. 219.
  35. Metz, wie Anm. 28, S. 16.
  36. Honold, wie Anm. 15, S. 144.
  37. Jeziorkowski, Klaus: Literarität und Historismus: Beobachtungen zu ihrer Erscheinungsform im 19. Jahrhunderts am Beispiel Gottfried Kellers. Heidelberg 1979, S.35.
  38. Keller, wie Anm. 9, S. 219.
  39. Kaiser, Gerhard: Gottfried Keller. Das gedichtete Leben. Frankfurt am Main 1981, S. 326-327.
  40. Keller, wie Anm. 9, S. 219.
  41. Sautermeister, Gert: Gottfried Keller – Kritik und Apologie des Privateigentums. Möglichkeiten und Schranken liberaler Intelligenz. In: Mattenklott, Gert; Scherpe, Klaus R. (Hrsg.): Literatur im historischen Prozess. Positionen der literarischen Intelligenz zwischen bürgerlicher Reaktion und Imperialismus. Kronberg (Ts.) 1973, S.76.
  42. Benjamin, Walter: Ich packe meine Bibliothek aus. Eine Rede über das Sammeln. In: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. IV-I. (Hrsg. Rexroth, Tillman), Frankfurt am Main 1972, S. 389.
  43. Ebd. S. 389.
  44. Keller, wie Anm. 9, S. 217.
  45. Selbmann, Rolf: Gottfried Keller. Romane und Erzählungen. Berlin 2001, S. 71.
  46. Keller, wie Anm. 9, S. 216.
  47. Loewenich, Caroline: Gottfried Keller: Frauenbild und Frauengestalten im erzählerischen Werk. Würzburg 2000, S. 102.
  48. Keller, wie Anm. 15, S. 222.
  49. Metz, wie Anm. 28, S. 41.
  50. Loewenich, wie Anm. 48, S. 102.
  51. Ebd. S. 102.
  52. Keller, wie Anm. 15, S. 250.
  53. Simmel, wie Anm. 1, S. 491.
  54. Ebd. S. 475-485.
  55. Loewenich, wie Anm. 48, S. 99.
  56. Keller, wie Anm. 15, S. 217.
  57. Loewenich, wie Anm. 48, S. 99.
  58. Honold, wie Anm. 15, S. 145.