Zum Gedenken an Peter Rusterholz

Im Januar dieses Jahres hat uns unser geschätzter Kollege, anerkannter Barockforscher und Literaturhistoriker, ein treuer Freund Peter Rusterholz verlassen.

Für die Auslandsgermanisten steht sein Name vor allem für „Schweizer Literaturgeschichte”, die er mit Andreas Solbach bei J. B. Metzler veröffentlichte, und die zu einem der bedeutendsten Referenzwerke für die Literaturforscher geworden ist. Dank der Mitarbeit von dreizehn Literaturwissenschaftler:innen aller vier Landessprachen der Schweiz gibt dieses Werk zum ersten Mal Auskunft über die Entwicklung der vier Literaturen der Schweiz vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Es trägt so der Tatsache Rechnung, dass man in der Schweiz noch weniger als in anderen Ländern von einer „Nationalliteratur” – basierend auf einem angeblich einheitlichen Sprach- und Kulturraum – sprechen kann, und berücksichtigt auch die doppelte Teilhabe und doppelte Differenz im Schaffen der Autor:innen aus der Schweiz: erstens Teilhabe an der allgemeinen politischen Identität der Schweizer:innen und zugleich Abgrenzung von dieser Geschichte und ihren besonderen sozialen und politischen Gepflogenheiten. Neu ist auch, dass Rusterholz und Solbach je einen Exkurs zur Exilliteratur und zum Schweizer Film aufnehmen.

Peter Rusterholz war ein ausgezeichneter Barockforscher, der sich gern mit den literaturtheoretischen Fragen, vor allem denen der Hermeneutik und ihrer Entgrenzungen, beschäftigte. Als Forscher, Lehrer und Privatperson war er ein Mensch des Dialogs und schuf in reflektierter Nuancierung Verbindungen zwischen älterer und neuerer Literatur, historischer Hermeneutik und moderner Semiotik, literaturtheoretischer Reflexion und literaturkritischer Praxis, sensibler Textlektüre und persönlicher Begegnung mit Gegenwartsautor:innen, und suchte im universitären Rahmen sowohl an der Gesamthochschule Kassel, 1973 bis 1980, wie an der Universität Bern, 1980 bis 2000, über fachliche, institutionelle und persönliche Hindernisse hinweg immer wieder das Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen der übrigen Disziplinen. Dies kommt in den sechzehn Bänden, die er als Präsident des Studium Generale an der Universität Bern in den Jahren 1989 bis 2009 mitherausgegeben hat, sehr deutlich zum Ausdruck.

Im Laufe der 1990er Jahre ist er zur wohl wichtigsten akademischen Stütze des 1991 gegründeten Schweizerischen Literaturarchivs geworden. Etliche seiner Schülerinnen und Schüler waren und sind immer noch als wesentliche Pfeiler des Archivs tätig. Und er hat von 1995 bis 2008 nicht weniger als sieben interdisziplinäre Forschungsprojekte des Schweizerischen Nationalfonds zur Nachlass-Forschung, Textgenese, Schreibprozessforschung und Textkritik geleitet, mit fortdauerndem und immer neuem Fokus auf dem Werk von Friedrich Dürrenmatt. So wurde er auch zu einem wertvollen Begleiter der Entwicklung des Centre Dürrenmatt in Neuchâtel. Dem späten Schaffen von Dürrenmatt, vor allem seinen „Stoffen”, sind Rusterholzs Jahre als Emeritus gewidmet. Dort angewandte Vorgehensweise bei der Analyse und die gewonnen Erkenntnisse bilden eine für weitere Generationen der Literaturforscher eine reiche Quelle von Inspirationen.

Auch für die Herausgeber und die Autoren der CH-Studien war Peter Rusterholz eine unerschöpfliche Inspirationsquelle und Stütze, die uns in Erinnerung bleiben wird.

Dariusz Komorowski, Anna Fattori, Ján Jambor